Völkerwanderungen
                                      von Anne Pöttgen
Völkerwanderung – das weiß doch jedes Kind: 375 bis 568 unserer Zeitrechnung. Aber wer alles gewandert ist und vor allem warum, darüber sind sich nicht einmal die Gelehrten einig.

Völkerwanderungen
Natürlich war die Wanderung, die die germanische genannt wird, nicht die erste und nicht die letzte große Wanderbewegung. Ein ganzer riesiger Kontinent wurde von Menschen, die sich – vielleicht – bessere Lebensbedingungen versprachen, neu besiedelt. Am Ende der letzten Eiszeit zogen Nordasiaten nach Osten und kamen im Westen Amerikas an. Welch gewaltige Energie hat sie bis Feuerland geführt?
Wie viele Millionen Europäer haben in der Neuzeit ihre Heimat verlassen und sind nach Übersee ausgewandert? Not in ihrer Heimat und manchmal auch Abenteuerlust haben zum Aufbruch geführt.
Und heute? Neun Millionen Flüchtlinge zählte das Flüchtlingshilfswerk UNCR im Jahr 2004.
Eine frühe Völkerwanderung beschreibt Herodot, die der Skythen. Ich gehe im letzten Abschnitt auf sie ein.

375
Klimaänderungen werden heutzutage häufig als Ursache dafür genannt, dass ganze Völker ihre Wohngebiete verlassen. So auch für den Aufbruch der Hunnen in den siebziger Jahren des vierten Jahrhunderts. Sinkende Temperaturen in ganz Europa sollen für eine Trockenheit gesorgt haben, und die Nahrungsgrundlage für ein Reitervolk verdorrte. Woher die Hunnen stammten? Vom Ende der Welt, wie die von ihnen Bedrängten damals sagten. Schriftliche Quellen gibt es nicht.
Im Jahre 375 unserer Zeitrechnung überschritten die Hunnen den Don und lösten damit die Völkerwanderung aus. Sie besiegten die Ostgoten, die unter die Fittiche des Oströmischen Reiches flohen.
Dass diese einzelne Aktion tatsächlich die Völkerwanderung ausgelöst haben soll, gilt inzwischen als unwahrscheinlich. So haben sich die Langobarden und die Vandalen erst zu einem anderen Zeitpunkt in Bewegung gesetzt, weit ab vom russischen Don.

Goten
Spuren der Goten findet man schon früh weit östlich der Sitze oder Wanderwege der übrigen Germanen. So heißt es bei Tacitus, dass sie zu Zeiten des Augustus im Bereich der Weichselmündung gesiedelt hätten. Er nannte sie Gotonen. Ob es sich tatsächlich um die späteren Goten handelt, ist, wie so vieles, unklar.
Im Jahre 251 nahmen sie Konstantinopel ein und töteten den oströmischen Kaiser Decius. 269 wurden sie von den Römern so vernichtend geschlagen, dass man über hundert Jahre lang nichts mehr von ihnen vernahm.
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Wanderung der Westgoten, Wikimedia Commons

Etwa um diese Zeit teilten sich die Goten auf in Westgoten und Ostgoten. Soviel bekannt ist, lebten die Westgoten sesshaft im Gebiet des heutigen Rumäniens, die Ostgoten lebten weiter als Nomadenvolk im Schwarzmeergebiet.
Erst nach dem Niedergang des weströmischen Reiches gelang es den Ostgoten, ein Reich zu gründen, es ist verbunden mit dem Namen Theoderichs des Großen, 454 (?) bis 526. Die Westgoten zogen nach Spanien, das im Jahre 625 ganz unter westgotische Herrschaft kam. 725 endete ihr Reich unter dem Ansturm der Mauren.

568
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Eiserne Krone der Langobarden, Wikimedia Commons

In diesem Jahr begründeten die Langobarden unter ihrem König Alboin ihr Reich in Nord- und Mittelitalien. Die Wanderungswellen waren zur Ruhe gekommen: 534 endete die Herrschaft der Vandalen in Nordafrika, 552 gaben die Ostgoten unter Totila und Teja auf, die Westgoten waren sesshaft in Spanien
Neben den Westgoten hatten die Langobarden also am Ende ihrer Wanderung ein neues Reich begründet, geduldet vom oströmischen Kaiser Justin II. Auch sie hatten eine lange Wanderung hinter sich. Sie waren um das Jahr 400 aus der Region an der unteren Elbe aufgebrochen, weit nach Südosten gezogen bis in das heutige Niederösterreich. Möglicherweise war bei ihnen die Klimaänderung ein Grund. Andererseits sind Völker wie die Angeln, Sachsen und Jüten aus noch nördlicheren Gebieten nicht nach Süden aufgebrochen sondern nach Westen.
Die Langobarden machten Pavia in der südwestlichen Lombardei zu ihrer Hauptstadt.

Vandalen
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Die Vandalen in Rom, Wikimedia Commons

Das Eindringen der Vandalen in das weströmische Gebiet ist sozusagen aktenkundig, es geschah in der Sylvesternacht 406 auf 407. Es war so wie an vielen Stellen des sterbenden Römischen Reiches: Wo die Römer ihre Truppen zurückzogen, nahmen Germanen die Gelegenheit wahr.
Von römischen Autoren werden Vandilier im Gebiet der Weichsel erwähnt, irgendwann um das Jahr 400 haben sie sich westwärts in Bewegung gesetzt. 409 zogen sie zusammen mit anderen Völkerschaften nach Spanien und schon 429 führte ihr König Geiserich sie nach Afrika. Sie erobern die dortigen römischen Provinzen und machten 439 Karthago zu ihrer Hauptstadt. Dank der eroberten Schiffe gehörten bald auch die Balearen, Korsika und Sardinien zum Reich der Vandalen.
455 eroberten und plünderten sie Rom, was ihren Namen im Zusammenhang mit dem Begriff Vandalismus „unsterblich“ machte. Zu Unrecht, wie man nachlesen kann.
534 kam das Ende, Ostrom unter Kaiser Justinian I. konnte Africa wieder zur römischen Provinz machen.

Eine frühe Wanderung
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Herodots Weltkarte, Wikimedia Commons

Wie ein Dominospiel beschreibt Herodot, 490/480 bis 425, eine frühe Völkerwanderung, nämlich die der Skythen: Die zentralasiatischen Arimaspen hatten die Issedonen verdrängt, die ihrerseits nun auf die Skythen pressten. Die Folge war, dass die Ureinwohner, die Kimmerer, von den Skythen verdrängt wurden.
Dass die Skythen tatsächlich weiter östlich gesiedelt hatten, lässt sich durch Sprachvergleiche festmachen. So ist das Skytische mit dem heutigen Ossetischen verwandt, was sich auf dem Umweg über griechische Urkunden im Zusammenhang mit Verträgen mit Skythen nachweisen lässt. Gestützt wird Herodots Darstellung auch durch archäologische Funde, die kimmerischen werden von den skytischen überlagert. Die Kimmerer ihrerseits fielen über die Türkei in den Vorderen Orient ein und werden in vielen Schriftzeugnissen erwähnt.
Abgespielt hat sich diese Völkerwanderung im 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Herodot will die Gebiete im Schwarzmeerraum selbst besucht haben.


Links
Karte der Völkerwanderungen
Die Goten
Die wanderlustigen Vandalen
Wanderungen der Skythen und Griechen
Sagen und Märchen der Völkerwanderungszeit


 
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