Der Nil, ein altes Öko-System
                        von Lore Wagener
Das Niltal war schon vor 5000 Jahren eine reiche und von anderen Völkern beneidete Region. Und die alten Ägypter wussten, was sie dem Nil verdankten. Mit ihrem „Nilhymnus“ priesen sie den Fluss als ihre Lebensquelle.

Nilquelle
Nilquellen

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Foto Winterscheidt

Die Ursprünge des Stroms liegen in Zentral- und Ostafrika. Seine Quell- und Nebenflüsse durchqueren Tansania, Uganda, Kenia, Zaire, Burundi, Ruanda, Eritrea, den Sudan und Äthiopien. Die meisten dieser Länder sind regenreich, nur Ägypten am Ende des Flusslaufs ist wirklich regenarm.
Einer der beiden langen Quellflüsse des Nils durchströmt die großen afrikanischen Seen, Victoria-, Kioga- und Albertsee, und im Sudan die Sumpfniederung des Sudd, bis er endlich zum Weißen Nil wird. Der andere Quellfluss, der Blaue Nil, entspringt in Äthiopien und fließt durch den Tanasee im regenreichen äthiopischen Hochland. Nördlich von Khartum vereinigt er sich mit dem Weißen Nil zum eigentlichen Nil, der nun als Fremdlingsfluss die Wüsten durchquert.

Das Niltal
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Foto W.wolny

Zwischen Khartum und Assuan durchbricht der Nil sechs Höhenzüge aus hartem Gestein. Dabei entstehen die Stromschnellen, die Katarakte. Jetzt endlich erreicht der Fluss die berühmte Flussoase des Niltales, das Kernland Ägyptens. Nördlich von Kairo liegt sein großes Mündungsdelta. Von dort fließen viele Mündungsarme ins Mittelmeer.
Im Niltal gibt es von alters her eine reiche Vegetation. Hier lebten die meisten Ägypter. Sie nutzten bis 1971 das einzigartige natürliche Öko-System, das der Fluss bewirkte: Während der Nil im Frühjahr oftmals kaum einen Meter tief war, stieg sein Wasserspiegel ab Juli jeden Jahres enorm an. Ursache hierfür waren die ergiebigen Sommerregen, die im äthiopischen Hochland fielen. Der Fluss trat dann über die Ufer und überschwemmte das gesamte Niltal. Wenn er Ende September wieder abfloss, hatte man mit dem zurückbleibenden Schlamm einen hervorragenden Bodendünger. Das Ergebnis dieser „Nilschwelle“ waren fruchtbare Felder und reiche Ernten.

Ägyptens alte Geschichte

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Foto Oltau

Sein Öko-System machte das Niltal zu einem frühen Kulturland. Die Nilschwelle wurde hier festlich begangen. Höhepunkt war die Verehrung der Gottheit Hapi, die den Nil verkörperte.
Bereits ab dem 5.Jahrtausend vor Christus war das Niltal besiedelt. Die ägyptischen Hochkulturen entwickelten sich etwa ab dem 3.Jahrtausend vor Christus. Sie begannen mit Menes, dem ersten König der 1.Dynastie und endeten 343 vor Christus mit der 30. Dynastie und dem letzten Pharao Nektanebos II.
Das Ägypten der Pharaonen war hierarchisch gegliedert. An der Spitze stand der als Gott verehrte Pharao, der König. Dessen „Wille, Auge und Ohr“ war der Wesir, der zweite Mann im Staate. Die dritte Stufe bildeten die Gaufürsten, Priester, Schreiber und Beamten. Die Basis wurde von den Handwerkern, Fischern, Bauern, Jägern und Händlern besetzt. Darunter standen nur noch die Sklaven. Das waren meist Menschen, die als Kriegsgefangene ins Land gekommen waren und später integriert wurden.

Die Bauern im Niltal

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Leute von Assuan; Foto Winterscheidt

Die Bauern im Niltal waren besitzlos, denn die Felder gehörten dem Pharao, den Tempeln oder den reichen Lehnsherren. Die Bauern zahlten Steuern und waren zu Frondiensten verpflichtet. Die gewaltigen Tempel und Nekropolen der Pharaonen, auch die damaligen Expeditionen und Kriegszüge, wären ohne die Frondienste der Bauern nicht möglich gewesen.
Noch heute stammen etwa 85 Prozent der Einwohner von den Ägyptern der Pharaonenzeit ab. Sie sind also keine Araber, sondern Verwandte der berberischen Atlasbevölkerung. Die arabischen Einwohner nennen diese Bauern Fellachen. Unter den Bauern gibt es viele Kopten, eine christliche Minderheit von sieben Prozent gegenüber dem Islam.
Eine ethnische Minderheit in Ober
ägypten bilden die Nubier. Diese besiedelten einst das Niltal von Assuan bis weit in den Sudan hinein. Sie gehören zu den Schwarzafrikanern und haben auch heute noch ihre eigene Kultur. Ihr ländlicher Lebensraum ging allerdings durch den großen Staudamm weitgehend verloren.

Ackerbau im Niltal
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Nil bei Assuan; Foto: Winterscheidt

Die Feldarbeit im alten Ägypten folgte dem Rhythmus der jährlichen Nilschwelle. Nach dem Abfluss des Wassers kam die erste Aussaat im Oktober oder November, Erntezeit war dann im folgenden März oder April, wenn der Wasserstand niedrig war. Während der Wachstumszeit holte man das nötige Wasser aus Auffangbecken und Kanälen mit dem Shaduf oder der Sakija, dem von Ochsen getriebenen Wasserrad, auf die Felder.
Zur Messung des Nilstandes benutzte man „Nilometer“, Treppen am Nil, an deren Stufen sich der Wasserstand ablesen ließ. Das war wichtig, denn die Höhe der Nilschwelle entschied über den Ernteertrag. Aber es gab auch Dürrejahre oder zu starke Überschwemmungen, die Kanäle, Bassins und Ortschaften vernichteten.
Während der Nilschwelle ruhte die Arbeit auf den Feldern. Das war die Zeit, in der die Bauern fronen mussten. Und auch hier war der Nil nützlich, denn bei hohen Wasserständen ließ sich das schwere Baumaterial auf dem Wasser näher an die Bauten transportieren.

