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Kulturelle Globalisierung
                                     von Lore Wagener      
Die kulturelle Globalisierung ist ein Phänomen, das von vielen Politikern und Wissenschaftlern kontrovers diskutiert wird. Die Diskussion hat viele Facetten und die Visionen reichen vom „Kampf der Kulturen“ bis hin zur „globalen Melange".

Was ist Globalisierung?

Einen exakten wissenschaftlichen Begriff gibt es nicht. Man findet in den Lexika mehrere Definitionen. Vielleicht kann man sagen, dass der Begriff einen Prozess beschreibt, der die Welt und ihre Bevölkerung auf vielen Gebieten enger miteinander vernetzt und der durch die fast unbegrenzt scheinenden technischen Entwicklungen vorangetrieben wird. Johannes Rau, unser früherer Bundespräsident, hat diesen Prozess im Jahre 2002 so beschrieben: „Was heute Globalisierung genannt wird, hat historische Wurzeln. Heute wird nicht mit einem Mal alles ganz anders, und doch erleben wir mehr als nur die Fortsetzung des Gehabten. Wir erleben Veränderungen von neuer Qualität. Wir sehen, dass sich internationale Beziehungen in bisher nicht gekannter Weise verdichten. Wir erleben das in der Wirtschaft, … im Verkehr und in der Kommunikation, in der Begegnung mit fremden Menschen und Kulturen, in Umweltfragen und in Rechtsfragen. Wir erleben, wie internationale Netzwerke entstehen.“
 
Definition von „Kultur“
Johannes Rau hat den Kulturbegriff weit gefasst. Es geht hier nicht um die Begegnung mit Kulturprodukten, wie Malerei, Literatur oder Musik. Es geht hier vielmehr um die Begegnung mit „fremden Menschen und Kulturen“, also mit Gesellschaften, die sich von unserer unterscheiden. Der niederländische Soziologe Geert Hofstede definiert den Kulturbegriff so: „Kultur ist die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen (Gruppe) unterscheidet“. Nach Hofstede prägen sich die Kulturunterschiede in einer Anzahl von Phänomenen aus, die sich in vier Kategorien einordnen lassen: Symbole, Helden oder Vorbilder, Rituale und Werte, wobei die Werte den Kern eines kulturellen Systems bilden. Kultur beeinflusst die Handlungen und Sichtweisen von Menschen und hat auch eine emotionale Dimension. Sie ist veränderbar und wird nur in wenigen Denkmodellen als statische Erscheinung gesehen.

Einflüsse durch Globalisierung
Kulturen wandeln sich durch äußere Einflüsse. Das ist nicht neu. Durch die Globalisierung werden die Prozesse aber dynamischer. Zum Beispiel sind die „Begegnungen“, von denen Rau sprach, durch die modernen Verkehrsstrukturen müheloser geworden, und so lernen viele Menschen auf ihren Geschäfts- oder Urlaubs-Reisen leichter andere Kulturen kennen. Auch die virtuellen Begegnungen, die durch die modernen Medien herbeigeführt werden, wirken weltweit stil- und meinungsbildend. Werbespots und Nachrichten verschaffen weltumspannend einen gleichen Informationsstand. Auch die Dominanz der großen internationalen Konzerne, die in allen Weltregionen ihre Produkte anbieten, bewirkt Veränderungen. Ein Beispiel hierfür ist die so genannte „Mc.-Donaldisierung“, die den Kindern prima schmeckt, uns aber über die Trivialisierung unserer Esskultur nachdenken lässt. Weitere Einflüsse resultieren aus der weltweiten Migration, die multikulturelle Gesellschaften entstehen lässt.

Kultur vor dem Kollaps
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Die Veränderungen sind gravierend. Kein Wunder, dass sich viele Soziologen damit befassen, zum Beispiel der Amerikaner Morris Berman. Der hat in seinem Buch „Kultur vor dem Kollaps“ seine Angleichungsthese erläutert. Er sieht eine Verwestlichung der Welt vor allem durch die aus den USA stammenden Kulturgüter, eine Art „Coca-Colonisation“. Berman beschreibt eine Zukunft, in der die Wirtschaft zunehmend die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen diktiert und alle nach Unabhängigkeit strebenden Bewegungen ausgrenzt. Er sieht ein globales System von Unterdrückung und Gleichmacherei, von dem auch die Medien betroffen werden. Die so stimulierte konsumorientierte Gesellschaft folge nur noch der Devise „Fit for Fun!“. Berman zieht Vergleiche mit dem Untergang des antiken Rom und hat Visionen von einer - wie er es nennt - monastischen (mönchischen) Option: Mönche sollten - wie im Mittelalter- das Wissen unserer Zeit für spätere (klügere?) Generationen bewahren.
 
