Erfahrungsberichte

Unsere französischen Nachbarn - vom Feind zum Freund

Wer vor 60 Jahren -also 1949- durch die Stadt Lahr ging, glaubte sich in einer französischen Garnisonsstadt zu befinden. Also das habe ich jetzt etwas übertrieben, zumal ich damals als 5-jähriger Junge das wohl nicht so gut beurteilen konnte. Lahr - eine mittelbadische Kleinstadt zwischen Freiburg und Straßburg gelegen- war damals Sitz des kommandierenden Generals der französischen Luftwaffe  und der 1. französischen Luftwaffendivision und (vorübergehende) "Heimat" von ca. 7.000 französischen Soldaten. Als Besatzer 1945 gekommen, waren sie für uns Deutsche naturgemäß zunächst Feinde. Und so war uns Kindern auch der Umgang mit den französischen Kindern, deren Eltern in der Nachbarschaft einquartiert gewesen waren, verboten. Vermutlich galt das auch umgekehrt. Doch das änderte sich schnell, weil bekanntlich die Kommunikation unter Kindern eigenen Regeln folgt und elterliche Verbote einen ganz besonderen Reiz ausüben. So gab es bald  unvergessliche "Fußball-Länderspiele" zwischen deutschen und französischen Kindern im nahe gelegenen Schulhof. Und daraus erwuchsen neben Prellungen und Schrammen nicht selten Freundschaften. Hinzu kam, dass wir in der Schule als erste Fremdsprache Französisch hatten, was unser Verständnis der fremden Kultur förderte. Ich glaube, dass der Durchbruch -weg vom Feindbild, hin zum Freund- 1955 kam. Das war der NATO-Beitritt der Bundesrepublik und plötzlich waren die beiden Staaten Partner. Das war auch im Umgang von Franzosen und Deutschen  miteinander spürbar: Es gab gegenseitige Einladungen zu öffentlichen Veranstaltungen und ein Deutsch-Französischer Club wurde gegründet, dessen Vorsitzender ich später -1965- werden sollte. Wir Heranwachsende lernten dann recht schnell französischen Schaumwein und schwarze Zigaretten kennen und schätzen und auf der zwischenmenschlichen Ebene entwickelte sich ein reger Austausch. Nicht immer zu unserer ("männlichen") Zufriedenheit, waren doch die französischen Soldaten begehrte, weil charmante Tanzpartner der deutschen "Frauleins", von denen dann in der Tat nicht wenige später als "Madame ......" für immer nach Frankreich gingen.
Auch wirtschaftlich war die Präsenz von tausenden von Soldaten z.T. mit ihren Familien für      Einzelhandel und Gastronomie bedeutend. 1962 wurde dann eine Städtepartnerschaft mit Dole/Jura begründet, die der Anfang war von unzähligen Schüleraustauschen, an denen ich als einer der ersten teilnahm. Ich erinnere mich noch wie heute an meine erste Konfrontation mit französischem Essen.
In meiner französischen Gastfamilie gab es gleich am ersten Tag ein Gericht mit schwarzen Oliven. Ich glaube es war geschmortes Kaninchen. Mme. de Taddéo, meine Gastmutter für 3 Wochen, legte mir zunächst nur ganz wenige Oliven auf, wohl um den intensiven Geschmack wissend. Ohne zu probieren bedeutete ich ihr in meinem damals kümmerlichen Schulfranzösisch, mir doch mehr zu servieren, weil ich der Meinung war, dass es sich um süß-sauer eingelegte Zwetschgen handele. Und die mochte ich besonders gerne. Der Schock war gewaltig und ich habe noch heute eine gewisse Distanz zu schwarzen Oliven. Aber ich wollte mir das nicht anmerken lassen und habe tapfer meinen Teller leer gegessen.
Für mich und viele meiner damaligen Freunde waren diese Jahre intensiver Begegnung mit Franzosen und französischer Lebensart prägend und sehr bereichernd. Nicht zuletzt auch sprachlich, was mir später beruflich Vorteile brachte. Aber auch für die französischen Soldaten war es -wie uns bei jeder Verabschiedung bestätigt wurde- eine ganz besondere Erfahrung, die sehr dazu beitrug, dass sich das damalige französische Deutschland-Bild zum positiven wandelte. Und das war eine wesentliche Grundlage, welche die top-down angestoßene politische Aussöhnung bottom-up untermauerte.


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eingereicht von
Hanns Hanagarth
Kategorie
Begegnungen helfen verstehen
Datum
10.11.2009


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