Erfahrungsberichte
Als „Älterer Freiwilliger“ unterwegs in Europa
Eine Feststellung vorab: Nach einem abgeschlossenen Berufsleben sind Freiwilligeneinsätze von Senioren unabdingbar, um in dieser neuen Lebensphase aktiv und unternehmungslustig zu bleiben, Energie für neue Aktivitäten zu tanken und das Erfahrungspotential auch noch im Alter zu nutzen und zu erweitern. Es stimmt tatsächlich: Man ist nie zu alt, um Neues zu lernen.
Ich selbst bin mit 66 Jahren das beste Beispiel hierfür. Nach einem erfüllten Arbeitsleben sagte ich mir: Nicht nur die Jugend ist die Zukunft Europas, sondern auch die Älteren. Ergreife diese Chance und suche ein neues Betätigungsfeld.
Seit fünf Jahren bin ich als „Älterer Freiwilliger“ unterwegs in Europa. Ich bin in vielfältigen grenzüberschreitenden und europäischen Gremien als Berater und Experte eingebunden. Das „Deutsch-Französische Senioren-Netzwerk PAMINA“, einmalig in Europa, wurde von mir gegründet. 2007 bis 2009 war ich sein Präsident. Jetzt bin ich als Vizepräsident engagiert.
Dies alles ist vor dem Hintergrund von bislang sechs Freiwilligeneinsätzen in Europa zu sehen. Denn jede Theorie braucht praktische Erfahrung. Nunmehr bin ich Theorie und Praxis in einer Person.
Im Rahmen meiner Einsätze war ich vier Mal in Italien sowie jeweils einmal in Frankreich und in Deutschland. Dabei erledigte ich eine breite Palette von Arbeiten.
Bei meinem ersten Einsatz in der Toskana(Italien) war ich in mit dem Restaurieren und Malen von Türen, Fensterläden und Sitzbänken betraut. Dann habe ich einem Imker bei allen anfallenden Arbeiten mitgeholfen. Hinzu kamen Küchendienst, Gästebetreuung, Botengänge sowie Mitarbeit im landwirtschaftlichen Bereich. Bei meinem zweiten Einsatz in Grenoble(Frankreich) hatte ich drei Arbeitsschwerpunkte: die Mithilfe in der Küche, die Mithilfe beim Säubern und Reinigen der Gästezimmer sowie der Gemeinschafts- und Arbeitsräume und schliesslich die Mithilfe bei der gärtnerischen Pflege der Aussenanlage.
Die drei weiteren italienischen Einsätze in der Nähe von Florenz, Rom sowie Catania auf Sizilien waren eine körperlich sehr anstrengende Herausforderung. Ich leistete vor allem Bau-, Umzugs-, Küchen- und Reinigungsdienste. So war z.B. die Arbeit bei den sommerlichen sizilianischen Temperaturen von etwa 40 Grad immer sehr schweisstreibend. Wir errichteten aus schweren Vulkansteinen Stütz-Mauern, fertigten einen langen Sicherheitszaun, zimmerten einen Esstisch aus nicht ganz einfachem Holz, betonierten eine grosse Terasse unter erschwerten Bedingungen, legten eine Treppe aus alten Eisenbahnschwellen an, beschafften und bereiteten Heizmaterial aus Olivenkern-Trester auf, das wir dann in Säcke füllten und hatten vielfältige Aufräum- und Säuberungsarbeiten zu erledigen. Interessant war schließlich der deutsch-französisch-polnische Einsatz bei der Weinlese im rheinland-pfälzischen Minfeld(Deutschland).
Alles in allem war dies eine breite Einsatzpalette, die volle Arbeit mit beiden Händen bei guter und gesunder Konstitution erforderte. Genau auf mich zugeschnitten als ein nicht zu sehr vergeistigter, sondern eher bodenverbundener Mensch mit der Freude für körperlichen Einsatz.
Meine Erfahrungen bei diesen verschiedenen Freiwilligeneinsätzen in Europa kann ich in sechs Punkten zusammenfassen:
(1) Freiwilligeneinsätze von Senioren sind nach einem abgeschlossen Arbeitsleben ein neuer kreativer und zukunftsweisender Lebensabschnitt. Die Chance muss man nutzen, wenn man in dieser Phase nicht verkümmern möchte.
(2) Freiwilligeneinsätze sind nicht nur im eigenen Land, in der eigenen Stadt sinnvoll. Der europäische Aspekt bringt zusätzlich die interkulturelle Komponente mit zum Tragen und stärkt das gegenseitige Völkerverständnis. Freiwilligeneinsatz im Ausland ist daher ein Beitrag zur
Friedenssicherung.
(3) Freiwilligeneinsätze sollten immer generationsübergreifend ausgelegt sein. Das Miteinander von Jung und Alt ist durch nichts zu ersetzen und hat einen unwahrscheinlich hohen und zudem kostenlosen Anti-Aging-Effekt. Trotzdem sollte man den Kontakt auch mit der eigenen Generation
pflegen.
(4) Freiwilligeneinsätze verlangen von den Senioren ein hohes Mass an Kompromissbereitschaft, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Senioren als Bedenkenträger sind für Freiwilligeneinsätze nicht geeignet.
(5) Bei der Entscheidung für einen Freiwilligeneinsatz sind das Eignungs- und das Anforderungs- potential genau zu prüfen und in Einklang zu bringen. Gelingt dies nicht, so sollte man von einem Freiwilligeneinsatz Abstand nehmen, um keine unliebsamen Überraschungen und Enttäuschungen zu erleben.
(6) Bringt man schliesslich als Senior für einen Freiwilligeneinsatz die geforderten Voraus- setzungen mit, dann wird man in hohem Masse belohnt und kehrt innerlich bereichert nach Hause. Man wird beflügelt für neue Taten. Das ist das schönste Geschenk in dieser neuen Lebensphase.
Rückblickend kann ich sagen, dass sich alle meine Erwartungen bei den bislang sechs Freiwilligeneinsätzen in Europa erfüllt haben:
- ich habe neue Erfahrungen gesammelt und andere Kulturen schätzen gelernt,
- ich habe viele neue Freunde gewonnen und meinen Horizont erweitert,
- ich bin ein zufriedener und glücklicher Mensch geworden.
Für mich ist jetzt in dieser neuen Lebensphase das Miteinander von Jung und Alt das wichtigste Element in all meinen weiteren Aktivitäten. Dieses Miteinander ist durch nichts zu ersetzen und hat einen erfrischenden und aufbauenden Effekt. Ich freue mich auf all das, was ich zukünftig als „Älterer Freiwilliger in Europa“ erleben darf.
Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net


