Homepage > Themen > Thema C

Themenkomplex C
Fremde kann zur Heimat werden
 


Zusammenfassung
Dieter Böckmann
27.06.2001

Auf dieser Seite wird die Zusammenfassung zum Themenkomplex C veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Die Gliederung folgt nachstehend. Die Links Cxx verweisen auf bisherige, den Themenkomplex tangierende Beiträge im Rahmen des Forums, die Links Namen auf die Fragebogen/Lebensläufe. Sie können unter diesen Adressen abgerufen werden.

Die bisher vorliegenden Beiträge zum Themenkomplex C finden Sie hier:

  • Zu den Beiträgen (auf neuer Seite)


  • Wenn Sie Ihre Meinung äußern wollen oder Fragen haben, können Sie das im Diskussionsforum tun:
  • Zum Diskussionsforum
  • Gliederung

    Einleitung

    Für diese Zusammenfassung wurden verwendet:

  • Die Beiträge zum Themenkomplex C, d.h. C01 bis C20,
  • Beiträge zu anderen Komplexen, soweit sie den Komplex C betreffen,
  • die Beiträge unserer französischen Teilnehmerinnen,
  • die Lebensläufe und die beantworteten Fragebögen,
  • div. E-Mails an gl-heimat@zawiw.uni-ulm.de.

  • Vorbemerkung zum Vorgehen:
    Ich habe keine Literatur zum Thema durchgeforstet, sondern nur die vorliegenden Beiträge (einschl. Lebensläufe und Fragebogen) gelesen. Für Zitate verwende ich nur die Vornamen, die ich hier, nach deren Anfangsbuchstaben alphabetisch sortiert, angebe : Angenita, Brigitte, Christian, Dieter, Jutta, Maria C (für Bürger-de Castillo), Maria B (für Burkard), Peter, Renate, Volkmar. Dies sind die 10 Mitglieder der Arbeitsgruppe, die ihr in der Heimat-Website findet. Von ihnen gibt es Lebenslauf und beantworteten Fragebogen. Weitere beantwortete Fragebogen sind von Anita, Bernhard, Doris, Elke, Helga, Horst, Ingrid, Jans, Roland, Stefan, Susanne, Uwe. Und von Madeleine (M/F), Deutsch-Lehrerin in Frankreich gemeinsam mit mehreren Kolleginnen, die erst später hinzugekommen ist und auch einen Beitrag und Fragebogen geschickt hat (beide sehr ausführlich, siehe
    A22). Fast alle Teilnehmer haben auch weitere Beträge in die Foren eingebracht, ebenso wie Boris/Ulrich, Hildegard und Wolfgang.

    Vorbemerkung zur inhaltlichen Gliederung:
    Ich habe diejenigen Begriffe, Formulierungen und Aussagen herausgezogen, die am häufigsten vorkommen. Und weil der Fragebogen sich nicht nur auf das Thema "Fremde kann zur Heimat werden" bezieht, habe ich daraus nur die Antworten zu den Fragen (1), (3), (4) und (7) herangezogen.

    . . . und zum Fragebogen:
    Eine großartige Idee. Die Beiträge erscheinen einem mitunter als Freistil. Jeder schreibt, was ihm gerade zum Thema einfällt, wiederholt auch Aspekte, die ein anderer just eingebracht hat, sodass die Frage "ob das alles per e-mail diskutiert werden kann" (Peter C08) durchaus berechtigt erscheint. Aber ich bin sicher, dass die Antworten im Fragebogen nicht so deutlich gewesen wären - ja sogar die Fragen nicht so präzise formuliert worden wären - , wenn nicht die "freie" Diskussion dem vorausgegangen wäre. Ich meine, dass man daraus auch für zukünftige Unternehmungen dieser Art die Regel ableiten kann:

  • Thema mit Grundsatz-Aussage,
  • dann freie Diskussion,
  • dann Fragebogen.
  • Vorbemerkung zu "streng wissenschaftlich objektiv" oder "individuell, subjektiv, gefühlsmäßig", oder beides?
    Diesen Aspekt habe ich schon in C14 angeführt. Volkmar hat dann geantwortet (E-Mail 07.11.00) "... eine Symbiose aus beiden !"
    Der "rote Faden", den man dann auch in allen Texten erkennt (auch in den Literatur-Zitaten), ist, dass, wenn offensichtlich schon der Begriff Heimat sich wissenschaftlicher und allgemein anerkannter Definition entzieht ("Heimat ist . . . ", gibt's nicht), erst recht Heimat im Zusammenhang mit "Fremde" sich überwiegend subjektiv darstellt. Fast in jedem Beitrag erscheint früher oder später die Anmerkung "für mich ...", "ich sehe das so ...", "ich kann nur subjektiv ...".
    Warum sonst hätten die Organisatoren auch so etwas subjektives und individuelles wie Lebensläufe erbeten ? Neun liegen vor, und ihre Lektüre verhilft weitgehend zum Verständnis der Antworten in den Fragbogen.

