Erfahrungsberichte

Gelebtes Europa – Eine Hochzeitsrede

Liebes Brautpaar, liebe Gäste!

Es ist ja der Sinn einer Hochzeit, dass sie Verschiedenes zusammenführt. Aus Individuen wird ein Paar, aus dem wieder Individuen hervorgehen, aber mit einer ganz neuen Kombination von Eigenschaften. Soweit alles ganz normal. Und doch ist diese Hochzeit so normal nicht, und dazu brauchen wir uns nur umzuschauen: Da sind nicht nur Deutsche aus allen Gegenden, da sind auch jede Menge Kroaten, deine Familie, Marinko. Da ist der Engländer Andrew, der mit deiner Schwester, Anja, bald nach Amerika ziehen wird und deren Kind, unsere Enkelin, zweisprachig aufwächst. Und ein paar Bayern gibt es da auch noch…
Über diese Art Mischung möchte ich ein paar Worte verlieren.
Das fängt schon mit unserem Namen an: Toporski. Der ist, Marinko, um kein bisschen deutscher als deiner: Kalfic! Der älteste Vorfahre, von dem ich weiß, nannte sich Klingbeil-Toporski, wobei Klingbeil eine etwas verschönerte Übersetzung von Toporski ist. Er war ein Pole, der sich, wohl im Verlaufe der Polnischen Teilungen, zum Deutschtum bekannte und seinem Namen die deutsche Entsprechung angefügt hatte. Obendrein gibt es ein Familienwappen, das in einem Buch über alte polnische Wappen auftaucht. An unserer polnischen Herkunft ist nicht zu zweifeln.,
Und dann die anderen Großeltern: Welsch: Auch dieser Name sagt etwas über die Herkunft, denn die Welschen, das waren die, die aus südlichen Ländern kamen, Italien etwa, oder Frank¬reich. Unter deren Vorfahren taucht auch noch der Name Bezani auf, mit Sicherheit italienisch.
Dann sind wir also gar keine Deutschen, oder? –Im Gegenteil, wir sind typisch deutsch! Und auch eure Ehe, Marinko und Anja, wird typisch deutsch sein. Denn "Deutsch", das ist seit je ein buntes Gemisch. Wer hat hier nicht alles gewohnt! Da waren die Jäger aus grauer Vorzeit, ver¬drängt von Kelten und Slawen, die Germanen kamen, die Römer fielen ein, die Hunnen stürmten über uns hinweg. Später waren die Schweden da, dann die Franzosen und in jüngerer Zeit noch Amerikaner und Russen. Und all die haben sich eben nicht immer nur die Köpfe eingeschlagen, die hatten auch, sobald die Schlägerei vorüber war, Angenehmeres zu tun! Und das alles hat natürlich seine Spuren hinterlassen. Die „Deutsche Rasse"? – Straßenköter sind reinrassiger!
Aber es geht nicht nur um die Herkunft unserer Gene, es geht auch um unsere Kultur. Die Römer haben tiefe Spuren hinterlassen, die Iren, denen wir die Christianisierung verdanken, später dann die Franzosen, die Engländer. Man braucht sich nur die deutsche Sprache anzusehen, um zu er¬kennen, wer hier alles Einfluss genommen hat. Deutschland ist immer ein Land gewesen, dessen Kultur in besonderem Maße in die Europas verflochten war. Und nebenbei vielleicht ein Blick auf die deutsche Küche: Wir würden wohl noch immer Weißwurst mit Senf oder Spätzle mit Kraut fressen, gäbe es da nicht die Italiener, Chinesen, Türken und all die anderen, die unseren Geschmackssinn bereichert haben! Nicht zu vergessen die Franzosen und Spanier mit ihren Weinen.
Was da passiert ist und immer noch passiert, ist eine ungeheure Befruchtung, ist das Aufnehmen einer Vielfalt von Einflüssen, die aus eigener Kraft hervorzubringen ein einzelnes Volk gar nicht imstande gewesen wäre. Und Befruchtung eben nicht im bloß biologischen, sondern gerade auch im kulturellen Sinn – auch wenn das dem jungen Römer, der gerade mit einem Germanenmäd¬chen poussierte, wahrscheinlich ziemlich egal gewesen sein wird! Der ganze Reichtum unserer Kultur wäre nicht denkbar ohne die vielen "Fremden". Diese Fremden nämlich waren nur fremd, als sie kamen, und sie wurden Teil von uns, indem sie blieben oder uns ihre Fähigkeiten hinter¬ließen.
Ihr führt das nun fort. Und nicht nur ihr, denn auch alle deine Geschwister, Marinko, sind mit Deutschen verheiratet, und deine beiden Geschwister, Anja, leben in England und eines davon ist mit einem Engländer verheiratet. Eine Ehe ist immer die Vereinigung von Ungleichem. Genau darin liegt ja ihre Chance: Dass Neues aus Verschiedenem erwächst, dass etwas entsteht, was es vorher nicht gegeben hat, dass ein Ganzes entsteht, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Um dieses Mehr geht es. Um diese nicht in Prozent auszudrückenden Zinsen.. Macht was aus eurem nord-süd-europäischen Kapital! Werdet in diesem Sinne so reich ihr könnt (im monetären natürlich auch!). Und ich wünsche euch, dass ihr einmal, so wie Dagobert Duck sein Gold, euer Glück nur noch so umschaufelt.
Macht’s gut miteinander!

PS.: Inzwischen gibt es in dieser Familie drei Mädchen. Zwei sind südeuropäisch dunkel und eins ist nordeuropäisch hell.


Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net



eingereicht von
Werner Toporski
Kategorie
Mit interkultureller Brille betrachtet
Datum
26.11.2009


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