Dr. Erna Subklew, ViLE
Multikulturalität - Interkulturalität - Transkulturalität
Einwanderungen
in Deutschland gab es immer. Warum haben wir jetzt anscheinend größere
Schwierigkeiten als früher? Liegt es an der Bildung der Nationalstaaten, auf
die man im 20. Jahrhundert so großen Wert legte? Hier folgt die Klärung einiger
der heute kursierenden Fachausdrücke:
Multikulturalismus
Multikulturalismus bezeichnet das Neben- oder Miteinander verschiedener
Kulturen in einer Gesellschaft. Dabei wird die Kultur als die Gesamtheit aller
Merkmale verstanden, die das soziale, wirtschaftliche und geistige Leben einer
ethnischen oder religiösen Gruppe ausmachen. Der kreative Aspekt und ihre
schöpferische Dimension sind dabei wesentlich. Eine genauere Definition von
Kultur erweist sich in den westlichen Demokratien als schwierig. Durch die
weitgehende Individualisierung der Lebensstile bildet im Idealfall die Bejahung
der demokratischen Werte allein bei allen Mitgliedern der Gesellschaft die gemeinsame
Leitkultur.
Man kann zwei Formen des Multikulturalismus unterscheiden:
Die Form des liberalen Multikulturalismus, geht davon aus, dass rechtliche,
soziale und politische Diskriminierung der Idee des liberalen
Multikulturalismus entgegensteht und daher die strikte Einhaltung von Bürger-
und Menschenrechten fordert. Darüber hinaus soll es eine Unterstützung der
kulturellen Gruppen als Voraussetzung für das Wohlergehen des Einzelnen geben,
um die eigene Identität wahren zu können. Gleichzeitig muss es aber, um eine
funktionierende Gesellschaft zu gewährleisten, eine gemeinsame funktionierende
politische Kultur als Grundlage geben.
Der radikale Multikulturalismus lehnt diesen gemeinsamen Rahmen der politischen
Kultur ab. Die eigene Identität erwächst nur aus der Mitgliedschaft zu einer
kulturellen Gruppe, deren Überleben garantiert werden muss. Die politische
Selbstbestimmung der Gruppen und die Gruppenrechte müssen in der Gesellschaft
garantiert sein. (Quelle :Wikipedia)
Multikulturalität
Der Begriff „Multikulturalität" lässt die meisten von uns Deutschen sofort an
die Arbeitsmigration denken. Daran, wie die ausländischen Arbeitskräfte
aufgrund des Arbeitskräftemangels ins Land geholt wurden. Sie kamen seit Ende
der 50er Jahre aus den verschiedenen Anwerbeländern: Italien, Spanien,
Griechenland, der Türkei, Jugoslawien, Portugal und Marokko. Dabei war das
Bleiben anfangs weder von den Ankommenden noch von den Aufnehmenden geplant,
noch gewünscht. Sie sind gekommen und geblieben und sind noch immer die Fremden.
Man denkt aber auch an die vielen
Asylanten, die hier Zuflucht suchten vor den Gefahren, die sie in ihrem
Land für Leib und Leben befürchten mussten.
Erst in einem zweiten Gedanken kommen wir darauf, dass Multikulturalität auch
durch unsere vielen Reisen ins Ausland entsteht. Vor allem aber tragen die EU
und deren Erweiterung, die neuen technischen Entwicklungen, die Globalisierung
und eine insgesamt höhere Mobilität dazu bei, dass unterschiedliche Kulturen
miteinander in Berührung kommen.
Wir Deutschen tun uns mit der Multikulturalität besonders schwer. Wir hatten
doch kaum Minderheiten in Deutschland, oder aber solche, bei denen wenigstens
die Religion, die gleiche war wie die unsere: Sorben, Friesen, Polen. Daher
glaubte man zunächst auch, das Integrationsproblem mit den „Gastarbeitern"
würde sich fast von selbst lösen.
Andere europäische Staaten, wie Österreich, Frankreich und Holland haben wegen
ihren anderen historischen Voraussetzungen mehr Übung im Umgang mit ihren neuen
Minderheiten.
In der Kultur gibt es aber auch Bereiche, bei denen die Multikulturalität kaum
eine Rolle spielt: Musik, Malerei, Literatur.