    top  Seitenanfang


    Heimat

    Von den zehn Mitgliedern der Arbeitsgruppe (s.o.) ist für sechs (Angenita, Brigitte, Dieter, Maria C, Renate, Volkmar) Heimat ein Begriff mit festem, fast selbstverständlichem Inhalt. Die Antworten auf die Frage (1) "Was ist für Sie Heimat?", in Verbindung mit Frage (7), sowie Aussagen in anderen Beiträgen sind identisch. Ich fasse sie hier zusammen: da, wo man geboren und aufgewachsen ist. Die "klassische Heimat", wie Jutta (C07) sagt. Das geringste Problem hat offenbar Volkmar (Lebenslauf und Fragebogen), der seine Heimatstadt nur einige Male für wenige Jahre verlassen hat. Das ist das eine Extrem. Vier weitere (Christian, Jutta, Maria B, Peter) können sich nicht so bestimmt äußern, weil sie schon in früher Kindheit mit der Familie den Wohnort oder sogar das Land gewechselt haben. Und Peter beschreibt als den anderen Extremfall "Menschen, die sich heimatlos fühlen, weil ihr Lebenslauf sie schon seit ihrer Kindheit dazu verdammte, nirgendwo lange genug zu bleiben, um heimisch zu werden".

    Betrachten wir die weiteren 12 Fragebogen (zu denen kein Lebenslauf vorliegt), dann erkennen wir ungefähr dasselbe Verhältnis. Für immerhin fünf Teilnehmer ist Heimat ebenfalls ein fester Begriff. Auch hier sind die Antworten fast identisch. Ein weiterer (Jans) hat "nur im Maintal bei Würzburg das Gefühl, dass sein Herz weit wird, weil er zuhause ist". Vier andere sehen Heimat nicht so deutlich ("jeweiliger Wohnort, wo man sich wohlfühlt, u.ä."). Und dann lesen wir zwei extrem negative Aussagen: für Horst ist "Heimat ein flexibler, fließender Begriff, der die gesamte Mutter Erde umfasst". Er erklärt dies (B30) durch Flucht, Vertreibung, Wohnsitzwechsel. Und Roland meint gar, Heimat sei nur ein Kunstgebilde. Dorf, Stadt, Land dienten nur dazu, um andere auszugrenzen, und Heimat könne nur unser gesamter wunderschöner blauer Planet sein, sonst sei man engstirnig und kleinkariert.
    Hier sind auch Beitrag und Fragebogen unserer französischen Teilnehmerinnen (M/F, A22) zu erwähnen. Schon in A11 am 02.11.00 schrieb ich (siehe auch Maria B in A13): "Patrie" heißt Vaterland, "Pays natal" heißt Heimatland, "d'origine" heißt gebürtig aus. Peter (A01) zitiert H.Bienek: "Heimat ist ein deutsches Wort, das sich in keine andere Sprache wirklich übersetzen lässt."
    Meine Stellungnahme (A24, A25) zu den französischen Beiträgen fasse ich hier kurz zusammen: "Zwar geben die Wörterbücher keine Übersetzung für das deutsche Wort Heimat her, aber Franzosen meinen, fühlen, empfinden und denken dasselbe wie wir !"
    Diese Betrachtung der Fragebogen ergibt so etwas wie eine Statistik, die auch den Tenor unserer Arbeit wiedergibt:

  • Für ungefähr die Hälfte der Teilnehmer ist Heimat ein fester, fast selbstverständlicher Begriff, der mit für alle gleichen Inhalten und Kriterien beschrieben und dargestellt wird.
  • Die andere Hälfte sieht den Begriff Heimat entweder nur vage und abhängig von vielen, meist persönlichen Umständen, und in zwei extremen Fällen wird er gänzlich abgelehnt.
  • top  Seitenanfang

    Sprache und Dialekt
    (Frage (3) des Fragebogens und andere Beiträge)

