Erfahrungsberichte

Verständigung in Kriegszeiten

Im Jahre 1940 konnte von europäischer Einigung keine Rede sein. Es herrschte Krieg. Mein Mann, Malermeister Wolfgang Eichenhofer, war zur deutschen Wehrmacht eingezogen worden und diente im besetzten Paris in einer Kompanie, die für Nachrichtenübermittlung zuständig war. Er beherrschte das Französische einigermaßen und hatte vielfach die Möglichkeit, für irgendwelche Vorgesetzte und deren Frauen in Paris einzukaufen, sei es Parfum, Stoffe, Lebensmittel und anderes.

Eines Tags blieb er an einem Laden stehen, in dem ein Kupferstecher-Atelier untergebracht war. Dort arbeitete ein Mann namens Rigal. Er druckte Radierungen, besonders Portraits von Dichtern und befreundeten Künstlern. Wolfgang Eichenhofer konnte nicht umhin, das Atelier zu betreten und die Radierungen anzusehen. Schnell kam er mit Monsieur Rigal ins Gespräch und erfuhr von der Not der Zivilisten im besetzten Paris. Was Rigal besonders traf, war der furchtbare Mangel an Ölfarben, die er für seine Drucke benötigte.

Mein Mann konnte seine Einkaufstouren jetzt um einige Adressen erweitern. Er hatte nun außer Lebensmitteln, Parfums und Stoffen nun auch Farben für Monsieur Rigal zu organisieren. Zwei bis dreimal wöchentlich besuchte er den Kupferstecher und brachte mit, was er bekommen konnte, auch Komissbrot, Fischkonserven und Öl, was in der besetzten Stadt damals nicht leicht zu bekommen war.

Mit der Zeit entwickelte sich eine Freundschaft zwischen der Familie des Monsieur Rigal und ihm. Sie sollte über Jahrzehnte fortbestehen. Im Jahre 1943 wurde mein Mann an die Ostfront nach Weißrussland versetzt. Auch hier war er im Nachrichtendienst eingesetzt. Lange Zeit nach Kriegsende, im Jahre 1970, als Eichenhofer einen Malerbetrieb aufgebaut hatte und finanziell einigermaßen abgesichert war, fuhr er nach Paris, um die Familie Rigal zu besuchen.

Der Empfang war herzlich. Die Verständigung funktionierte recht gut. Mein Mann und ich hatten an der Volkshochschule Französisch-Kurse besucht, um unsere Kenntnisse aufzufrischen. Die Erinnerungen an die schreckliche Zeit der deutschen Besatzung in Paris wurden mit Rigals nur kurz besprochen. Man unterhielt sich über Aktuelles, die Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft war schon beinahe zehn Jahre alt und deren Gründungsmitglieder waren Frankreich und Deutschland.

In den folgenden Jahren fuhren wir wieder nach Frankreich. Dieses Mal war die Normandie unser Ziel. Lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs blieb das Unbehagen, sich als Deutscher auszugeben. Der Meeresstrand der Normandie war übersät von Erinnerungen an den 6. Juni 1944, den Tag der Invasion der amerikanischen Truppen, die den Deutschen den Garaus machten. Mein Mann vertraute einem Hotelier an, er antworte auf die Frage, woher er stamme, immer: “Aus Österreich!” “Machen Sie das
ja nicht wieder,” riet ihm der Hotelier, “dieser Hitler war ja Österreicher!”

Familie Rigal sahen sie mehrmals wieder, auch an ihrem zweiten Wohnsitz südlich von Paris, in Fontainebleau, unweit des wunderschönen Schlosses. Diesen Besuchen folgte ein intensiver Briefwechsel, der jahrzehntelang dauerte, bis mein Mann im Jahre 1989 starb.


Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net



eingereicht von
Ruth-Johanna Eichenhofer
Kategorie
Begegnungen helfen verstehen
Datum
15.07.2009


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