Erfahrungsberichte

Litauen, mein Litauen ...

Hinter der Dornenhecke
Ein Land.
Kugelblitz durchschlaegt die Mauer.
Ein weiter Raum
Waechst.
Akkordeontoene im Kellerloch.
Erde.

Aus tausend Muendern
Vergangenheit,
Schwingt unter Blau,
Haengt in den Eiszapfenstraeuchern.
Ein Maedchen
Auf verschneitem Weg.
Der Schulranzen wippt.
Blonde Haare, geflochten.
Unten im Morgenlicht
Der Fluss.
Eisschollen in der Ferne.
Rauch.
Oh koennte ich

Schulglocke. Feierstunde.
Der Einzug des Kleinen
Auf den Schultern des Grossen.
Blumen. Naehe. Fremde
Sprachmelodie, vertrauter als

Wann werde ich

Als ich im im Herbst 1995 meinen Schuldienst in Litauen antrat, wusste ich nichts von
diesem Land. In keiner Weise war ich darauf vorbereitet, dass ich ueberwaeltigt werden
wuerde von Erinnerungen und Stimmungern aus den 50er Jahren meiner Kindheit in
Deutschland. Nicht nur die Schule, eine Mittelschule, wie ich sie in Berlin kennengelernt
hatte, sondern auch das Verhalten der Menschen, das Hilfsbereite und das Abweisende, ihre
Liebe fuer (auch und gerade deutsche ) Lieder, die Art des Kochens, ihre
Wohnungseinrichtungen. Ich hatte das Gefuehl, ein Stueck nicht vollendete Kindheit
nachholen zu koennen.
Wie schnell die Gesellschaft aus diesem Zustand herauswuchs, wie sich ueber die Jahre ihr
rasanter Anschluss an Mitteleuropa gestaltete - und welche ganz eigenen Zuege aus
frueheren Zeiten sich erhalten haben, loest bei mir noch immer ein staendiges Staunen
aus, auch jetzt noch, wo ich nur die Sommer hier verbringe. Das Fremde im Vertrauten, das
Vertraute im Fremden.  Die junge Generation in ihren gebildeten Teilen ist weltoffen,
sucht Jobs im Ausland, koennte in jeder europaeischen Stadt als eine der unsrigen
angesehen werden. Meine Generation, die aelteren, dagegen koennen ihre Praegung durch
viele Jahrzehnte Sowjetunion nur selten verbergen, auch sprachlich ist die Verstaendigung
schwierig. Wer von ihnen kann schon englisch oder franzoesisch sprechen oder ist bereit,
sein Weltbild zu veraendern, wenn sich nicht gleichzeitig auch die Lebensumstaende
verbessern. (Und das ist nicht immer und unbedingt der Fall.) Wenn man aus Deutschland
kommt, freut man sich ueber einen Adamkus aus Amerika an der Spitze, und noch mehr ueber
eine Grybauskaite als neue Praesidentin, die jahrelang ihr Land im europaeischen
Parlament vertreten hat.
Ich habe natuerlich andere Gruende, alle Jahre wieder in dieses Land zu fahren. Da sind
zum einen die Freunde, die treuen, die mir das Land zur zweiten Heimat werden liessen.
Aber das wuerde ein anderes Kapitel fuellen.... Habe ich doch da mein Grundstueck, wo ich
viele Monate in einer Landschaft existieren kann, die meine schoensten
Kindheitserinnerungen an ausgerechnet die Evakuierungszeit meiner Familie waehrend des
Krieges in Thueringen weckt. Ich beackere meinen Garten, als waere dies die letzte Chance
meines Lebens, und versuche in mancher Hinsicht in bescheidenem Rahmen das nachzuahmen,
was mich am Anfang so beglueckte: die litauischen Gaerten, wo sich auf engstem Raum ein
Meer von Blueten in allen Farben zusammendraengte, Staude an Staude, ohne Einfassungen
und Zaeune, soweit das Auge reichte.
Dieses Paradies ist vergangen, einem standardisierten Ideal von englischem Rasen, von
Korniferen eingefasst, gewichen. Einen einzigen litauischen Garten fand ich letztes Jahr
noch auf der Kurischen Nehrung, darin ein steinaltes Muetterchen. Als ich sie fragte, wie
sie mit ihrem ueppigen Blumengarten zurechtkaeme, seufzte sie und sagte, sie muesse ihn
wohl bald aufgeben, denn sie koenne weder Hilfe noch Nachfolger finden.
Was die Menschen allerdings bei noch soviel Anpassung an den Westen nicht ausschalten
koennen, ist das Licht, das dort die Sommer und einen Teil der Winter beherrscht:
blendendes weisses Licht, das alles zum Leuchten bringt. Es erzeugt keine flimmernde
Hitze,. sondern ein ueberirdisches Strahlen, das sich auf allen Blaettern spiegelt, die
Farben aufglaenzen laesst,, die Schatten vertieft und einem auf dem Hoehepunkt des
Sommers mit seinem Gleissen foermlich den Atem nimmt. Es ist unendlich anziehend und gibt
einem dabei das Gefuehl, sich schuetzen zu muessen.Grosse weite Himmel mit getuermten,
blendend weissen Wolken ueber einer unendlichen, sanft gewellten Landschaft in
vielfaeltigen Gruentoenen. Dieses Licht auf der Kurischen Nehrung: ihre beiden Kuesten
von Haff und Meer ein einziges Flimmern und Spiegeln und Leuchten in Blau und Weiss und
Grau und Silber und Tuerkis und Sonnengelb.
Wer koennte diesem Zauber widerstehen.


Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net



Adelheid Reichling
eingereicht von
Adelheid Reichling
Kategorie
Meine Heimat(en)
Datum
29.07.2009


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