Dr. Erna Subklew, ViLE
Die „Gastarbeiter" kommen nach Deutschland
Ich möchte
zunächst eine kurze Beschreibung der Situation der ausländischen Mitbürgerinnen
und Mitbürger geben, die seit Mitte der fünfziger Jahre als Arbeitskräfte nach
Deutschland kamen: Aus welchem Lande sie auch angeworben wurden, die Zeit in
Deutschland sollte nur eine vorübergehende sein. Die meisten von ihnen waren in
der Absicht hierher gekommen, die in der Heimat bestehenden ökonomischen
Schwierigkeiten, meist bedingt durch Landflucht, durch die Annahme des
Angebotes der Anwerbekommission, in einer kurzen Zeit beheben zu können. Je
nach Situation wollte man den Eltern bei der Abtragung der Schulden helfen,
sich selber ein Häuschen, ein Stück Land oder einen Traktor kaufen. Wenn
möglich, auch noch einiges Geld zu sparen, so dass man nicht mehr die Angst vor
dem haben musste, was der nächste Tag bringt. Bei Marokkanern gab es sogar den
Fall, dass ein einziger Gastarbeiter das Überleben eines Dorfes ermöglichte.
Als man merkte, dass das gesetzte Ziel nicht so schnell zu erreichen war,
begann man die Familien nachzuholen. Das bewirkte, dass man mit einer noch
längeren Zeitspanne, als man geglaubt hatte, rechnen musste. Das Leben mit der
Familie war wesentlich teurer. Wenn man vorher vielleicht in einer
Firmenunterkunft gewohnt hatte, musste man nun für eine Wohnung sorgen. Kleider
und Nahrung verschlangen einen großen Teil der Einkünfte. Und dies, obwohl man
durch den Ehepartner meist noch eine Arbeitskraft dazu gewonnen hatte.
So vergingen die Jahre und man wurde älter. Inzwischen ist die erste Generation
grau geworden. Je nachdem zu welcher Nation man gehört, lebt man z. Teil schon
30 oder gar 40 Jahre hier und ist in Rente.
1980 rechnet man noch damit, dass ca. 40% der ausländischen alten Mitbürger in
die Heimat zurückkehren werden, aber bis 1993 war der Anteil bereits auf 17%
gesunken und er dürfte heute noch niedriger liegen.
Die Migranten haben ihre Lebensgewohnheiten geändert, man lebt längst nicht
mehr so spartanisch wie zuvor, hat einen Garten, erwirbt Wohnungseigentum. Man
hat hier seine Bekannten, seine Verwandten, seine Moschee oder Kirche und
möchte nun seinen Ruhestand genießen. Man hat auch festgestellt, dass man im
Herkunftsland auch nicht mehr so erwartet wird wie früher. Viele der
Gleichaltrigen sind aus den Dörfern weggezogen, man ist sich entfremdet, die
Verwandten gestorben. Die Ansichten über viele Dinge sind unterschiedlich. Man
ist längst davon überzeugt, dass der Lebensmittelpunkt in Deutschland liegt,
denn hier leben die Kinder und die Enkel, auch wenn man manchmal noch von einer
Rückkehr träumt.
Als man aufgrund von Umfragen feststellte, dass die wenigsten der ausländischen
Senioren zurückkehren werden, dachte man zunächst daran, dass diese sich in die
bestehenden Senioreneinrichtungen integrieren würden. Leider traf das meistens
nicht zu. Nur wenige der ausländischen Senioren trifft man in den deutschen
Altenclubs an und wenn schon, dann vorwiegend Frauen.
Zum einen ist es in den Ländern aus denen die Migranten gekommen sind, vor
allem zu der Zeit als sie weggingen, noch nicht Sitte gewesen, zwischen den
Generationen zu trennen. Sie kamen ja aus vorwiegend agrarisch geprägten
Ländern. Zum anderen war die Schwelle, die man bei den bestehenden Clubs zu
überwinden hatte, sehr hoch. So entschlossen sich die sozialen Einrichtungen,
die bisher schon die einzelnen Ethnien betreuten, wie die Caritas, die
Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz, der Evangelische Wohlfahrtsverband
usw. Angebote für die Älteren der einzelnen Länder zu machen, z.T. gründeten
die Älteren auch selber diese Vereine. Die Betreuer und Betreuerinnen suchte
man meist aus der gleichen Ethnie. Wenn auch Senioren der anderen
Nationalitäten willkommen sind, so bleibt man doch ganz gern unter sich. Man
kann sich in seiner Muttersprache eben doch viel ungezwungener unterhalten.
Es kommt aber vor, dass man sich zu den Feiertagen einlädt.
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