von Alfred Weiss
Blick auf das heutige Breisach
Breisach ist eine kleine Stadt am Oberrhein. Sie ist meine
Heimatstadt. An der Grenze zu Frankreich gelegen hat sie schon vieles
erdulden müssen. Hier meine Erinnerung an das Kriegsende 1945:
Für uns war der Krieg zu Ende, am 5. Mai 1945, irgendwo in Dänemark.
Jeder wollte möglichst schnell nach Hause. Zusammen mit zwei Kameraden
verließ ich unsere Einheit und machte mich auf eigene Faust auf den Weg
nach Deutschland. Um dem Gefangenenlager zu entgehen, arbeitete ich in
Flensburg auf einem Bergungsschlepper. Erst als sicher war, dass ich
gleich entlassen würde, meldete ich mich in einem Auffanglager. Das war
dann im August 45. Mit vom Engländer ausgestellten Entlassungspapieren
machte ich mich auf den Weg nach Breisach – zunächst nur bis Stuttgart.
Denn immer wieder hörte man, dass in der französischen Besatzungszone
heimgekehrte Soldaten trotz Entlassungsschein wieder festgenommen und
nach Frankreich verschleppt wurden.
Mit einem der wenigen Züge ging es von Karlsruhe in Richtung Freiburg.
In Offenburg hieß es dann aber bereits für alle „Aussteigen!“. Am
Ausgang stand ein kräftiger, groß gewachsener Schwarzer in französischer
Uniform, der die Ankommenden genau musterte. Ich war mit einer blauen
Marinehose, einem Hemd, einer zivilen Jacke sowie einer roten Krawatte
bekleidet. Auf dem Rücken trug ich allerdings einen großen, unförmigen
Seesack. Ob ein französischer Soldat aus Afrika wohl den Seesack eines
deutschen Matrosen kennen würde? Ich hatte Angst. Doch der Soldat ließ
mich passieren. Ich atmete auf. Die erste Schwierigkeit war überwunden.
Auf der Ladefläche eines Lastwagens (Holzvergaser) erreichte ich das
zerbombte Freiburg, von wo es, wiederum mit einem LKW, an den
Kaiserstuhl weiterging. Erst die letzten Meter des Weges nach Breisach
hatte ich zu Fuß zurückzulegen. Auf dem begegnete mir Heidi, ein Mädchen
aus der Nachbarschaft. Sie berichtete mir, dass mein Elternhaus zerstört
sei, Vater und Mutter jedoch noch lebten – in einer Wohnung in der
Rempartstraße. Ich musste sie also gar nicht lange suchen, sondern
konnte direkt zu ihnen gehen. Die Wiedersehensfreude war groß.
Die Lebensbedingungen nach dem Krieg
Heute kaum noch vorstellbar: die Zerstörung am Ende des Krieges;
Bildquelle: Stadtarchiv Breisach
Die Lebensbedingungen waren dagegen umso härter. Es gab fast nichts
zu essen. Meine Mutter machte oft zu Fuß den weiten Weg von Breisach bis
Tunsel oder Schlatt, um ein paar Kartoffeln zu erbetteln. Da man
Lebensmittelkarten nur bekam, wenn man arbeitete, musste ich zusehen, wo
ich mich nützlich machen konnte. Nur wo, wenn alles zerstört ist? Die
einzige Möglichkeit bot der Wiederaufbau des Breisacher Münsters.
Stadtpfarrer Hugo Höfler war es gelungen, aus der Schweiz Baumaterial zu
organisieren. Also wurde ich Hilfsarbeiter bei Maurermeister Gervas
Haury. Mit einer Gruppe von Arbeitern wurde ich nach St. Ottilien bei
Freiburg gebracht, um dort Gerüststangen zu schlagen. Geschlafen wurde
in der Gaststätte, wo wir auch verpflegt wurden.
Treffpunkt der Heimkehrer
Viel Arbeit gibt es beim Wiederaufbau; Bildquelle: Stadtarchiv
Breisach
Der Münster-Bauplatz wurde immer mehr zum Treffpunkt aus dem Krieg
zurückgekehrter Freunde und Kameraden. Es gab viel zu erzählen.
Natürlich trafen wir uns auch abends in dem einen oder anderen Haus,
allerdings nicht ohne Schwierigkeiten. Da um neun Uhr Sperrstunde war,
gab es regelmäßig Ärger mit französischen Militärstreifen. Auch wurde
mein Entlassungsschein gegen den französischen „Fiche Signaletique“
eingetauscht, was zur Folge hatte, dass ich mich jede Woche bei der
französischen Kommandantur melden musste. Später musste ich sogar jeden
Monat einmal nach Tuttlingen fahren, um mich dort zu melden.
Ein erster Eigenbau
Wohnen auch in Trümmern; Bildquelle: Stadtarchiv Breisach
Ein Freund hatte es da schlauer angestellt. Wenn schon auf dem Bau
arbeiten, dann wenigstens mit Lehrvertrag. Als Maurerlehrling galt er
unter uns Hilfsarbeitern schon als Fachmann, nicht zuletzt weil er auch
beim privaten Wiederaufbau anpackte. In seinem zerstörten Elternhaus in
der Muggensturmgasse war eine Betonterrasse unversehrt geblieben, die
das Fundament für ein Ein-Zimmer-Behelfsheim bildete. Wir sammelten
Backsteine in den Trümmergrundstücken, um damit die Wände hochzuziehen.
Auch geeignete Balken für den Dachstuhl und genügend unversehrte Ziegel
fanden sich in den Trümmern. Brunos Häuschen wurde viel bestaunt, war es
in der völlig zerstörten Stadt doch ein erstes Zeichen für einen
möglichen Wiederaufbau.
Link
Die in Freiburg erscheinende „Badische Zeitung“ hat 2005 zum 60.
Jahrestag eine große Zahl von Berichten über das Kriegsende gesammelt.
Diese sind nachzulesen unter:
http://www.badische-zeitung.de/aktionen/2005/dossiers/kriegsende/?page=2
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