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Zünftige Lehr- und Wanderjahre
                                     von Lore Wagener
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war die zünftige Handwerkslehre fast ein Privileg, denn viele Knaben waren davon ausgeschlossen. Das lag nicht etwa an mangelnder Qualifikation, sondern an ihrer mangelnden „Ehrbarkeit“.
Handwerksfähigkeit
Die Zünfte betrachteten sich damals als Vereinigungen „ehrlicher Gewerbe“, in die „Unehrliche“ nicht gehörten. So galten ihnen unehelich Geborene als nicht ehrbar. Bei manchen Zünften war sogar die eheliche Geburt von Eltern und Großeltern Bedingung. Ebenso waren Kinder von Vätern ausgeschlossen, die straffällig geworden waren oder die ein „unehrliches Gewerbe“ ausübten. Als „unehrlich“ galten von vornherein Abdecker, Bader, Bettelvögte, Gassenkehrer, Gerber, Gerichts- und Polizeidiener, Henker, Hirten, Holz- und Feldhüter, Kastrateure, Kloakenfeger, Leineweber, Müller, Nachtwächter, Prostituierte, Schäfer, Schauspieler, Schornsteinfeger, Spielleute, Töpfer, Totengräber, Türmer, Ziegler und Zöllner. Einige dieser Gewerbe, wie die Müller, erreichten in späteren Jahren noch die „Ehrlichsprechung“. Dagegen galten Juden bis 1861 als nicht handwerksfähig. Auch andere Volksgruppen waren regional ausgeschlossen, im Königreich Sachsen zum Beispiel die Wenden.

Die Aufbedingung
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Sattlerlehrling F. Ebert; Foto Bundesarchiv

Die Lehrzeit begann mit dem „Aufbedingen“ des Lehrjungen vor offener Handwerkslade in Anwesenheit der Meister und Gesellen. Dieser traditionelle Akt versetzte den Anwärter in den Lehrstand. Der Knabe musste ein Gelöbnis ablegen, das mit Handschlag besiegelt wurde. Die Eltern bezahlten bei der Handwerkslade das Aufbedinggeld und beim Lehrmeister das Lehrgeld. Das konnte variieren. Wohlhabende verkürzten durch ein höheres Lehrgeld die Lehrzeit ihres Sprösslings, Ärmere durften ein geringeres Lehrgeld zahlen, wenn sie in eine längere Lehrzeit einwilligten. Manchmal mussten die Eltern auch noch Sachleistungen erbringen oder einen Bürgen stellen. Dieser sollte haften, wenn dem Meister ein Schaden dadurch entstand, dass der Lehrling entlief. Der Lehrvertrag wurde erst durch den Eintrag in das Lehrlingsbuch der Innung rechtsgültig. Er war also keine rein private Absprache zwischen Meister und Lehrling.

Die Lehrzeit
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Altes Werkzeug aus dem Baugewerbe

Nach dem Gelöbnis gehörte der neue Lehrling zur meisterlichen Familie, und der Meister bekam das Erziehungsrecht über ihn. Für einen Fünfzehnjährigen gewiss ein schwerer Einschnitt. Hatte er Glück, lernte er sein Handwerk. Wenn er Pech hatte, wurde er als Küchenjunge oder Kindermädchen ausgenutzt oder gar grob misshandelt, falls er nicht im Sinne des Meisters spurte. Erinnerungsbücher von Lehrlingen sprechen manchmal sogar von „Handwerksbarbarei“.
Was man von einem braven Lehrling erwartete, stand in den Zunftbüchern, zum Beispiel:
Sollst du dich vor allen Dingen der wahren Gottesfurcht befleißigen, morgens und abends fleißig beten und die Sonn- und Feiertage in die frühe Predigt gehen und Selbiger mit Andacht beiwohnen, - oder:
Sollst du Wasser für die Gesellen zum Waschen in die Werkstatt bringen, nachhero deinen Meisters Schuhe putzen.“

Die Freisprechung
Die Lehre endete mit der Freisprechung. Diese erfolgte wieder vor der offenen Innungslade in den gemeinsamen Quartalsversammlungen von Meistern und Gesellen. Die dabei üblichen Rituale waren geheim. Der Losgesprochene hatte der Innung zuvor ein „Freisprechgeld“ von mehreren Talern zu zahlen. Zum Schluss bekundete der Meister, dass sich der Lehrling redlich, fromm und treu sowie gottesfürchtig und ehrliebend gezeigt habe.
Der „Gesellenbrief" enthielt die Bestätigung, dass der Losgesprochene aus dem „Schutzverband des meisterlichen Haushalts in Ehren'" entlassen worden sei. Hinweise zu seiner beruflichen Qualifikation gab es nicht. Diese war zuvor mit dem „Gesellenstück“ erbracht worden. Zunft und Lehrherr bestimmten, welches Probestück anzufertigen war. Der Meister stellte die Materialien und konnte dafür das fertige Stück behalten und verkaufen. Ein Fischkessel war zum Beispiel das Gesellenstück der Dresdener Kupferschmiedelehrlinge um 1850.