    Zu diesem Kriterium sind die Aussagen ziemlich übereinstimmend. Uwe (Fragebogen): "Sprache ist im frühen Entwicklungsstadium des Menschen entscheidend für Geborgenheit und Vertrautsein". Und nicht nur Ingrid "geht das Herz auf, wenn ich meine heimische Mundart höre", sondern auch unsere Französinnen (M/F) "erleben es, wie angenehm vertraut ein gewisser Tonfall klingt, ja ein besonderer Akzent von jemand, der aus unserer Ecke stammt". Doris sagt dazu : "die gleiche Sprache kann auch an einem entfernten Ort ein Gefühl der Verbundenheit auslösen". Solange ein Dialekt nur fremd ist, aber Verständigung immer noch möglich ist, ist dies kein ernsthaftes Hindernis (C14, Volkmar Fragebogen), nur gewöhnungsbedürftig (Peter Fragebogen). Für Dieter, Volkmar und Maria B (Fragebogen) verbindet allerdings der Dialekt mit der "ersten" Heimat, wenn auch Elke (Fragebogen) darauf hinweist, dass, ganz allgemein, in Deutschland immer weniger Dialekt gesprochen wird.
    Horst und Roland (Fragebogen) sehen Sprach- und Dialektbarrieren als katastrophal eingrenzend und trennend.
    Zum Thema Fremdsprache haben wir zwar nur wenige Aussagen, aber die sind eindeutig. Wenn man in ein anderes Land mit einer völlig anderen Sprache kommt, dann gibt es keinen Kompromiss. Für Angenita (C05) war es eine Notwendigkeit, die Sprache zu lernen. Aber wenn sie "nach Hause fährt", spricht sie gerne wieder niederländisch. Sie führt (C10) auch das entgegengesetzte Beispiel an, die Mutter eines Freundes, die, nachdem die Familie nach Kanada ausgewandert war, Englisch nicht lernen wollte. Sie konnte Deutsch weiter in der Familie und in einem Club sprechen, ist aber in dem Land eine Fremde geblieben. Renate (Fragebogen), die in USA gelebt hat, sagt, dass erst durch die Aneignung der Sprache ein fremdes Land zur Heimat werden kann. Susanne (Fragebogen) allerdings "würde Heimweh bekommen, wenn sie an ihrem jetzigen Wohnort ihre Muttersprache nicht sprechen könnte". Angenita zitiert (B37) aus einem Artikel: "Erinnerungen, die sich auf Erlebnisse in Kindheit und Jugend im alten Heimatland beziehen, sind mit der ersten Sprache verbunden", und (A07) Böll: Sprache ist das leichteste Gepäck, und eine schwere Last, wenn man in die Fremde kommt. Volkmar (C06) zitiert hierzu ein Gedicht von Heinrich Heine:

    "Und als ich an die Grenze kam
    ...
    Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
    Da ward mir seltsam zumute
    Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
    Recht angenehm verblute."
    (Deutschland - Ein Wintermärchen).
    top  Seitenanfang


    Fremde kann zur Heimat werden

    Die Aussagen/Antworten sind hier durchaus nicht mehr übereinstimmend, vor allem viel subjektiver, sodass es schwierig ist, eine einheitliche Aussage herauszufiltern. Ich versuche, sowohl die Antworten zu Frage (4) "... Ihre Meinung dazu, dass jemand zwei Heimaten haben kann ?" im Fragebogen, wie auch Aussagen in den anderen Beiträgen zusammengefasst wiederzugeben.
    Das hängt schon davon ab,

  • ob die Familie umgezogen ist, als die Kinder noch klein waren,
  • oder ob, am Ende der Jugendzeit, Beruf oder Ehe der Anlass zu Wechseln des Wohnorts waren
  • und schließlich, ob man überhaupt im Leben öfter den Wohnort gewechselt hat.

  • Und auch davon,
  • ob es nur ein anderes Gebiet im selben Land ist,
  • oder ein fremdes Land (Angenita, Susanne, Jans, Elke - Fragebogen)
  • oder (vor 1989) der Wechsel aus der DDR in die Bundesrepublik.