Amerikanismus?
Berman erntet mit seinen Theorien natürlich Widerspruch. Andere Wissenschaftler warnen besonders vor einem ungeprüften Anti-Amerikanismus. Es ist zwar unbestritten, dass die großen US-amerikanischen Medien- und Warenkonzerne global dominierend sind, aber manche Experten führen das insbesondere darauf zurück, dass hier die Grundsätze des freien Marktes, wie Effizienz, Konsumdenken oder Fortschrittsglaube konsequent durchgesetzt wurden. Der deutsche Ethnologe Bernd Wagner sieht noch einen anderen Aspekt. Er meint, dass in den USA „im letzten Jahrhundert eine ästhetische Sprache entwickelt wurde, die über die ethnischen, sprachlichen und kulturellen Grenzen hinweg die unterschiedlichen Einwanderergruppen ansprechen musste. Dabei wurde die kulturelle Vielfalt nicht vollständig eingeebnet, sondern … es entstand jene Offenheit und Anschlussfähigkeit, die die globale Kultur heute kennzeichnet.“

Kampf der Kulturen
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Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington hat eine völlig andere These. In seinem Buch von 1996 „Kampf der Kulturen“ sieht er für das 21. Jahrhundert in der vernetzten Welt neue Konflikte entstehen, und zwar zwischen den Kulturen. Seine Theorie teilt die Welt in sieben Zivilisationen ein (chinesische, japanische, hinduistische, islamische, westliche, lateinamerikanische und afrikanische). Er prophezeit, dass es keine Auseinandersetzungen wirtschaftlicher Art mehr geben werde, sondern nur noch Konflikte zwischen Völkern oder Volksgruppen unterschiedlicher Kulturen. „Die Menschen sterben heute für ihre Religion.“ Einige Entwicklungen, wie der Balkankrieg oder der islamische Fundamentalismus, geben ihm Recht, andere aber nicht. Huntingtons Buch hat Schwächen und wird heftig kritisiert, obwohl es zum Bestseller wurde. Auf Politiker, wie George W. Bush, hatte es wohl großen Einfluss und vermutlich auch auf die Debatte zur deutschen Leitkultur.

Der Konflikt der Kulturen mit sich selbst
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Dem Huntingtonschen Konstrukt „Religion a + Religion b = Konflikt“ widerspricht der deutsche Friedensforscher Dieter Senghaas in seinem Buch „Zivilisierung wider Willen“. Er hält Konflikte oder gar Weltkriege über Glaubensinhalte zwischen den Großreligionen für unwahrscheinlich. Dagegen schließt er lokale Konflikte innerhalb der Kulturen nicht aus. Als Ursache hierfür sieht er den starken Modernisierungsdruck, der durch die Globalisierung in den traditionsbehafteten alten Kulturen entsteht. Dieser verursache Umbrüche und Verwerfungen, mit denen diese Gesellschaften erst noch fertig werden müssten. Für sie stelle sich vordringlich die Frage: „Wie schaffen wir die Brücke von unseren alten Traditionen zur Moderne?“ Senghaas verweist darauf, dass der Weg von der mittelalterlichen Magna Charta bis zu den heutigen Bürgerrechtsbewegungen auch in Europa lang und blutig war. Aber das „zivilisatorische Kunstprodukt Europa“ könne heute zur Nachahmung empfohlen werden.

Tanz der Kulturen
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Die beiden deutschen Ethnologinnen Joana Breidenbach und Ina Zukrigl haben nach Studien in verschiedenen Ländern 1998 ihr Buch „Tanz der Kulturen“ veröffentlicht. Mit den Methoden der ethnologischen Beobachtung versuchten sie herauszufinden, wie westliche Kultur in anderen Gebieten der Erde überhaupt verarbeitet wird. Und siehe da: Die Entscheidung fällt keineswegs zwischen Ablehnung oder Übernehmen - vielmehr werden westliche Kulturgüter in regionale Kulturmuster eingepasst mit anderen Interpretationen und anderer Wahrnehmung. Dadurch entsteht lokale Authentizität. Umgekehrt ist aber auch der Westen offen für östliche Kulturgüter. Ein triviales Beispiel ist der Döner-Kebab, der in Deutschland längst beliebter ist als die Hamburgers. So entsteht ein wechselseitiges globales Bezugssystem von Kultur, das die Autorinnen „Globalkultur“ getauft  haben. Eine der wichtigsten Regeln dieses neuen Referenzsystems müsste sein „keine Kultur ist weniger wert als die andere.“

Globale Melange
Breidenbach und Zukrigl beobachteten aber noch ein weiteres Phänomen: Die  Globalkultur wirkt wie eine gigantische Mischmaschine kultureller Einflüsse. Die Welt wird dadurch vielleicht an manchen Stellen flacher, gleichzeitig wird sie bunter. Durch Begegnung und Verschmelzung entsteht eine neue Vielfalt, deren Ausmaß uns noch gar nicht bewusst ist. Oder wie es der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie ausdrückte: "Melange, Mischmasch, ein bisschen von diesem, ein bisschen von jenem, auf diese Weise entsteht Neues in der Welt."
Andererseits beobachtet man auch, dass - wohl als Reaktion auf die Globalkultur - alte lokale Traditionen, die schon fast vergessen waren, wieder aufleben, ein neues Phänomen, das man „Glokalismus“ nennt.
Das sind erfreulichere Aussichten, die Johannes Rau bestätigen, der seine eingangs erwähnte Rede unter das Motto stellte: „Globalisierung ist eine Chance - kein Schicksal.“

Links
Berliner Rede des Bundespräsidenten von 2002

Geert Hofstede Kulturbegriff

Morris Berman: Kultur vor dem Kollaps

Bernd Wagner, Kulturelle Globalisierung

Huntington, Kampf der Kulturen

Senghaas, Der Konflikt der Kulturen mit sich selbst

Tanz der Kulturen

Bildquellen: Bucheinbände
 
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