Multikulturalität - Interkulturalität
Als man die Vielfalt der verschiedenen
Ethnien und ihre Kulturen wahrnimmt, rechnet man zunächst damit, dass die Zeit
die Frage der Unterschiedlichkeit lösen wird. Man denkt, dass in absehbarer
Zeit eine Angleichung an die Kultur der einheimischen Bevölkerung erfolgen
wird, wie es mit den ins Rheinland eingewanderten Polen gewesen ist. Dabei
vergisst man, dass viele der Einwanderer aus Staaten kommen, in denen die
nationale Identität eine größere Rolle als bei uns spielt. Dieses
Nationalbewusstsein wird oft verstärkt durch die eigene Religion. Man kann
daher nicht erwarten, dass sich die meisten Einwanderer ohne weiteres
integrieren oder gar assimilieren werden.
Eins aber ist sicher, wenn sie Bürger dieses Landes sein wollen, müssen sich
die Einwanderer bis zu einem gewissen Grade integrieren. Sie müssen die Sprache
sprechen, sie müssen die gleiche Ausbildung haben, um damit die gleichen
sozialen Chancen zu bekommen, wie die hiesige Bevölkerung. Heute spricht man
daher anstatt von Multikulturalität lieber von Interkulturalität.
Die Erfahrung der Verschiedenheit der
Menschen und der Kulturen in unserem Lande, gehört inzwischen zu unserem
Alltag. Alle brauchen daher Wissen und Kompetenz, um mit den
Fremdheitserfahrungen, die sie machen, umgehen zu können.
Schon vom Kindergarten an, müssen wir die Andersartigkeit unserer Mitmenschen
sehen und ihr situationsgemäßes anderes Handeln akzeptieren lernen.
Die Verschiedenheit muss als Normalfall angesehen werden. Dabei müssen wir nach
Wegen suchen, wie die unterschiedlichen Kulturen sich miteinander vertragen und
miteinander kommunizieren können. Wir alle müssen lernen, die Vielfalt der
unterschiedlichen Lebensformen zu akzeptieren. Das erfordert unsere plurale
demokratische Gesellschaft. Wir finden also unsere eigene Identität in der
eigenen Gruppe, um den Kontakt zu den anderen Gruppen zu suchen. Wir gelangen
so zu einer Vernetzung unserer Kulturen, Interkulturalität genannt.
Kulturenvielfalt
Auf manchen Gebieten hat diese Interkulturalität schon ihre Wirkung gezeigt.
Wer hätte früher schon etwas von türkischer Literatur gewusst? Heute haben
bereits sehr viele Yaşar Kemal gelesen. Ebenso lesen wir marokkanische
Schriftsteller, von spanischen und italienischen ganz zu schweigen. Im
Fernsehen sehen wir Sendungen aus den unterschiedlichsten Ländern. Schon
bei en Kindersendungen finden wir
vielfach ausländische Beiträge.
Eine ganz große Veränderung zeigt sich auf dem Gebiet der Esskultur. Viele von
uns essen heute Gemüse, die sie früher nicht einmal dem Namen nach kannten.
Ebenso ist es bei den Lebensmitteln. Spaghetti sind zum Lieblingsgericht
unserer Kinder geworden. Wir gehen zum Italiener, zum Spanier, zum Jugoslawen
oder Griechen, wenn wir ein Lokal besuchen.
Transkulturalität
Wolfgang Welsch schreibt in seinem Buch: „Transkulturalität": Zur veränderten
Verfasstheit heutiger Kulturen": Durch Migration, Kommunikationssysteme und
ökonomische Interdependenzen sind die Kulturen miteinander vernetzt.
Verschiedene Lebensformen enden dabei nicht an den Nationalgrenzen. Die
Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden ist oft nicht mehr möglich.
Anstelle der separierten Einzelkulturen von einst ist eine interdependente
Globalkultur entstanden, die sämtliche Nationalkulturen verbindet und bis in
Einzelheiten durchdringt. Transkulturalität steht für eine Kultur der
Integration.
Wenn ich diese Beschreibung auch noch für Wunschdenken halte - wir sind
höchstens auf dem Wege dahin - wäre es auch meiner Ansicht nach schade, wenn es
zu einer Einheitskultur käme.
Links zu diesem Thema:
www.dw-world.de
www.wikipedia.de
http://www.kommunikation.uzh.ch/static/unimagazin/archiv/2-96/multikulturalitaet.html
http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr134s.htm
Artikel von
Schöning-Kalender, Claudia: Multikulturalität,
Versuch über Dimensionen von Differenz
http://www.forum-interkultur.net/fileadmin/user_upload/pdf/27.pdf
Welsch,Wolfgang: Transkulturalität
Buch:
Limbach, Jutta:
Die Probleme der Multikulturalität
Der Schutz von Minderheiten - eine Lehre aus der Geschichte
Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net