Erfahrungsberichte

Nächtlicher Besuch

Als die Amerikaner und Franzosen im April 1945 Ulm besetzt hatten, wurde auch unser großes, schönes Haus in der Römerstraße requiriert. Ein US- Befehlsstab richtete sich im Erdgeschoß ein. Immerhin waren die  Amis so anständig, uns nicht auf die  Straße zu setzen, sondern wir durften im oberen Stock wohnen bleiben. Sie halfen sogar noch, meine hochbetagte, bettlägerige Großmutter nebst ihren Möbeln nach oben zu schaffen.
Das als Dank angebotene eingemachte Obst lehnten sie aber ab. Sie durften nichts annehmen und hatten große Angst vor Gift oder Ansteckung. Außerdem mußte das Haus immer offen bleiben.

Außer meiner Großmutter, meiner Mutter und mir lebte bei uns noch Frau Reuter, eine alte, alleinstehende Frau, die ausgebombt war und uns später noch viel geholfen hat. Dann wurden uns noch ein junges französisches Pärchen einquartiert, vermutlich "befreite" Fremdarbeiter. Dies wurde den französischen Soldaten anscheinend alsbald bekannt, denn eines Nachts klopfte Frau Reuter an unserer Schlafzimmertür. Meine Mutter solle herauskommen, es sei Besuch da. Vor  den beiden Frauen stand ein dunkelhäutiger Kolonialsoldat in bunter Uniform und fragte barsch auf französisch nach der jungen Frau. Dabei fuchtelte er mit einer Taschenlampe herum und ließ uns kein Licht machen. Obwohl meine Mutter zu Tod erschrocken war, wollte sie die Frau nicht verraten. Sie sagte zu ihm: "Nix French woman, nur Amis hier!" und dachte, die Amerikaner unten würden ihn schon hinaus schaffen. Während sich Frau Reuter wieder zurückzog, ging sie mit ihm die Treppe hinunter, aber unten war alles still. Sie klinkte an der ersten Tür, sie war verschlossen, die nächste ebenfalls. Endlich, die dritte Tür ging auf. Auf dem Tisch stand eine Flasche Schnaps. Meine Mutter stürzte hinein, ergriff die Flasche, drückte sie dem Schwarzen in die Hand und sagte energisch: "Now go out", was er denn auch tat. Als sie dann wieder die Treppe hinaufstieg, merkte sie, wie ihre Knie zitterten. Gott  sei Dank war der ungebetene Besuch wieder fort.


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eingereicht von
Frieder Hillenbrand
Kategorie
Kriegsende, Flucht, Vertreibung
Datum
18.09.2009


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