Die Jung-Gesellen
Nach der Freisprechung wurden die jungen Handwerker - nach den geheimen Riten der Gesellenbrüderschaften - in den Kreis der Gesellen aufgenommen. Der Obermeister übergab den Junggesellen in die Obhut der Altgesellen mit den traditionellen Worten: „Er hat seine Lehrzeit ehrlich ausgestanden, er ist vor offener Lade frei und ledig gesprochen, machet einen ehrlichen Gesellen aus ihm, und tut der Sache nicht zu viel und nicht zu wenig.“
Neben einer ziemlich ruppigen Geselligkeit lernten die Junggesellen nun einige Dinge kennen, die sie auf die künftige Wanderschaft vorbereiteten. Unter anderem  wurden ihnen die wichtigsten Bräuche ihrer Zunft vermittelt: besondere Losungsworte, Gebärden oder Handlungen, aber auch Tipps für die richtige Bekleidung. Die Beherrschung dieser Rituale konnte später darüber entscheiden, ob der wandernde Geselle von seinen Zunftgenossen in der Fremde anerkannt wurde und Hilfe erhielt oder nicht.

Wanderzwang

Gesellenwandern war schon im 14. Jahrhundert bekannt. Es wurde später in vielen Handwerksberufen eine der Bedingungen für die Meisterprüfung. Konnte jemand aus triftigen Gründen nicht wandern, konnte er nur "Gnadenmeister" werden. Das Wandern diente vor allem dem Wissenstransfer. Die Jung-Gesellen lernten neue Arbeitspraktiken und fremde Orte, Regionen und Länder kennen und erfuhren eine „praxisnahe Lebensschule“. Die Wanderschaft dauerte - je nach Zunft - 2 bis 4 Jahre, oft betrug sie drei Jahre und einen Tag. Wanderziele waren in der Regel die großen Gewerbegebiete im Umkreis von 150 bis 300 Kilometern, oft auch die Hauptstädte. Spezialisten wanderten manchmal durch ganz Europa.
Während der Wanderzeit durfte der reisende Geselle seinen Heimatort und dessen Umkreis in einem Radius von fünfzig Kilometern nicht betreten. Ausnahmen galten nur für unabwendbare Ereignisse, wie schwere Krankheit oder Tod der engsten Familienangehörigen.

Die Schächte
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Wanderbuch von A. Bebel; Foto gemeinfrei

Die Wandergesellen traten meist freiwillig den „Schächten“ bei, einer Art Selbsthilfeorganisation. Diese hatte zum Beispiel eigene Krankenkassen. Entstanden waren die Schächte ursprünglich, um Forderungen der Gesellen gegenüber den patriarchalischen Meisterzünften durchzusetzen. So gelten die Schächte als Vorläufer der Gewerkschaften. Zurzeit existieren noch vier große Schächte in Deutschland: "Rolandsbrüder", "Freiheitsbrüder", "Rechtschaffene" und "Freie Vogtländer“. Heute haben diese Schächte Mitglieder, die freiwillig auf die Walz gehen oder gingen. Sie erkennen sich an ihren Schacht-Abzeichen, die "Ehrbarkeit" heißen: Meist sind es schwarze, blaue oder rote Schlipse oder eine goldene Nadel an der "Staude" (dem Hemd), vielfach auch einheitliche Ohrhänger. Ihre Statuten halten die Schächte ebenfalls geheim. Bei ihren monatlichen Gelagen "auf dem Handwerksaal" sind Außenstehende nicht zugelassen.

Wanderregeln

Die Gesellen mussten sich an ihren Zielorten bei der dortigen Innungslade einschreiben und den Gesellen-Eid leisten. Sie waren also „Fremdgeschriebene“. Von der Zunft wurden sie oft bestimmten Meistern zugewiesen. Sie wohnten günstig in ihren Gesellenherbergen. Meister, bei denen vergeblich um Anstellung nachgesucht wurde, und Gesellenherbergswirte waren zur Gabe eines Geldgeschenks („Zehrpfennig“) verpflichtet.

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Altes Wanderbuch; Foto gemeinfrei

Nach ihrer Heimkehr mussten die Gesellen durch Zeugnisse, Kundschaften oder Wanderbücher belegen, wo sie in der Fremde gearbeitet hatten. In der Frühzeit konnten sie ihre Route auch ohne Schriftstücke durch die Kenntnis der geheimen Wahrzeichen nachweisen, die ihnen an den fremden Arbeitsstätten mitgeteilt worden waren. Ein solches lokales Geheimzeichen war zum Beispiel für Soest das Kirchenfenster mit dem westfälischen Abendmahl in der Wiesenkirche oder für Bamberg der „Lachende Engel“ im Dom.


Die Meisterprüfung

Nach dem Ablauf der Hälfte der Wanderjahre konnte sich der Wandergeselle zur Meisterprüfung bei seiner heimatlichen Innung vormerken lassen. Nach der Wanderzeit musste er aber noch eine weitere mehrjährige Arbeitszeit in einer Werkstatt am Ort der Antragstellung ableisten. Das waren dann die so genannten Mutjahre. Erst danach konnte er sein Meisterstück machen. Die Erlangung der Meisterwürde brachte ihm auch das Niederlassungsrecht und damit die Eintragung als Bürger in das Bürgerbuch seiner Stadt. Nun konnte er vielleicht die väterliche Werkstatt übernehmen und hatte endlich die Mittel, einen Hausstand zu gründen und zu heiraten.
Der beschriebene Zunftzwang traf in der Regel nur auf die zunftgebundenen Gewerke in den Städten zu, nicht aber auf die kleinen Landhandwerker, andererseits aber auch nicht auf die elitären höfischen Handwerker. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bewirkte zudem eine Beschränkung für Frauen auf wenige Berufe.

Links

Zünfte in Kulmbach
( darin auch Zünfte und Frauen)

Kriterien ständischer Ungleichheit

Die Wanderschaft

Disziplinen der Wanderschaft

Archiv der Rolandsschächte

Zum Schluss etwas zum Schmunzeln:
Wilhelm Busch: Der neidische Handwerksbursch
 
 
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