von Sibylle Sättler
„Alt -
älter - Methusalem?“ Die Zukunftsvision für Deutschland wird in
allen Medien auf den bedrohlichen Doppelpunkt gebracht: auf
zunehmenden Bevölkerungsschwund und die Alterung der Gesellschaft.
Schrumpfung
- Fakt und Vorteile
Fakt ist, dass die Deutschen in den kommenden
Jahrzehnten weniger werden, eine Tendenz, die in ganz Europa
anzutreffen ist, während die Weltbevölkerung jährlich statistisch
um rund 81 Millionen zunimmt. Das bedeutet, im Jahr 2050 werden 9,1
Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben (Angaben zum
Internationalen Weltbevölkerungstag der UNO am 11. Juli 2009).
Der
Schrumpfungsprozess in unserem Land bietet aber durchaus Vorteile.
Wir gewinnen, zunächst einmal ganz wörtlich genommen, Platz. Jeder
Deutsche hat ganz einfach mehr Raum zur Verfügung: im Klassenzimmer,
im Seminar an der Hochschule, in Bus und Bahn, auf den Straßen und
Autobahnen. Daraus lässt sich ein zweiter Vorteil ableiten, nämlich
Zeitgewinn.
Alterung - Fakt und Folgen
Fakt ist auch,
dass im Jahre 2050 jeder dritte Deutsche älter als 65 Jahre sein
wird, und bis 2029 die durchschnittliche Dauer des Rentenbezugs dank
höherer Lebenserwartung auf 20 Jahre ansteigt. Sozialpolitisch hat
sich dieser Trend schon ausgewirkt, indem das Renten-Eintrittsalter
auf 67 mit dem Ausblick auf 69 Jahre heraufgesetzt wurde, nachdem man
jahrelang ältere Arbeitnehmer vorzeitig in den Ruhestand schickte.
Dezimierte Arbeitsplätze und opportuner Jugendwahn standen Pate. Die
Beschäftigungsquoten der 55- bis 64-Jährigen liegen heute gerade
einmal bei 45 Prozent, in Schweden dagegen bei 70 Prozent. Das, und
die Tatsache, dass sich sehr viele Ältere in Familie und Ehrenämtern
engagieren, beweist deren Leistungsfähigkeit. Ohne die vielen
Freiwilligen wären die Mangelerscheinungen mancherorts noch
größer.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Die oft
beklagte Schrumpfung der deutschen Bevölkerung wirkt sich künftig
durchaus positiv auf die Arbeitswelt aus, und zwar für Alt und Jung.
Ältere Arbeitnehmer werden nicht länger gemieden, sondern bald
wieder dringend gebraucht. Neue Chancen bieten sich auch der jungen
Generation, vor allem den jungen Frauen. Mädchen bilden die
Mehrheit in weiterführenden Schulen und erreichen die besseren
Abschlüsse. Es gab noch nie eine so gut ausgebildete
Frauengeneration wie die von heute. Der Anteil von Frauen mit
Berufsausbildung ist in den letzten 30 Jahren von circa 40 auf 60
Prozent gestiegen, mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss auf
über 10 Prozent.
Auch Lehrstellenknappheit für Jugendliche wird
es nicht mehr geben. Sie werden mit offenen Armen an ihrem
Arbeitsplatz begrüßt und können mit den besten
Ausbildungsmöglichkeiten rechnen.
Vision des neuen
Familienlebens
Realität ist schon lange nicht mehr das
Familien-Nachkriegsmodell mit dem Vater als Ernährer und der Mutter
am heimischen Herd, in den meisten Fällen zwei Kinder
erziehend.
Altbewährte Strukturen des Zusammenlebens mehrerer
Generationen, wie es früher üblich war, werden wieder zum Tragen
kommen. Jung lernt von Alt und umgekehrt. Der Zusammenhalt in den
Familien wächst. Neu ist, dass Frauen wie Männer jetzt ihrem Beruf
ungehindert nachgehen und ihre Karriereaussichten wahrnehmen können
ihrer Ausbildung entsprechend, denn ältere Verwandte oder Bekannte
kümmern sich um die Kinder. Nachwuchs wird wieder willkommen sein;
Fehlzeiten durch Babypause und der damit befürchtete Karriereknick
bei Frauen werden obsolet.
Nachwuchs, ja oder
nein?
