Kleider machen Leute
                                   von Horst Glameyer
Welches Gefühl mag uns beschleichen, wenn wir nur wegen unserer etwas besonderen, eleganten Kleidung beim Betreten eines Hotels für eine uns fremde hochgestellte Persönlichkeit gehalten und entsprechend hofiert werden?

Ein unfreiwilliger Hochstapler    
So ergeht es dem schlesischen Schneidergesellen Wenzel Strapinski in Gottfried Kellers Novelle „Kleider machen Leute". Unterwegs auf Schusters Rappen, in einen Radmantel gehüllt, lädt ihn der Kutscher eines leeren herrschaftlichen Wagens ein, darin für eine kurze Strecke Platz zu nehmen. Dann setzt er Wenzel vor einem Goldacher Hotel ab Illustration und fährt wenig später unbemerkt davon. Der Wirt aber hält Wenzel aufgrund seines Mantels und seines vornehm bescheidenen Auftretens für einen polnischen Grafen. Und schon nimmt das Verhängnis seinen Lauf.
Kellers bekannte Novelle gehört zu seinem Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla" aus dem Jahre 1856. Was den Schneidergesellen und das Verhalten der damaligen Gesellschaft in den Schweizer Phantasiestädtchen Goldach und Seldwyla betrifft, so hat sich vermutlich seither nicht viel verändert.

Ein galanter Hochstapler
Auch in dem Schelmenroman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" von Thomas Mann bringen Felix Krull die bewusst eingesetzte gepflegte Kleidung und seine guten Manieren bemerkenswerte persönliche Vorteile. Sie öffnen dem vom Liftboy zum charmanten Oberkellner Aufgestiegenen den Zugang zur wohlhabenden, vornehmen Gesellschaft, so dass er dank eines einvernehmlichen Identitätstausches unter fremdem Namen als Marquis de Venosta eine Weltreise antreten kann.
Leider endet sie schon in Lissabon, da der Roman ein Fragment blieb. Als Teildruck ließ ihn Thomas Mann erstmals 1922 erscheinen und erweiterte ihn 1937. Die endgültige Fassung veröffentlichte er 1954.

Ein Hochstapler aus Not
So stellte Carl Zuckmayer 1931 in seinem anrührend zeithistorischen und zugleich zeitkritischen Schauspiel „Der Hauptmann von Köpenick" den arbeitslosen und mehrfach straffällig gewordenen Schuhmacher Wilhelm Voigt dar, der real in einer vom Trödler erworbenen Hauptmannsuniform und mit einem Trupp Garde-Füsilieren das Köpenicker Rathaus am 16.10.1906 besetzte. Er verhaftete den Bürgermeister und den Kassenrendanten, nachdem er zuvor die Stadtkasse gegen Quittung beschlagnahmt hatte.
Das Schauspiel wurde mehrfach erfolgreich mit den bekannten Schauspielern Rudolf Platte, Harald Juhnke und Heinz Rühmann in der Hauptrolle verfilmt.

Hochstapler in der Literatur
Leserinnen und Leser wie auch ZuschauerInnen finden an den durchweg einnehmend beschriebenen und dargestellten ‚literarischen‘ Hochstaplern Gefallen, da sie im Gegensatz zu ihren Kollegen in der Wirklichkeit kaum Schaden anrichteten und deswegen bald glücklich, bald glimpflich davonkamen.

Hochstapler im realen Leben
Wer in abgetragenen Kleidern oder als Obdachloser, einerlei ob selbst verschuldet oder nicht, in einer Bank um einen Kleinkredit bittet, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit meistens leer ausgehen. Dem Hochstapler in gepflegtem Outfit mit schwarzer Lederaktentasche in der Hand, gefälschten Papieren und selbstbewusst forschem Auftreten gewährt man dagegen zuweilen nahezu unbesehen einen Millionenkredit. Kleider machen Leute; aber der äußere Schein kann täuschen. Dennoch wird solchen Betrügern nicht selten heimlich eine gewisse schadenfrohe Sympathie entgegengebracht, solange sie sich nicht am Hab und Gut kleiner Leute vergreifen.

Links
Zur Novelle „Kleider machen Leute":
http://www.gottfriedkeller.ch/schule/kleider.htm
http://referateguru.heim.at/Kleider-machen-Leute.htm

Zu Kleidung und Radmantel:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kleidung
http://www.fogelfrei.de/gewandungen/anfertigung.php

Zum „Hauptmann von Köpenick":
http://www.koepenickia.de/

Zu Hochstaplern:
http://www.sgipt.org/gipt/diffpsy/devianz/hochstap/a_z.hs.htm
http://www.sgipt.org/gipt/diffpsy/devianz/hochstap/einf_hs.htm
http://www.welt.de/kultur/article1443543/
Was_ein_Hochstapler_alles_wissenmuss.html


 
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