  • Strategien, nach denen Jutta (C07) fragt, gibt es wohl nicht. Und wenn, wie Peter (C08) anführt, die Akzeptanz an der Haustüre aufhört, dann bleibt man eben fremd. Maria B (Fragebogen) meint, dass es auf Wohlfühlen, Kontakte und gemeinsame Interessen ankommt. Und entscheidend ist, (Maria B A12), "dass man einen Ort hat, an dem man einer Gemeinschaft zugehört, in ihr anerkannt und mit ihr verbunden ist".
    Maria C. zitiert (C09) noch aus dem Vortrag Köhle-Hetzinger "... ob ich mich fürchten muss oder nicht". Sie meint aber auch, dass kaum beide Heimaten gleichbedeutend sein können, oder man in zwei Heimaten zuhause sein könne. Nach Angenita und Renate (Fragebogen) "kann man sogar mehrere Heimaten haben", und Angenita, die sich in Solingen, ihrer anderen Heimat, wegen ihrer Familie, ihren Freunden und der Landschaft wohlfühlt, "... fährt (immer noch) nach Hause" (C05). Volkmar (Fragebogen) "kann dazu nichts sagen". Dieter (C14) führt an, dass er eine "erste" und eine "zweite" Heimat habe, wobei man sich die "zweite" schaffen müsse, indem man sich in der zweiten Gemeinde aktiv betätigt, und fragt (A10), was eigentlich "heimisch, heimisch werden" bedeutet. Maria C. (C09), fügt zu der Frage "was muss ich tun, um woanders heimisch zu werden" hinzu, dass aber auch die Einheimischen einen Rahmen schaffen müssten.
    Peter (C18) erwähnt aus "Heimat" von Krockow, der seit zweiundvierzig Jahren in Göttingen lebt, dort studiert hat, Professor geworden ist, ein Haus gebaut und eine Familie begründet hat, und für den dennoch Pommern, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hat, Heimat ist. Hildegard (C20), die aus der DDR flüchten musste, hat zwei Heimaten: das Dorf ihrer Kindheit in Thüringen (und Erfurt, wo sie zur Schule gegangen ist) und das Oberbergische an der Sieg, wo sie nun seit 40 Jahren lebt. Zwei Heimaten zu haben, ist für sie Bereicherung. Maria C. (B21) zitiert eine Diskussion bekannter Persönlichkeiten (Böll, Blüm, Grass, Mitscherlich, Lemberg). Nur ein Beispiel daraus: als Grass zum ersten mal in seine Heimatstadt Danzig kam, heute Gdansk, nennt er zuallererst die Sprache, den Dialekt, die Art und Weise zu sprechen und Dinge zu benennen, die bei ihm Heimat und Heimaterinnerung wachrufen. Und Heimat wird einem ja nur dann bewusst, wenn man das alles verliert.
    Maria B (A12) führt aus Schlink (Statistische Umfragen) an: Heimat hat viele Orte, den Wohn- und den Geburtsort, den Ort an dem die Familie lebt, die Orte, wo Freunde leben. Jeder hat einen oder mehrere dieser Orte, und wenn man einen verliert, kann man an seiner Stelle einen anderen suchen. Angenita (B15) nennt Hermann Hesse und Novalis mit den Wegen, die zurück zur Heimat und damit zum innersten Wesen führen. Boris und Ulrich (B24) sagen in einer Diplom-Arbeit "Dimensionen der Fremdheit": Analog dem Begriff der Fremdheit weist auch der Heimatbegriff einen hohen Grad an Unbestimmtheit, Indeterminiertheit auf.

    Die Aussagen dazu, was bei der Feststellung "Hier ist meine Heimat" eine Rolle spielt (Frage (7) des Fragebogens) sind ziemlich einhellig. Dabei ist kein Kriterium, ob es "die Heimat" (die "erste") oder eine "andere" Heimat ist. Aufgeführt werden: Gefühl der Übereinstimmung mit den Lebensumständen, das passende soziale Umfeld (Renate). Hier sind mir Menschen, Sprache, Verhältnisse vertraut (Maria C). Volkmar fügt hinzu: die Kultur, der Stolz auf kulturelle Institutionen, bedeutende Persönlichkeiten, historische Traditionen, aber auch die Speisen und Getränke und vielleicht auch der Fußballverein. Für Peter stehen im Vordergrund der Arbeitsplatz, das Gefühl gemocht zu werden und sicher leben zu können, die Freunde und die Landschaft - und das muss auch für den Partner zutreffen. Dieter nennt die soziale Schicht, Denkweisen, Mentalitäten und Lebensgewohnheiten. Angenita fasst das alles noch einmal zusammen.
    Damit sind auch die in den Aussagen der Gruppe (C03) aufgezählten Kriterien (Landschaft, Arbeit, Vereine, Freunde) näher betrachtet worden. Und wohl auch die Frage (Angenita C05), ob sich bei zwei Heimaten Mentalität und Identität verändern.

