Erfahrungsberichte

Eine Reise mit Hindernissen

Wer heute von Deutschland nach Frankreich fährt, erlebt keine Passkontrollen an der Grenze, weder in der Eisenbahn noch auf der Straße. Wir gehören mit weiteren 25 Ländern zur Europäischen Union, in der die Grenzen offen sind.

Das war anders in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Wer wie ich von Heidelberg nach Paris reisen wollte, brauchte einen gültigen Personalausweis oder einen Reisepass.

Ich sitze im Nachtzug von Heidelberg nach Paris. Die Freunde dort wollen mich am Morgen am Gare du Nord abholen. Saarbrücken liegt hinter uns, wir nähern uns der deutsch-französischen Grenze. In Forbach hält der Zug und die Grenzbeamten kommen in die Abteile. „Reisepass oder Personalausweis,“ ist der Standardsatz. Ich zeige meinen Ausweis dem Beamten und wundere mich, dass er so intensiv darauf schaut. „Wo wollen sie hin?“ ist seine Frage. „Nach Paris,“ antworte ich.  „Das geht nicht“, sagt er „der Ausweis ist abgelaufen, sie müssen aussteigen.“  Dass ich in Heidelberg noch einen Reisepass habe, der sicher nicht abgelaufen ist, den ich mir nachschicken lassen kann, interessiert den Mann nicht.

Auf dem Bahnsteig ist es dunkel. Der Grenzbahnhof ist geschlossen. Wie soll ich jetzt in der Nacht nach Heidelberg kommen? „Fahren sie nach Saarbrücken zurück, von dort können sie ihren Freunden ein Telegramm schicken und sie bitten, ihnen den Reisepass an den Zoll in Saarbrücken  zu schicken,“ empfiehlt der Grenzer.

Inzwischen ist so spät, dass ich nicht mehr telegrafieren kann. So lande ich in der Bahnhofsmission. Die freundliche Frau bietet mir eine Liege in ihrem Büro an. Das Telegramm kann ich erst am Morgen abschicken. Also heißt es warten.

Der Grenzbeamte, dem ich diesen Aufenthalt verdanke, kommt und erkundigt sich, ob ich schon eine Antwort hätte. Natürlich nicht. Er habe frei und könne mir inzwischen die Stadt zeigen. Ich bin nicht begeistert, aber so würde die Zeit schneller vorbei gehen. Die Stadt ist modern und verfügt über mehrere Brücken, aber mich interessiert nur, ob meine Freundin den Brief mit dem Pass schon zur Post gebracht hat. Die Antwort erhalte ich am Nachmittag. Der Brief ist unterwegs, aber es dauert. In dem Zollamt hat sich schon herumgesprochen, dass eine Jugendliche auf einen Brief aus Heidelberg wartet.

Die Liege ist auch für die zweite Nacht aufgeschlagen. Am Morgen halte ich tatsächlich den Brief in der Hand. Die Freunde in Paris hatte ich benachrichtigt, dass sich meine Reise verzögere, jetzt telegrafiere ich, wann ich endlich ankäme.

Ich verabschiede mich und danke der freundlichen Dame von der Bahnhofsmission für ihre Hilfe und steige in den Zug. Wenn jetzt die Kontrolle kommt, wird man mich nicht wieder hinaus werfen. Ich bin erleichtert, aber fühle mich nicht wohl. Zwei Tage nicht richtig gewaschen, mein helles Kleid ist dunkel gesprenkelt. Alles klebt. Die Züge sind noch nicht elektrifiziert.

In Paris kann ich baden und mich mit den Freunden für die Reise in die Bretagne, ans Meer, vorbereiten.


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Erdmute Dietmann-Beckert
eingereicht von
Erdmute Dietmann-Beckert
Kategorie
Europa (gemeinsam) erkunden
Datum
13.08.2009


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