Hanna Müller, ViLE

Interkulturelles Lernen

Kultur
..Frau Meier macht auf Kultur..
..was ist denn deine Kultur..
..Joghurtkulturen..
..das Kulturamt der Stadt Ulm..*

Der Ursprung des Wortes Kultur liegt im lateinischen Verb colo, colui, coltus und hat zwei Bedeutungen: 1. pflegen, bebauen, bestellen und 2. anbeten.
Im Gebrauch des Wortes werden vier Bedeutungen unterschieden:
1. Kultur im agrarwirtschaftlichen Sinne: z.B. der Anbau von Getreide...
2. Kultur im Sinne von Kreativität und Kunst: Oper, Theater...
3. Kultur im Sinne der Lebensart und Kultiviertheit eines Menschen: Pflege von Höflichkeit und Benehmen...
4. Kultur im Sinne der Kulturen von Völkern: Brauchtümer, Sitten, Rituale...
Die ersten beiden Deutungen erscheinen gegensätzlich und unvereinbar. Kultur steht aber in engem Verhältnis zur Umwelt. So ist z. B. die lange Mittagspause in den Mittelmeerländern auch für uns einleuchtend.

Kulturbegriff
In der Wissenschaft ist der Kulturbegriff heute kein geschlossenes System mehr. Ein "Kulturvolk" kann durchaus aus vielen "Subkulturen" bestehen. Es werden unterschiedliche Definitionen verwendet:
- Kultur als Strategie zur individuellen Daseinsbewältigung
- Kultur als Landkarte, die bei der Orientierung in unserer Umwelt hilft
- Kultur als Teil der Hochkultur, als Lebensform, Lebensstil als domestiziertes  Naturphänomen
- Kultur als gültiges Sinnsystem für eine Gruppe, eine Nation, in dem Menschen gemeinsames Wissen und Erwartungen an das Verhalten der Mitglieder teilen. Diese Ansichten erleichtern Orientierungen und strukturieren die komplexe Welt

Normen und Werte
Im weiten Sinne könnte man die Bedeutung der Regeln, Normen und Werte, die einer Kultur zu Grunde liegen, mit der Rolle der Grammatik für eine Sprache vergleichen. Die grammatischen Regeln - vor allem in der Muttersprache - nehmen wir meist gar nicht mehr wahr. Wir haben sie verinnerlicht und bilden Sätze ohne erst die richtigen grammatischen Regeln auszuwählen zu müssen. Genauso wirkt Kultur bis in den kleinsten Lebensbereich eines Menschen hinein, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. So ist zu erklären, warum es beim Reisen in fremde Länder oftmals zu einer Orientierungslosigkeit kommen kann. Die Flut von Informationen muss verarbeitet werden, kann sie aber nicht, weil die bisherige Zuordnung nicht mehr funktioniert. Plötzlich fehlt die Fähigkeit zur geistigen Vorwegnahme des Verlaufs von künftigen Situationen zum Verhalten von Menschen.

Das Eisbergmodell
Wie beim Eisberg liegt nur ein geringer Teil unserer Kultur über der Wasseroberfläche, ist somit sichtbar. Der größte Teil bleibt jedoch unsichtbar. Bewusst sichtbar sind: Essen, Musik, Sprache, Kleidung, Gestik, Raumempfinden, Raumaufteilung, Auffassung von Gerechtigkeit, Ehre, Liebe, Humorempfinden... Unbewusst und unsichtbar sind: Schönheitsideale, Erziehungsideale, Höflichkeitsformen, Auffassung von Dominanz und Zurückhaltung, von Religion und Tradition... Man könnte sagen, dass zur Kultur im weitesten Sinne Moscheen und Kirchen genau so gehören wie die Art und Weise einer Geburtstagsfeier. Erst durch Hinsehen, Nachfragen, Deutungsversuche, durch Infragestellen des eigenen Bezugssystems können nach und nach nicht sichtbare Teile ins Bewusstsein gelangen.

Interkulturalität
Zu unterscheiden sind die Begriffe interkulturell und multikulturell: Multikulturell meint das Nebeneinander von Menschen mehrerer Kulturen; interkulturell aber bezeichnet die Tatsache, dass kulturell unterschiedliche Menschen miteinander agieren. Auf interkulturelle Situationen treffen wir immer dann, wenn Austausch- und Lernprozesse zwischen Menschen stattfinden. Für solche Begegnungen ist es wichtig, unsichtbare kulturelle Strukturen an die Oberfläche des Eisbergs zu holen. Dieser Prozess muss von beiden Partner/innen oder Gruppen gewollt und geleistet werden. Genaue Kenntnis unserer eigenen Wertehaltungen und Normen macht es möglich, das Fremde nicht nur wahrzunehmen, sondern auch einzuordnen. Danach können wir neue und zunächst fremd anmutende Sinneseindrücke in Beziehung zu Vertrautem setzen ohne sofort positiv oder negativ zu werten.