Ägypten in der neueren Geschichte

Im Jahr 343 vor Christus verlor Ägypten seine Unabhängigkeit an die Perser. Elf Jahre später wurde das Land von Alexander dem Großen erobert, der sich zum Pharao von Ägypten ausrufen ließ. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte gab es eine Fremdherrschaft nach der anderen: Es regierten Ptolemäer, Römer, Araber, Türken, Fatimiden, Ayyubiden oder Bahri Mamluken.1914 erklärten die Engländer Ägypten zum Britischen Protektorat, 1922 wurde Ägypten in die Unabhängigkeit entlassen. Der bisherige Sultan aus osmanischem Hause wurde als Fu'ad I. zum König von Ägypten. Das Land erhielt eine konstitutionelle Monarchie. Nach dem Militärputsch von Nagib und Nasser, der den damaligen König Faruk stürzte, wurde 1953 die Republik Ägypten ausgerufen. Bis 1970 bestimmte nun Präsident Gamal Abd el Nasser die Politik Ägyptens. Dessen Vision war ein starkes Ägypten mit einem Platz unter den Industrienationen - aber nach dem Vorbild der sozialistischen Staaten des damaligen Ostblocks.

Nasser und seine Reformen
Nassers politische Eckpunkte waren das Einparteiensystem, die Bodenreform und die Verstaatlichung. Die Verstaatlichung des Suezkanals führte 1956 zur Suezkrise, die nur durch die Intervention der USA und der UdSSR für Ägypten glimpflich ausging. Nassers weitere Verstaatlichungspläne brachten das Ende der Auslandsinvestitionen. Auch die Bodenreform war wenig erfolgreich. Die Fellachen waren danach zwar Besitzer ihrer Felder, doch ihre neuen Kooperativen funktionierten nicht, so dass sie nicht genügend Dünger und Saatgut bekamen, um erfolgreich zu wirtschaften. Und der Dünger wäre nötig gewesen, denn die Böden waren durch die von den Briten eingeführte Monokultur des Baumwollanbaus völlig ausgelaugt - trotz der jährlichen Nilschwelle. Nassers Prestigeprojekt sollte dann der Bau des Assuan-Staudamms werden, der die Überschwemmungen eindämmen und Ägypten elektrifizieren und industrialisieren sollte. An die Umweltfolgen hat man damals wohl nicht gedacht.

Der Assuan-Staudamm
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Foto Winterscheidt

Es gab schon einige kleinere Dämme am Nil, doch der große Staudamm war die Vision. Die Idee hierfür bestand schon länger, und König Faruk hatte auch schon über Pläne mit deutschen Firmen verhandelt, denn bei jeder Nilschwelle flossen gut 40 Milliarden Kubikmeter Nilwasser ungenutzt ins Mittelmeer, in den Augen von Wirtschaftlern eine gewaltige vergeudete Ressource. 1960 stellte die Sowjetunion das notwendige Geld bereit und begann mit dem gigantischen Bauprojekt. Hunderte russischer Baggerführer und Planraupenfahrer und etwa 2000 Ingenieure wirkten am Bau mit, manchmal waren es insgesamt 30000 Bauleute. Etwa 100000 Menschen, vorwiegend nubische Bauern, wurden umgesiedelt. Von der nubischen Kultur ging vieles im neuen Nasser-See unter. Die großen ägyptischen Tempel wurden als Weltkulturerbe in spektakulären UNESCO-Aktionen vor den Fluten gerettet. 1971 wurde der Staudamm offiziell eröffnet. Fortan gab es keine Nilschwelle mehr. Das alte Ökosystem war verloren.

Die ökologischen Folgen
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Der Fischbestand verringert sich; Foto Winterscheidt

Der Dammbau brachte einige der von Präsident Nasser erwarteten positiven Auswirkungen: So gibt es keine Hochwasserschäden mehr im Niltal, der Nil wurde in Oberägypten ganzjährig schiffbar und das Kraftwerk erzeugt nun etwa 50 Prozent der elektrischen Energie Ägyptens. Aber der Staudamm von Assuan, der „Sadd-el’Add“ sollte sich im Nachhinein als eine sehr fragwürdige Konstruktion erweisen. Der Journalist Peter Scholl-Latour schrieb in seinem Buch „Allah ist mit den Standhaften“ zu diesem Aspekt: „Heute leidet die Landwirtschaft des Deltas bereits unter zunehmender Versalzung. Der beschleunigte Abfluss ins Mittelmeer fördert die Erosion. Der fruchtbare Schlamm Äthiopiens bleibt im riesigen Stausee von Nubien hängen. Vor allem aber stellt diese riesige Mauer eine apokalyptische Gefährdung des Niltales in Kriegszeiten dar. Eine Sprengung des Sadd-el’Add und die folgende Flutkatastrophe würden das bewohnte, das nutzbare Ägypten von der Landkarte löschen.“

Links
Der Nil. Schatzkammer der Pharaonen

Lebensquelle Nil

Das alte Ägypten

Zeittafel Geschichte Ägyptens

Assuan-Staudamm, ein Traum seit tausend Jahren


Bilder von Frau I.D. Winterscheidt mit freundlicher Genehmigung. Die übrigen Bilder sind unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 3.0 Unported lizenziert.

 
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