Der Baikalsee
                          von Sibylle Sättler
Der Baikal, eine gebräuchliche Abkürzung, wird auch „Heiliges Meer“ Sibiriens genannt. „Wer einmal den Baikal gesehen hat, den lässt er nicht mehr los“, so Klaus Bednarz in seinem Buch und Film „Ballade vom Baikalsee“.

Entstehung des Baikal
Auslöser für die Entstehung des Sees war die Kollision des indischen Subkontinents mit Asien während des Oligozäns. Von Indien schob sich ein Keil zwischen die Eurasische und Amurische Platte und schuf eine ausgedehnte Schwächungszone. Gesteinspakete sanken dort ab und bildeten eine Senke oder Graben, Rift genannt. In diesem Rift liegt der Anfang des Baikalsees, der in Jahrmillionen seine heutige Länge erreichte und sich jährlich jeweils um 2 Zentimeter erweitert und vertieft. Forscher gehen davon aus, dass, sollte die Dehnung im Baikal-Riftsystem weiter fortschreiten, der Baikalsee Ausgangspunkt eines neuen Meeres wird, das Asien in ferner Zukunft in zwei Teile zerbrechen lässt. Die Erdkruste ist in dieser Region sehr aktiv. Es gibt eine Vielzahl von Thermalquellen, und man beobachtet gesteigerte seismische Aktivitäten.

Der See der Superlative

Image
Ursprung der Angara; Brücke Ost-Europa

Der Baikalsee liegt im Süden Sibiriens an der russisch-mongolischen Grenze. Nur Superlative können ihn charakterisieren, den ältesten und tiefsten See der Welt mit über 25 Millionen Jahren, einer Tiefe bis zu 1.623 Metern und dem größten Süßwasserreservoir (20 Prozent) der Erde. Zur Verdeutlichung: Der Bodensee passt 44mal in die 23.000 Quadratkilometer des Baikal. Die gesamte Menschheit könnte 50 Jahre lang mit Trinkwasser aus dem Baikalsee versorgt werden. Seine Länge beträgt 636 Kilometer, er ist zwischen 23 und 80 Kilometer breit und liegt 455 Meter über dem Meeresspiegel zwischen Hochgebirgen. Die 333 Zuflüsse in den Baikal bilden ein Wassereinzugsgebiet von der Größe Frankreichs, einziger Abfluss ist die Angara im Süden. Der Wasseraustausch im See ist gering, das macht ihn anfällig für Schadstoffe.

Das Klima am Baikal

Es herrscht kontinentales, relativ mildes Nadelwald-Klima am See. Jährlich misst man 2.000 Sonnenstunden: im Dezember nur 77, im Juni 275 und 450 Millimeter Niederschlag. Während der Monate November bis März herrscht Dauerfrost bei Temperaturen von durchschnittlich -20 Grad Celsius. Sie können fallen auf bis circa -40 Grad und verwandeln die Gegend in eine gigantische Eiswüste. Ist der See zugefroren, wird er als Straße genutzt. Der Frühling mit den Monaten April und Mai wie auch der Herbst mit September und Oktober sind sehr kurz. Nachtfröste können bis Juni und wieder ab Ende August vorkommen. In den drei Monaten Sommer von Juni bis August fallen die meisten Niederschläge. Die Temperaturen betragen angenehme 15 bis häufig über 20 Grad Celsius.

Das Ökosystem im See
Für die Reinheit des Ökosystems im See sorgen 230 winzige Flohkrebs-Arten, die 90 Prozent der Biomasse des Sees ausmachen, besonders der Baikal-Epischura. Er ist nur 1 ½ Millimeter lang, aber auf einem Quadratkilometer Wasserschicht entdeckte man bis zu 3 Millionen dieser Krebsart. Eine andere kleine Krebsart, der Makrohektopus, ein Seitenschwimmer (die See-Anrainer nennen ihn Jur), vertilgt alles Organische, was die obersten Wasserschichten des Sees verunreinigen könnte. Dazu gehören tote Fische und Insekten, sogar Landwirbeltiere. Nur innerhalb von 7 Tagen könnte ein Ertrunkener aufgespürt werden, ansonsten vernichten die Selbstreinigungskräfte des Sees alle Spuren.

Bio-Kosmos Baikal

Image
Baikalrobbe; Foto von Burkanov, V. (IUCN SSC Pinniped Specialist Group)

Am Baikal konnten sich rund 1.500 Tier- und 1.000 Pflanzenarten entwickeln, von denen zwei Drittel ausschließlich hier vorkommen. Eine der beiden weltweit einzigen Süßwasserrobben-Art, die Nerpa oder Baikalrobbe, findet man hier, ebenso den Omul, eine Lachsart, und den Golomjanka, einen Fettfisch, der in den tiefsten Tiefen des Süßwassers vorkommt. Die Vorfahren der im Baikalsee lebenden Tierarten werden teilweise im nördlichen Urmeer vermutet, das sich nach Süden bis in die Mitte Sibiriens ausdehnte und langsam zurückzog. So konnten sich die Lebewesen an die veränderten Gegebenheiten im entstandenen Rift gewöhnen. Die Oberflächen-Wassertemperatur beträgt nur etwa 7 Grad Celsius im Jahresdurchschnitt und begünstigt die Sauerstoffumsetzung. Es gibt 128 Fischarten im Baikalsee, davon endemisch zwei, die Tiefwassergroppen und die Baikal-Ölfische.