    top  Seitenanfang


    Exil und Vertreibung, Einwanderer

    Es ist ein Unterschied, ob man freiwillig, aus verschiedenen Gründen, den Wohnort wechselt, oder dazu gezwungen ist, in ein anderes Land zu ziehen.
    Am Ende des zweiten Weltkrieges wurden Millionen Deutsche aus dem Osten vertrieben. Sie wurden (Angenita,
    B34) als gleichberechtigte Bürger aufgenommen und haben die neue Heimat akzeptiert, weil sie sich hier eine Existenz aufbauen konnten und weil sie die Heimat ihrer Kinder und Enkelkinder geworden ist. Die alte Heimat wurde aber nicht vergessen, die Sehnsucht nach ihr blieb. Zu diesem Verhältnis zur "alten" Heimat sagt Maria C (Lernreise) dass das Anknüpfen an die Vergangenheit nichts mit dem rechtskonservativen Heimat-Gedudel zu tun hat, sondern dass es positive Kraftquelle ist.
    Volkmar schreibt (C11) von einer Ausstellung in Leipzig "Fremde in Deutschland - Deutsche in der Fremde": Die Nachfahren der Hugenotten, die Ende des 17. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen sind, sind längst Deutsche geworden. Keine Bindung mehr an die Heimat ihrer Vorfahren. Ähnlich ist es mit den in der Periode der Industrialisierung eingewanderten Polen, und den im 18. und 19. Jahrhundert massenhaft nach Russland und Amerika ausgewanderten Deutschen. Der emotionale Wechsel von der alten zur neuen Heimat vollzieht sich in der 2. oder 3. Generation.
    Maria C (B29) war anlässlich der Debatte über die Doppelte Staatsbürgerschaft überrascht über die Unkenntnis oder Geringschätzung, mit der man den emotionalen Bindungen von Millionen in Deutschland lebender Ausländer an ihre Herkunftsfamilien oder Heimatländer begegnete. Sie sagt hierzu (Lernreise), dass sie befürchtet, dass wir Menschen, die hier eine Heimat finden können, vorschreiben (überstülpen) wollen, welche Emotionen sie haben sollten und welche Traditionen sie zu pflegen haben. Und Angenita (B15) schreibt zum Thema "Kinder der Migranten", dass sie in der Zwischenkultur leben: einerseits in der Kultur ihrer Eltern, andererseits lernen sie durch die Kontakte mit der neuen Gesellschaft andere Werte und Normen, andere Bedeutungen, die man Menschen, Dingen und Situationen zuschreiben kann.
    Madeleine (A22) berichtet zur Neu-Zusammensetzung der Bevölkerung in ihrem Dorf, dass die "Zugezogenen" der alten Liebe zur Heimat neuen Auftrieb geben. Die jungen Leute engagieren sich mit Begeisterung in der Gemeinde, wo sie heimisch wurden. Was sie nicht daran hindert, ihren Bindungen nachzuspüren. Ahnenforschung ist Mode geworden.

    "Heimat in Deutschland?" - so fragte der Titel einer Broschüre aus dem Jahr 1993, die die Aspekte des Umgangs mit Fremdenfeindlichkeit und Gewalt gegen Ausländer thematisierte.
    "heimat-in-deutschland.de", gefördert durch eine Anschubfinanzierung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, greift diese Idee als Internet-Projekt wieder auf, denn die Fragen zur Angst vor dem Fremden (auf beiden Seiten) und den Perspektiven des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft haben seitdem nichts von ihrer Bedeutung verloren. Und angesichts der aktuellen politischen Debatte um die Zuwanderung stellen sich heute weitere, ganz neue Fragen. Ziel von "heimat-in-deutschland.de" ist, diese Fragen zu sammeln und aufzubereiten, um sie für den Unterricht und für andere Interessierte zur Verfügung und zur Diskussion zu stellen. Das Internet als Plattform soll durch seine Interaktivität die Möglichkeit zum Dialog bieten, d.h. aktiv einen Beitrag für das Zusammenleben von "Hiesigen" und "Zugewanderten" zu leisten.
    Weitere Partner sind bedeutende deutsche Verlagshäuser, das Goethe-Institut, die Institute für Erwachsenenbildung und für Interkulturelle Kommunikation, und der Sprachverband Deutsch.
    http://www.heimat-in-deutschland.de/

    top  Seitenanfang      next  Zu den Beiträgen (auf neuer Seite)     back  Zurück      
    Forum  Zum Diskussionsforum