51 - Handwerk arrow 51 - Handwerk arrow Gegenwart arrow Vom Lehrling zum Meister
Vom Lehrling zum Meister
                                    von Marlis Föhr
Handwerkliche Fertigkeiten sind technisch anspruchsvoll und kommunikativ.

Der Beginn
Am 1. Oktober 1945 begann mein späterer Ehemann seine Lehre als Elektroinstallateur in Bonn. Die alte Firma war bei einem der vielen Bombenangriffe auf Bonn völlig zerstört worden. Dabei fanden der Inhaber, seine Familie und viele Angestellte den Tod. Nur der älteste Sohn, Elektro-Ingenieur und –Meister war zu dem Zeitpunkt des Angriffs in einem Stadtbunker als Luftschutzbeauftragter tätig und überlebte den Angriff. Die Verantwortung für die Stadt Bonn und das Andenken an seine Familie gaben ihm Kraft zu einem Neuanfang. Zunächst musste er, wie viele Bonner Firmen, Angestellte zur Trümmerbeseitigung abstellen, dabei konnte besonders in den zerstörten Kliniken wertvolles Kabel- und Schaltermaterial sicher gestellt werden, das beim Neuaufbau einen wertvollen Beitrag darstellte. Auf neues Material musste noch lange gewartet werden.

Die Gesellenprüfung
Neben den Kliniken mussten auch Schulen und Geschäftshäuser wieder aufgebaut werden Es waren meist die großen Projekte, die mit enormem Einsatz und nach vielen Überstunden wieder in Betrieb genommen werden konnten. Für meinen Mann war der Lehrbetrieb ein Glücksfall, denn kaum ein anderer Bonner Betrieb hätte die Möglichkeiten geboten, die Vielseitigkeit seines gewählten Berufes kennen zu lernen. Neben der betrieblichen Ausbildung besuchte er die Elektroklasse der Berufsschule Bonn und machte nach dreieinhalb Jahren die Gesellenprüfung. Anschließend bewarb er sich in verschiedenen Sparten des Elektrohandwerks und konnte zusätzlich sein Wissen in der Industrie erweitern. In jener Zeit lernte ich ihn kennen – ich war noch Schülerin, und er war mir schon einiges voraus.

Die Meisterprüfung
Seinen Wunsch, die Meisterprüfung abzulegen, verfolgte mein Mann mit großem Ehrgeiz. Er fuhr jedes Wochenende zur Handwerkskammer Koblenz, um sich die nötigen elektrotechnischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse dafür anzueignen. 1954 war es so weit: er erhielt seinen Meisterbrief im Elektroinstallations-Handwerk mit Bestnoten. Wir heirateten wenig später, bauten ein Haus, in dem neben ausreichendem Wohnraum auch die Räume für die künftige Firma eingeplant waren. Die ersten Lehrlinge kamen aus unserer Stadt, die Gesellen teilweise aus der Eifel. Junge Leute, die bis dahin meist bei älteren Meistern gearbeitet hatten und in einem jungen aufstrebenden Betrieb weiter machen wollten. Die ersten Aufträge waren Installationen von Schulen, später folgten das Krankenhaus der Stadt, Supermärkte, Mehrfamiliehäuser, Industrieanlagen und Trafo-Stationen.

Handwerks-Organisationen
1918 waren die ersten Innungsausschüsse aufgebaut und Geschäftsstellen geschaffen worden. 1929 wurde die „Handwerksrolle“ eingeführt, ein Verzeichnis von Handwerksbetrieben, die im Bezirk einer Handwerkskammer ein Handwerk ausübten. Die Handwerkskammern sind bis heute das Kontrollorgan für das Prüfungswesen, die Schlichtung von Streitfällen, die Bildung von Ausschüssen.
Ab 1933 galt die Neuordnung des Handwerks nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten. Zusammenschlüsse des Handwerks wurden damals aufgelöst, an ihre Stelle traten Pflichtinnungen und Kreishandwerkerschaften. 1949 wurde der Zentralverband des Deutschen Handwerks gegründet. Kreishandwerkerschaften wurden Träger öffentlicher Belange und waren zuständig für Ausbildungsverhältnisse und Prüfungen.

Unser Handwerksbetrieb
Unser Meisterbetrieb mit eingetragener Firma gehörte der Elektro-Innung an, deren Mitglieder meinen Mann nach kurzer Zeit zum Obermeister wählten. Damit wurde er zuständig für alle Belange der Innung: Jahresrechnungen, Lehrlingsausbildung, Zwischenprüfungen, Gesellenprüfungen und vieles mehr.
Er richtete einen Wochenend-Notdienst ein, bei dem drei Meister im Kreisgebiet ab Freitagabend bereitstanden, Stromausfälle bei Firmen und Privatkunden zu beseitigen. Die aktuellen Anschriften wurden in der Presse veröffentlicht. Mein Mann übernahm auch die Wartung von Frachtschiffen auf dem Rhein, wenn diese durch technische Fehler an der Weiterfahrt gehindert wurden.
Als einzige und treueste Angestellte wirkte die Ehefrau an vielen „Fronten“: Buchhaltung, Lohnabrechnungen, Abrechnungen für Finanzamt und Krankenkassen, Rechnungs- und Mahnwesen - und nicht zuletzt auch die Betriebsfeste waren meine Sache. Ich hatte eine gute Mutter, die mir den Haushalt und die Versorgung unserer drei Kinder zuverlässig abnahm.

Die Leiter des Erfolgs
Die Räume unseres Privathauses waren längst für die Belange unseres Geschäftes zu klein geworden. Wir bauten in der Stadt ein großes Geschäftshaus, das neben dem Betrieb mit Werkstatt und Sozialräumen auch ein Fachgeschäft aufwies. Letzteres wurde mein erweitertes Betätigungsfeld in unserem Handwerksbetrieb. Unsere Kinder besuchten Gymnasien und später Universitäten und halfen uns in ihrer knappen Freizeit. Mein Mann wurde Fachgruppenleiter für Elektroinstallation in Rheinland-Pfalz, wenig später vereidigter Sachverständiger für das Elektrohandwerk. Er bildete zweiunddreißig Lehrlinge aus. Viele strebten auch die Meisterprüfung an oder besuchten nach der Lehre Fach- und Fachoberschulen.
In den Betriebsferien versuchten wir, mit den Kindern ein wenig nachzuholen, was im täglichen Arbeitsablauf meist nicht möglich war. Unseren Kindern hat es nicht geschadet. Unsere Vorbildfunktion hat sich in ihrem Leben bewährt.

Leben nach der Arbeit
Wir verkauften unseren Betrieb an einen Nachfolger, damit war unser Weg frei für den „Unruhestand“. Wir reisten mit unserem Wohnmobil durch Europa, lernten mit geleasten Campern Kalifornien und Florida kennen. Als die „weißen Flecken“ auf der Landkarte weniger wurden, und wir das ständige Fahren leid waren, kauften wir in Andalusien eine Finca, ein kleines Paradies mit viel Arbeit. Zuverlässige Spanier sind da, wenn wir Hilfe brauchen und betreuen Haus und Anlagen, während wir in Deutschland sind. Nun sind wir schon einige Jahre in Spanien, lieben Land und Leute und fahren nach Deutschland in Urlaub. Wir hoffen, dass es noch lange so bleibt.



 
< zurück