Erfahrungsberichte

Zwangsarbeit auf dem eigenen Bauernhof

Als der Zweite Weltkrieg beendet war, wurde der Freistaat Danzig, der sich in den Kriegsjahren wieder Deutschland nennen durfte, von den Siegermächten Polen zugesprochen. Damit änderten sich die Besitzverhältnisse der dortigen Guts- und Bauernhöfe. Auch mein Vater war als selbständiger Landwirt auf eigenem Grund und Boden davon betroffen.

Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen waren die Bauernhöfe nahezu verwaist, Vieh und Vorräte waren konfisziert und viele Bewohner verschleppt oder getötet. Mein Vater, 51 Jahre alt, hatte, wenn auch schwer verletzt, überlebt.

Den sowjetischen Truppen folgten im Laufe des Sommers 1945 die Polen. Zwei polnische Familien bezogen unser Bauernhaus und bemühten sich, das Land zu bewirtschaften. Ohne Fachkenntnisse, ohne Vieh und Material, war dies sehr schwierig. Der polnische Staat half mit Unterstützungen und Investitionen. Bald bezog die erste Kuh den einstigen Schweinestall und auch Pferde und andere nützliche Tiere kamen hinzu.

Um Personal brauchten die neuen Bauern sich nicht zu bemühen. Mein Vater, dem Großmutters Wohnstube als Quartier zugewiesen worden war, stand als Knecht und landwirtschaftlicher Experte zur Verfügung. Schwere Feldarbeit konnte er zwar nicht leisten, wurde aber auch im Innendienst benötigt, wozu auch das Melken der Kuh gehörte. Dies kam besonders seiner Ernährung zugute, denn auch Polen litt lange Zeit unter Nahrungsknappheit.

Während die polnischen Neubauern tagsüber auf den Feldern arbeiteten, gruben sie in der Nacht den Garten um. Mit langen Stangen versuchten sie, die vor Kriegsende vergrabenen Schätze aufzuspüren und wurden auch ab und zu fündig, was mein Vater hinter der Gardine stehend, beobachtete.

Das Verhältnis der polnischen Prinzipale zu ihrem deutschen Knecht war zwiespältig. Einerseits brauchten sie ihn und ließen sich auch gern in einer unserer Kutschen zur Kirche fahren. Andererseits misstrauten sie ihm, durchsuchten wiederholt sein Zimmer und nahmen, was ihnen gefiel. Aber sie berücksichtigten auch sein eingeschränktes Arbeitsvermögen, und wenn, etwa an den Festtagen gefeiert wurde, musste er stets dabei sein und mit dem schwarz gebrannten Wodka kräftig anstoßen.

Auch den Nachbarn war mein Vater willkommen, weil sie seinen Rat benötigten. Hier wurde er deshalb regelmäßig eingeladen, sich die Haare schneiden zu lassen, was streng nach einer von den Akteuren festgelegten Reihenfolge geschah.

Als nach nahezu dreijähriger Zwangsarbeit mein Vater nach Deutschland ausreisen durfte, begleiteten ihn seine polnischen Arbeitgeber unter Tränen zur Abfahrtsstelle.

Im Sammellager der Aussiedler war dann allerdings schnell Schluss mit der Freundlichkeit. Hier versuchte man den deutschen Ausreisenden ihre letzte Habe zu entreissen.

Für einen Wechsel vom Feind- zum Freundbild war es damals wohl noch zu früh. Begegnungen sind hilfreich, aber eine Verbindung zwischen zwei Völkern, aus der ein Miteinander erwachsen kann, bedarf vor allem der Gemeinsamkeit, wie gemeinsame Interessen oder gemeinsame Ziele, die sich auch aus einem 'Auf-einander-angewiesen-sein' entwickeln können.


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Hildegard Neufeld
eingereicht von
Hildegard Neufeld
Kategorie
Miteinander leben - Bei uns und woanders
Datum
28.08.2009


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