Interview Reittherapeutin
von Hildegard Keller
Vorgaben zum Interview
Florian, ein Sohn der Familie Atterer wurde als Spastiker geboren. Er
war die „Ursache“ unserer Bekanntschaft. Das Interesse der Familie an
der Förderung ihres behinderten Kindes beeindruckte mich. Daraus
erwuchsen gegenseitige Achtung und manches Miteinander.
Zwischenzeitlich hat Frau Atterer die Ausbildung zur Ergo- und
Reittherapeutin absolviert und arbeitet mit Behinderten.
Vorstellung
Ida Atterer
Mein Name ist Ida Atterer. Ich bin 55 Jahre alt und arbeite in der
Heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe Senden Iller im
Fachbereich Ergotherapie, wozu das therapeutische Reiten zählt.
Schwerpunkt unserer Arbeit ist die ganzheitliche Förderung von Kindern
mit geistiger Behinderung.
Ich arbeite seit ca. 9 Jahren in diesem Beruf und dieser Einrichtung.
Anlass zu der Ausbildung war mein schwer behinderter Sohn mit
angeborener Spastik. Er wurde zu diesem Zeitpunkt bereits durch
therapeutisches Reiten behandelt..
Frage 1: Ihr Weg zum Beruf der Reittherapeutin?
Ein Pony gehörte bereits zu „unserer Familie“. Mit ihm wurde
wöchentlich eine Therapiestunde mit Florian durchgeführt. Als mir
bewusst wurde, dass die Lockerung der Spastik nur jeweils zwei Tage
anhielt, fasste ich den Entschluss, mich in Wochenendkursen im
therapeutischen Reiten fortzubilden, um Florian intensivere Hilfe geben
zu können.
Voraussetzung den Beruf der Reittherapeutin zu erlangen, war eine
therapeutische oder pädagogische Ausbildung.
Weil mir der Beruf der Ergotherapeutin am meisten zusagte, absolvierte
ich die dreijährige Ausbildung. Glücklicherweise hatte ich im Anschluss
die Möglichkeit als Ergotherapeutin auch Reittherapie durchführen
zu können.
In einer weiteren Zusatzausbildung erwarb ich mir die Lizenz der
Reittherapeutin.
Frage 2: Ihre Erfahrungen im therapeutischen Reiten?
Aktivität mit Reifen
Im Alltagsleben mit meinem Sohn erfuhr ich die positiven physischen,
psychischen und sozialen Fortschritte durch das therapeutische Reiten.
Diese Erfahrungen wurden mir Motivation zu meinem Beruf und in ihm.
Immer wieder erlebte und erlebe ich aufs Neue die vielfältigen
fördernden Auswirkungen der Reittherapie auf die geistige Entwicklung,
die körperliche Beweglichkeit und das soziale Verhalten der Betreuten.
Bei Spastikern z. B. reduziert sich die Muskelspannung, wodurch
der ergonomische Bewegungsablauf für zwei bis drei Tage verbessert wird.
Bei Hyperaktivität ADS (Konzentrationsschwäche) und ADHS
(Hyperaktivitätssyndrom) wird der überbordende Bewegungsdrang durch das
passive Bewegtwerden auf dem Pferderücken beruhigt. Der Betroffene kommt
zur Ruhe.
Bei Wahrnehmungsstörungen bietet therapeutisches Reiten
vielfache Fördermöglichkeiten zur Verbesserung der
- räumlichen Wahrnehmung (Raum- und Lagewahrnehmung)
- Oberflächenwahrnehmung (Taktizität)
- Tiefenwahrnehmung (Propriozeption)
- Balance und Koordination.
Bei Störungen im Sozialverhalten bietet therapeutisches Reiten
effektive Hilfe zum
- Aufbau des Selbstwertgefühls
- Abbau von Ängsten
- Vertrauensaufbau zum sozialen Umfeld durch die bedingungslose
wertfreie Annahme der Betroffenen durch das Pferd
- Gruppeninteraktion durch Pferd, Therapeut und PferdeführerIn
- Erhöhung der Lebensqualität durch die Freude mit und auf dem Pferd.
Frage 3: Ihr Resümee zur Arbeit als Reittherapeutin?
Vertrauensaufbau
- Förderung der Behinderten durch aktive Bewegung
- Bewegungserfahrung der Behinderten durch passives Bewegtwerden
- Vertrauen schaffen im Bewegungsdialog mit dem Pferd.
Die aufgeführten Erfolge und Erfahrungen des therapeutischen Reitens
beweisen seine Bedeutung für eine vermehrte Beweglichkeit im geistigen,
psychischen und physischen Bereich behinderter Menschen.
Abschluss
Frau Atterer, ich danke Ihnen für ihre Bereitschaft zum Interview.
Es gewährte vielerlei Einblicke in Ihren Beruf als Reittherapeutin, aber
auch in Ihr Leben mit einem behinderten Sohn. Ich wünsche Ihnen
den Erhalt Ihres Engagements und noch lange die Freude an Ihrem Beruf.
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