Kind mit Dreirad; Fotograf Tobias Bauer, Photocase
Heute
geht man noch davon aus, dass, je höher der Bildungsstand einer
Frau, desto geringer die Kinderzahl. Ein anderer Grund für
mangelnden Nachwuchs ist die vielfache Instabilität der heutigen
Beziehungen. Mann und Frau trennen sich häufig nach wenigen Jahren
und gehen eine neue Beziehung ein. Daraus kann sich keine Grundlage
für eine Familiengründung entwickeln. Durch die im vorigen Absatz
anvisierte Änderung der Familienstruktur könnten sich diese
Probleme von selbst erledigen. Auch eine religiöse Orientierung
trägt eher zu einer Entscheidung für Kinder bei. Wenn der
Zusammenhalt innerhalb des Familienverbunds wieder stärker wird, und
die Grundwerte des Zusammenlebens wichtiger werden, kann die Haltung
zu eigenen Kindern nur positiv ausfallen.
Chancen durch
Zugewanderte
Für Zugewanderte und Hiesige gilt gleichermaßen:
Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg! Wären die Jugendlichen mit
ausländischen Wurzeln heute schon besser in Beruf und Gesellschaft
integriert, brauchte wohl niemand in Deutschland den demographischen
Wandel zu fürchten, und die gesellschaftlichen Unterschiede wären
weniger gravierend. Rund 20 Prozent der Bevölkerung in unserem Land
haben einen Migrationshintergrund. Seit Gründung der Bundesrepublik
kamen mehr als 36 Millionen Zuwanderer nach Deutschland, während im
selben Zeitraum 26 Millionen das Land verließen. Ohne Zuwanderung
wäre die Bevölkerungszahl Deutschlands schon seit 1970 gesunken und
wiese heute etwa 9 Millionen Menschen weniger auf. In unserem Land
ist man auf jedes Talent angewiesen, gleich welcher
Herkunft.
Chancen-Vielfalt durch Integration
2005 wurde das
Forum Demographischer Wandel des Bundespräsidenten in Zusammenarbeit
mit der Bertelsmann Stiftung ins Leben gerufen. Titel der
Jahreskonferenz im Oktober 2008 in Heilbronn: „Vielfalt leben -
Gemeinsamkeit gestalten.“ Gesellschaftliche Vielfalt bringt
Erfahrungsgewinn. Kultureller Austausch inspiriert seit Jahrzehnten
beispielsweise Bereiche wie Mode, Kunst, Theater, Musik und
Gastronomie. Wirtschaftliche Kooperation wird erleichtert und
gemeinsames politisches Handeln auf dem Weg in eine globalisierte
Welt gefördert. Auch die wirtschaftliche Produktivität kann von
wachsender Vielfalt profitieren, wenn Menschen unterschiedlichen
Alters, unterschiedlicher Erfahrung oder Kultur neue gemeinsame
Lösungswege suchen.
Voraussetzung für Integration
Auszüge
aus der Eröffnungsrede von Bundespräsident Köhler bei der
vorgenannten Jahreskonferenz im Oktober 2008:
„Wir brauchen in
unserem Land beides: Selbstverantwortung und die Verantwortung für
das Ganze. Das Eine darf nicht gegen das Andere ausgespielt werden.“
Köhler führte weiter aus, dass Gemeinschaft in einer Gesellschaft
Gemeinsamkeiten erfordert. Als Träger dieser Gemeinsamkeiten nannte
der Bundespräsident (Zitat) „die bestmögliche Beherrschung der
deutschen Sprache, den Respekt vor den Mitmenschen, die Anerkennung
von Recht und Gesetz, die Bejahung unseres demokratischen
Gemeinwesens und seiner politischen Institutionen - und den Willen
jeder und jedes Einzelnen, nach Kräften zum guten Miteinander
beizutragen. Auf diesem Fundament der Gemeinsamkeit lässt sich
Vielfalt leben und letztlich auch als Bereicherung
erfahren.“
Globale Strukturen
Globale Strukturen weisen
über Bevölkerungsgröße eines Landes und die Grenzen der
jeweiligen Volkswirtschaft hinaus. Auch wenn Deutschlands Bevölkerung
in 40 bis 50 Jahren um zehn Prozent plus abnimmt, muss nicht von
Untergang gesprochen werden. Dem entgegen wirken intern die hier
lebenden Zugewanderten, extern aber vor allem die bevölkerungsstarken
und weiterhin wachsenden Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Das bedeutet, anstelle Abnehmer für Produkte und Dienstleistungen
auf dem Binnenmarkt zu finden, können diese in asiatische
Abnehmerländer exportiert, Gelder dort investiert werden und hohe
Renditen erzielen. Produktionsstätten im Ausland sind demnach nicht
kontraproduktiv.
Links
Forum Demographie
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