Kompetenztraining
Was ist interkulturelles Kompetenztraining? Was soll das? Für wen und wozu? Gute Fragen, doch gibt es auch gute Antworten. - Eine der möglichen Antworten liegt wohl in dem Leitgedanken dieses Trainings: "Jeder Mensch ist anders anders oder" "Alle anders - alle gleich". Vor-Urteile beherrschen unseren Alltag. Vorläufige Einschätzungen und Orientierungsmuster erleichtern Entscheidungen ohne lange Denkpausen. Ein vorläufiges Urteil wird dann zum Vorurteil, wenn Begegnungserfahrungen mit einem Menschen fraglos dem Volk, der Kultur, der Religion angelastet werden. Während der Prozess einer Verallgemeinerung kaum kognitiven Aufwand kostet, verlangt Interkulturelle Kompetenz gleichermaßen Konfrontation wie auch Akzeptanz von Unterschieden.

Konflikte
Intrakulturelle Konflikte auszuhalten bedarf hoher Reflexionsfähigkeit und wertschätzendem Verhalten. Sich hierüber gemeinsam auseinander zu setzen benötigt Empathie und emotionale Intelligenz. Das Interkulturelle Kompetenztraining befasst sich deshalb intensiv mit diesem Phänomen und versucht anhand von Fallbeispielen und ausgewählten Modulen der Realität in unserer globalisierten Welt Rechnung zu tragen. Es gilt zu lernen angeborene Problemlösungen zu verändern, weil sie – unhinterfragt - zum Scheitern in neuen Umgebungen führen müssen. Wichtig für das Umgehen mit Kulturen ist vor allem die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur. Im Fremden das Vertraute zu entdecken bedarf des Trainings. So hilft ein Interkulturelles Kompetenztraining auch auf Reisen Türen zu fremden Ländern zu öffnen. Ein solches Training wird immer auf die Zielgruppe und deren Wünsche und Erwartungen zugeschnitten.


Näheres Interesse
Leser/innen mit Interesse an differenzierten Informationen zum Interkulturellen Kompetenztraining können sich gern an die Autorin wenden. Es würde den Rahmen dieses Artikels überschreiten, wenn auch nur ein geringer Teil der unterschiedlichen Gestaltungsformen eines solchen Trainings beschrieben werden sollte. Wie erwähnt kommt es vor allem darauf an Wünsche, Erwartungen, Bedingungen u.v.m. mit der jeweiligen Zielgruppe zu klären. Ein direkter virtueller Kontakt für eine Vorauswahl verschiedenster Angebote ist daher unerlässlich. Da die Autorin gemeinsam mit Migrantinnen bereits Interkulturelle Seminare durchgeführt hat und durch die Interaktionen in den einzelnen Gruppen lernen konnte, ist die Bereitschaft zu einem intensiven Austausch mit InteressentInnen auf jeden Fall vorhanden.

Literatur/Links
Kulturbegriff, Franziska Zeisig, hrsg. AriC Berlin e.V.: http://www.aric.de/
Fremdheit als Metapher, Michael Krämer: www.drmkraemer.de/FREMD.HTM
Interkulturelles Kompetenztraining: www.josefstal.de/methoden/interkult1.htm
Integration: http://www.integra-sib.org/
Film über die Lebenslage der Migrant/innen "Deutschland - wäre meine richtige heimat ...": http://www.die-unmuendigen.de/
Interkulturelle Kompetenz: http://www.ikubiz.de/
Abschlussbericht "MigrantInnen in der Altenpflege"
Telefon: 0621-14730, Fax: 0621-14750, E-mail: kontakt@ikubiz.de
Interkulturelles Lernen - Arbeitshilfen für die politische Bildung -, hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin oder Stuttgart
Interkulturelle Kompetenz: Ein neues Anforderungsprofil für die soziale Arbeit, Hinz-Rommel, Wolfgang, Münster, New-York
Siehe auch den Artikel "Mit geschärftem Blick" von Hanna Müller über das "ikubiz" in der Rubrik Erfahrungsberichte.

Stand Juli 2009

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