Erfahrungsberichte

Kulturhopping am Grenzfluss

Interkulturelle Begegnungen durch Flüsse

Hintergrund
Für mich als Limnologe (ein Wissenschaftler, der sich mit der Wissenschaft von den Binnengewässern als Ökosystem beschäftigt) sind Flüsse natürlich immer ein lohnendes Reiseziel. Als leidenschaftlicher, aber bergfauler Fahrradfahrer kommen mir Routen an Flüssen entlang natürlich sehr entgegen. So habe ich mich vor ein paar Jahren einfach mal ziemlich blauäugig - ohne jegliche weitere Planung - alleine auf den Sattel geschwungen und wusste nur, ich fahre mal am Rhein entlang....
Was mir bei meiner "planlosen" Tour aufgefallen ist, versuche ich hier kurz darzustellen, doch zunächst einige übergreifende Überlegungen.

Der Fluss... als verbindendes Element
Wasser ist der Quell des Lebens und Flüsse sind eine Voraussetzung zur Entstehung von Siedlungen." Nicht nur frisches Wasser als Lebens-, Wasch- und Reinigungsmittel sind der Grund dafür, Fische und andere Wasserbewohner liefern den Anrainern Nahrungsmittel, Flusswasser dient der Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen und die Strömung der Flüsse stellt eine wichtige Energiequelle dar.
Und noch ein Faktor ist entscheidend für die bedeutende Rolle von Flüssen für den Menschen: Flüsse gehören zu den ursprünglichsten Transportmitteln, auf denen man Nachbarn besuchen und Handel treiben kann.

Der Fluss... als trennendes Element
Andererseits waren Flüsse schon immer Hindernisse, manchmal kleine, manchmal große und manchmal auch unüberwindbare. Für letzteren Fall war auch der Mensch bzw. die von ihm "gemachte" Politik ausschlaggebend. Als Beispiele seien genannt: Die Oder und Neisse (Polen/Deutschland), der Mekong (Thailand/Viet-Nam), der Rio Grande (USA/Mexiko). Die Donau ist in ihrem Unterlauf fast auf der gesamten Strecke Grenzfluss (Rumänien/Serbien, Rumänien/Bulgarien). Der Rhein dagegen eher in seinem Oberlauf (Schweiz/Liechtenstein, Schweiz/Deutschland, Frankreich/Deutschland).
Solche z.T. über lange Zeiträume bestehende Trennungen ermöglichen eine ganz besondere Art von "Kultur-Hopping".
Ein sehr markantes Merkmal einer Grenzüberschreitung ist sicher der Sprachenwechsel. Aber beim Überqueren eines (Grenz-)flusses gibt es noch viele andere Auffälligkeiten, die sich am besten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erschliessen, hier am Beispiel Deutschland-Schweiz am Oberrhein von mir selbst erlebt und empfunden.

Die Strecke
Ich begann meine mehrtägige Fahrradtour rechtsrheinisch am Auslauf des Bodensees in Stein am Rhein (CH) und blieb, wo immer es möglich war, an den Ufern des Rheins bis nach Neuenburg (D) (Nähe Müllheim i. Breisgau). Das war 1999 und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, während der darauf folgenden Jahre den gesamten Rhein per Fahrrad abzufahren. Doch das letzte (rechtsrheinische) Stück der 1999er-Reise von Basel nach Neuenburg hat mich diesem Vorhaben gegenüber sehr reserviert werden lassen - es war doch zu eintönig, einem stets geradeaus verlaufenden "Kanal", Rhein genannt, über eintönige Schotterwege auf dem Hochwasserdamm zu folgen. Angeblich ist die französische Seite, am schiffbaren Rheinkanal entlang, wegen des den Blick einschränkenden Dammes genau so öde.

Infrastruktur
Es bestätigt alle Klischees über die Schweiz - und in diesem Fall habe ich das sehr positiv empfunden -, dass die Schweizer Hauptradwanderwege so gut ausgeschildert sind, dass man getrost auf eine Landkarte verzichten könnte. Dagegen war die Ausschilderung auf deutscher Seite mit schöner Regelmäßigkeit eine Katastrophe und glich manchmal mehr einer Schnitzeljagd. Hinzu kommt, dass die deutsche Radwegbeschilderung durch Vielfalt der verwendeten Symbole glänzen möchte, während es in der basisdemokratisch organisierten Schweiz gelungen ist, landesweit (und über Sprachbarrieren hinweg) immer das gleiche Symbol zu nutzen. Die 9 Hauptradrouten der Schweiz unterscheiden sich lediglich in der verwendeten Farbe der Tafeln und in der Nummerierung. Die "Rhein-Route", die von Andermatt nach Basel führt, trägt die Nummer 2 und ist orange.
So habe ich es immer als Wohltat empfunden, in die Schweiz zu wechseln, wenn mir auf deutschem Gebiet das Schildersuchen oder Kartelesen zu lästig wurde.

