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Die „Schola Medica Salernitana”
                               von Sibylle Sättler
Die „Schola Medica Salernitana" bezeichnet eine der ältesten medizinischen Lehr- und Forschungsanstalten Europas - oder sogar die älteste - mit weitreichendem Einfluss auf alle anderen medizinischen Fakultäten.

Die Anfänge der Schule von Salerno

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Schule von Salerno; Wikimedia Commons

Salerno in Kampanien, am Golf von Salerno gelegen, wurde zwar erst 1968 Sitz einer Universität, doch geht die Wiedergründung ihrer Fakultät für Medizin und Chirurgie im Jahre 2005 in Baronissi auf die traditionelle mittelalterliche „Schola Medica Salernitana" aus dem 9. Jahrhundert zurück.
Zu dieser Zeit wurden im Hospital von Salerno kranke Ordensbrüder des Klosters Monte Cassino gepflegt. Auch Kreuzfahrerschiffe brachten ihre Kranken nach Salerno. Bis hierhin lassen sich die Anfänge einer der ersten medizinischen Hochschulen oder der ersten Europas zurückverfolgen.

Salerno - „Stadt des Hippokrates"

Zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert erlebte die Schule von Salerno ihre Blütezeit. Sie betrieb unabhängige Forschung in Anatomie, und bereits damals wurde die grundsätzliche anatomische Ähnlichkeit von Mensch und Schwein entdeckt. Die Heilkundigen dort wussten eigenes Wissen und eigene Erkenntnis mit dem medizinischen Wissen griechischer, arabischer, lateinischer und jüdischer Herkunft zu kombinieren. So erwarb die Stadt Salerno bald in Anerkennung der außerordentlichen medizinischen Leistungen ihrer Schule den Beinamen „Stadt des Hippokrates". Gelehrt wurde nicht nur Medizin sondern auch Philosophie, Theologie und Recht. Zum Fach Medizin waren auch Frauen zugelassen als Lehrende oder Lernende.
Die medizinische Hochschule blieb bis ins 19. Jahrhundert bestehen. In Anknüpfung an die Tradition der Schule von Salerno wird in dem heutigen Siegel der Universität der mittelalterliche Beiname der Stadt „Civitas Hippocratica" geführt.

Die medizinische Ausbildung
Der Stauferkaiser Friedrich II. verordnete im Jahre 1240 eine Regelung der medizinischen Ausbildung:
drei Jahre Logik
fünf Jahre Medizin (Chirurgie und Anatomie) als Sonderfall in Salerno
ein Jahr Praxis bei einem Arzt.
Durch den zunehmenden Einfluss der Kirche wurde ab 1163 die Durchführung blutiger Operationen verboten wie auch die Anatomie, da sie angeblich der Auferstehung der Toten entgegenstand. Ausdrücklich war sie in Verbindung mit der Chirurgie der Schule in Salerno vorbehalten auf Befehl des Kaisers.
Es entstanden umfangreiche Bücher zur Arzneimittellehre, die die Unabhängigkeit des Apothekerstandes vom Arztwesen begründete, ebenfalls durch Friedrich II. im Edikt von Salerno gesetzlich verankert.
Während des 12. - 15. Jahrhunderts wurden weitere medizinische Hochschulen gegründet, unter anderem 1220 in Montpellier.

Berühmtheiten an der Schule
Im Zusammenhang mit Wirken und Bedeutung der Schule von Salerno sind unter anderen, besonders zwei Berühmtheiten zu nennen:
Konstantin der Afrikaner, ein Araber, der griechisch-arabische medizinische Texte ins Lateinische übersetzte und Trotula de Ruggerio oder Trota von Salerno. Trotula war Italienerin und praktische Ärztin der Schule von Salerno im 11. oder 12. Jahrhundert. Ihr werden mehrere Abhandlungen zur medizinischen Praxis zugeordnet, so auch die Mitarbeit an der medizinischen Enzyklopädie „Practica Brevis" gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Söhnen. „De Aegritudinum Curatione" aus dem 12. Jahrhundert stellt das Hauptwerk der Schule dar. Es enthält die Lehren der sieben Großmeister der Schule, darunter auch die Trotulas.

"Passionibus Mulierum Curandorum"
Das Hauptwerk Trotulas, auch „Trotula Major" genannt, beinhaltet eine Abhandlung über Gynäkologie und Frauenkrankheiten. Sie empfiehlt darin, ähnlich Hildegard von Bingen, einfache praktische Heilmittel und Rezepte, die für jeden erschwinglich sind.
Bis ins 16. Jahrhundert blieb die Abhandlung das Standardwerk an den medizinischen Fakultäten Europas. Auch fanden ihre Schriften Eingang in die Volksheilkunde. Der „Trotula Major" wurde vielfach kopiert, Änderungen vorgenommen und später auch die Urheberschaft in Zweifel gezogen. Kopien erschienen unter dem Namen ihres Mannes, Johannes Platearius, schon im 12. Jahrhundert. Letztlich können Leben und Autorenschaft Trotulas nicht einwandfrei nachgewiesen werden, doch italienische Medizinhistoriker haben sie nie in Zweifel gezogen, wie auch nicht die Anwesenheit von Studentinnen und Dozentinnen an der Medizinischen Schule von Salerno im 11. und 12. Jahrhundert.

Salerno in der Literatur
Hartmann von Aue nimmt in seinem mittelhochdeutschen Versepos „Der arme Heinrich" um 1190 Bezug auf Salerno und die in seinen Mauern wirkenden berühmten Ärzte. „Der arme Heinrich" ist von Gott, ähnlich Hiob, mit Ausschlag gezeichnet; gerettet werden kann er nur durch das Herzblut einer sich freiwillig opfernden Jungfrau. Die dazu nötige Operation kann allein in Salerno gelingen. Ein kleiner Auszug:
Er sprach: 'lieber herre min,
möhtez mit iuwern hulden sin,
ich vragete vil gerne:
so vil zuo Salerne
von arzenien meister ist,
wie kumet, daz ir deheines list
ziuwerm ungesunde
niht geraten kunde?
"Der arme Heinrich" findet ein solches Mädchen, doch als es schon gebunden auf dem Operationstisch liegt, lenkt er ein und erfährt seiner Großmut und Reue wegen Gottes Gnade. Er wird gesund, das Mädchen gerettet, und beide leben treulich vereint bis ans Ende ihrer Tage.

Links
Alltagsgeschichte des Mittelalters

Die Schule von Salerno

Buchhinweis:
Hartmann von Aue „Der arme Heinrich", Reclam Verlag

Foto unter der Lizenz CC BY-SA 3.0

 
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