Industrie am Baikal
Mit vermehrter Industrieansiedlung am See begann man nach dem 2. Weltkrieg. In den Orten Baikalsk (1966) und Selenginsk wurden Papier- und Zellstoffwerke errichtet, außerdem in der Umgebung des Sees drei Wasserkraftwerke, Aluminiumproduktion und chemische Industrie. Die 16 Städte am Seeufer, besonders Baikalsk mit ihrem Zellulosekombinat, wuchsen; die toxinbelasteten Abwässer der Fabriken gelangten über Jahrzehnte fast ungeklärt in den See und bedrohten den Lebensraum der Baikalrobbe, die immer stärker bejagt wurde. Eine exzessive Befischung des Sees hatte begonnen und damit die Nahrung der Baikalrobbe dezimiert. Greenpeace schlug Alarm. 1997 gab es ein großes Robbensterben durch eine Virusepidemie. Gewebe-Untersuchungen der betroffenen Tiere brachten hohe Konzentrationen der giftigen Chlorchemikalie PCB aus dem Zellulosekombinat zu Tage.

Das Zellulosekombinat als Politikum

Der Staat hielt an der Baikalsk-Fabrik 49 Prozent und war damals auf das Produkt Zellulose für die Weltraumforschung angewiesen. Außerdem waren 2.000 Menschen bei dem größten Arbeitgeber in der Region und Betreiber des einzigen Heizkraftwerks in der 17.000- Einwohner-Stadt beschäftigt. Die Zellstofffabrik, ehemals gefördert von Chruschtschow, und die Stadt Baikalsk wurden 1996 ausdrücklich vom Weltnaturerbegebiet ausgeschlossen.
Modernisierungsmaßnahmen, durch einen Weltbank-Kredit ermöglicht, sollten in dem Baikalsk-Zellulosekombinat Abhilfe schaffen, zeitigten aber nur wenig Erfolg. Der Kredit wurde 2005 zurückgezogen. Umweltschützer verlangten die Schließung der Fabrik. Putin revidierte die Entscheidung. Greenpeace hoffte auf Medwedew: Wissenschaftler stellten angeblich zunächst keine weitere Bedrohung durch die Fabrik für den See fest.

Fabrik, Fremdenverkehr, Forschung

Umweltschützer blieben am Werk. Jedoch, trotz mehrerer Auflagen nationaler und internationaler Behörden, arbeitete das später privatisierte Werk erst ab September 2008 umweltschonend. Eingebaute Bleichanlagen machten die Produktion am Ende unrentabel. Inzwischen wurde die Fabrik endgültig geschlossen. Die Zellstofffabrik in Selenginsk wurde auf einen geschlossenen Wasserkreislauf umgestellt und die Wasserqualität in diesem Bereich deutlich verbessert. Ein Fremdenverkehrs- und Erholungsgebiet soll neue Arbeitsplätze schaffen und die wirtschaftliche Aktivität der Region umweltfreundlich wiederbeleben.
Heute befindet sich der See unter limnologischer Aufsicht. Bohrungen an der sieben Kilometer dicken Sedimentschicht am Grunde des Sees sollen Aufschluss geben über die geologische und ökologische Entwicklungsgeschichte der Region.

Kahlschlag, Naturschutz und UNESCO

Die Wälder am Baikal sind von Kahlschlag bedroht. Neureiche Russen siedeln am Seeufer ihre Datschas an, oft unter Missachtung der nationalen oder regionalen Natur- und Landschaftsschutzgesetze. Vielen Millionen Zugvögeln dienen die Ufer des Sees als Rastplatz. Um weiterer Zerstörung von Landschaft und Natur vorzubeugen, wurden an den Ufern verschiedene Naturreservate und Nationalparks eingerichtet. Hier leben Luchse, Bären, Hirsche und Wölfe. Zudem umgibt den ganzen Baikalsee eine Küstenschutzzone. Greenpeace Russland ist zu verdanken, dass 1986 der See zum UNESCO-Biosphärenreservat und 1996 die gesamte Baikal-Region zum UNESCO-Weltnaturerbe deklariert wurde mit Ausnahme der Stadt Baikalsk und des Zellulosekombinats.

Reise zum Baikal
Seit Jahrtausenden leben Menschen an den Ufern des Baikal, die Burjaten als Ureinwohner Sibiriens, die Jakuten aber auch Russen.
Ferien am Baikal, zum Beispiel zum Trekking: Flug nach Moskau, Transit nach Irkutsk, der heute mit rund 650.000 Einwohnern größten Industrie- und Handelsstadt am See als kulturellem Zentrum. Per Regionalzug befährt man die alte Trasse der Transsibirischen Eisenbahn. 4 Tage wird gewandert entlang der Trasse am Südufer des Sees. Im Baikal-Museum von Listwjanka erhält man einen ersten Einblick in die Entstehung des Sees und seine einzigartige Flora und Fauna. Nach weiteren vier Tagen Wanderung am westlichen Ufer fährt man zur größten Insel Olchon. Faszinierende Natur, der Besuch heiliger Stätten am See und ein Einblick in das Leben der Sibirier machen die Reise unvergesslich.

Links

Zwischen Taiga und Steppe

Der Baikalsee in Gefahr


Klaus Bednarz: Ballade vom Baikalsee, Europa-Verlag, München; Wien, 1998,
ISBN 3-203-75504-1
Den Baikalsee entdecken, Trescher Verlag GmbH, ISBN 978-3-89794-100-7

Beide Fotos unter der Lizenz C
reative Commons (CC)

 

 
< zurück   weiter >