Arm und Reich
Es wäre sicher übertrieben zu sagen, dass die Schweizer Rheinseite die reiche ist und die deutsche die arme. Aber ich konnte mich häufig des Eindrucks nicht erwehren, dass in den Schweizer Dörfern "die Welt eher in Ordnung ist". Insbesondere bei den eidgenössischen Bauernhöfen war es mir, als hätten die Geranien mehr Blütenfülle, seien die Traktoren größer und die Anwesen gepflegter als bei den deutschen Kollegen. Ob das nur an der größeren Ertragskraft des nicht so sehr vom Schwarzwald bedrängten Rheinufers liegt, ob die EU-Richtlinien daran schuld sind oder ob die Eidgenossen im letzten Jahrhundert einfach weniger kriegsgeschüttelt waren als die Deutschen und sich so die Traditionen besser erhalten liessen, weiß ich nicht, aber es war jedenfalls auffallend.

Kleine Unterschied
Auch wenn man meinen sollte, dass sich in einer mittlerweile reichlich globalisierten Welt die Marken und ihre Vermarktung nicht wesentlich unterscheiden, einen Aspekt habe ich doch gefunden, der vielleicht ein Licht auf den Stellenwert der gewerblich aktiven Akteure wirft. Vielleicht interpretiere ich aber auch zuviel hinein, wenn ich die Straßennamen zwischen deutschen und schweizerischen Industriegebieten vergleiche. Hierzulande heißt es sehr häufig "Industriestrasse" auf vielen solcher Straßenschilder, in einem kleinen schweizerischen Städtchen, ich glaube, es war Zurzach, hieß das eidgenössische Pendant dagegen respektvoll "Erfinderstrasse". Muss es nicht ein erhebenderes Gefühl für die dort ansässigen Firmen sein, mit so einer Postanschrift im Firmenstempel daherzukommen?

Billiges Deutschland

Einkaufen macht (mir) in der Schweiz eindeutig mehr Spass als in Deutschland. Es gibt dort viele Dinge, die ich mag und hier vermisse. Ovomaltine-Schokolade zum Beispiel oder Rösti im praktischen Fertigbeutel (die deutschen Rösti-Produktions-Versuche kleben einfach nicht zusammen) oder dieses genial säuerlich schmeckende Rivella, ein Softdrink auf Milchsäurebasis. Warum ich trotzdem vieles in Deutschland eingekauft habe? Weil es einfach billiger ist!
So gesehen war es für mich ganz gut, dass die Kapazität von 2 Fahrradtaschen recht begrenzt ist.
Viele Eidgenossen in Grenznähe machen es übrigens genauso: Sie fahren auf die deutsche Rheinseite, um sich mit Grundnahrungsmitteln einzudecken.

Highlights
Für alle, die diese Tour auch mal machen wollen, ein paar Highlights (in Fließrichtung):

Schaffhausen (CH), aber nicht nur der Rheinfall, bummeln Sie durch die wunderbar erhaltene, schnuckelige Altstadt.

Eglisau (CH): 1200 Jahre alter Fischerort mit beeindruckender rheinseitiger Fassade der Häuser. (Infos im Internet: www.eglisau.ch)

Kaiserstuhl (CH): die kleinste Gemeinde im Aargau, aber immerhin 700 Jahre alt und das steht dem Ort sehr gut zu Gesicht. (Infos im Internet: www.kaiserstuhl.ch)

Laufenburg (D, CH): gibt es zwei Mal und ich bin immer noch nicht sicher, welcher Teil der schönere ist, die kleinere Altstadt auf deutscher Seite oder der Blick dahin über den Rhein, der hier an einer Engstelle besonders eindrucksvoll ist. (Infos im Internet: www.laufenburg.de oder www.laufenburg.ch)

Mein Rhein
Das faszinierendste an dieser Tour war für mich die Veränderung, die der Rhein im Verlauf dieser knapp 250 Kilometer erfuhr. Am eindrücklichsten erlebte ich das mit seiner Färbung. Beinahe meerblau verlässt der Fluss den Bodensee und lädt zum Fischen und Baden ein. Im weiteren Flussverlauf geht die Farbe in türkisgrün bis grün über, abhängig von Untergrund und Wassertiefe bzw. Flussbreite. Erst mit der Einmündung großer Zuflüsse wie die Aare nimmt der Rhein allmählich die grau-grüne Farbe der meisten mitteleuropäischen Flüsse ein und spätestens ab Basel, wenn die Industrieanlagen beidseitig die Ufer säumen und große Transportschiffe die kleinen Fischerboote endgültig abgelöst haben, ist dieser Fluss zum Industrietransportmedium geworden und lediglich Ölschlieren sorgen für "interessante" Farben.


Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net



eingereicht von
Erwin Hutterer
Kategorie
Europa (gemeinsam) erkunden
Datum
08.07.2009


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