Erfahrungsberichte

Musik verbindet

Im Herbst 2008 trafen wir uns zum ersten Mal am Illerblick. Wir, das sind Senioren vom Zawiw, Frau Stadelhofer sowie die Russischgruppe der 10. Klasse der FWS am Illerblick, ihre Lehrerin, Frau Meier und ich. Wir hatten ein ehrgeiziges Ziel vor Augen: Wir wollten zusammen nach Russland fahren, also ein Alt-Jung-Projekt planen und durchführen. Neben vielen anderen Vorbereitungen übte nun die Russischgruppe während der Chorstunden mit Frau Rost englische, russische und deutsche Lieder, um sie dort vorzutragen. Da Frau Rost bei unserer Fahrt nicht dabei sein konnte, wurde mir die Aufgabe übertragen, die englischen und deutschen Lieder dort mit meiner Flöte anzustimmen. Nun rückte der Tag unserer Abreise immer näher und schließlich flogen wir, musikalisch bestens vorbereitet, am 15.04.09 von Stuttgart aus nach Moskau. Nach 10stündiger Busfahrt erreichten wir kurz vor Mitternacht Kursk, wo wir von unseren Gastgebern herzlich empfangen wurden. Nach einer erholsamen Nacht trafen wir uns am nächsten Morgen in MEBIK, der Hochschule für Management, Wirtschaft und Business von Kursk, wo wir offiziell von der Direktorin, Frau Galina Okorokova und ihren StudentInnen begrüßt wurden. Von hier aus unternahmen wir während des ganzen Aufenthalts unsere Exkursionen.

In Russland sind die Wege weit, die Fahrten lang - so wurden wir im Vorfeld gewarnt. Doch uns wurde nie langweilig im Bus: Schon nach kurzer Zeit fing in den hinteren Reihen ein Schüler an, eine Melodie zu summen oder stimmte ein Lied an!  Andere nahmen die Melodie auf und es war ein Vergnügen , ihnen zuzuhören! Die Gespräche der Senioren verstummten, ihre Köpfe drehten sich nach hinten! Bald darauf war auch die Sitzordnung aufgelockert: Schüler setzten sich neben Senioren und andersrum. Es entstand ein Miteinander, die anfängliche Distanz war aufgehoben. Erstaunlich war außerdem, dass die Lieder nicht nach der ersten Strophe zu Ende waren, weil keiner den Text der weiteren kannte. Einige Schüler wussten alle Strophen auswendig und es war ein Hochgenuß, die Jugend singen zu hören, eine Jugend mit großem Liedschatz! Beim Besuch der Gedenkstätten in Prochorowka und dem Treffen mit den Kriegsveteranen am 3. Tag wurden die Erinnerungen an die Kriegserlebnisse von.......(Namen) lebendig und die Frage stellte sich: Wie konnte es geschehen, dass das deutsche Volk einen Diktator wie Hitler nicht vom Sockel stoßen konnte? Die Stimmung war nachdenklich geworden, ernst und betroffen. Nach dem anschließenden Mittagessen in der näheren Umgebung wollten die Schüler gerne singen, aktiv werden und ihren Beitrag leisten für die Gemeinschaft: Wir  stimmten 2 englische und 2 russische Lieder an. Die Veteranen lauschten, die Bedienungen im Lokal setzten sich , der Koch aus der Küche lehnte sich an den Türrahmen und alle hörten gebannt zu. Sie waren beeindruckt und ergriffen von den Melodien der Schüler, besonders davon, dass wir auch russisch gesungen haben.

Am 4. Tag stand der Besuch der Schule 44 auf dem Programm. Wir wurden von der Schulleiterin empfangen und ihre SchülerInnen leiteten uns von Raum zu Raum - in perfektem Englisch! Russische und deutsche Schüler erhielten nun die Aufgabe, gemeinsam ein Summercamp zu organisieren. Die verschiedenen Gruppen präsentierten anschließend ihre Ergebnisse und zum Schluß sangen wir unser gesamtes Repertoire. Dabei sprang der Funke spätestens bei unserem"Kalinka" auf die russischen SchülerInnen über, sie fingen an zu tanzen und ein begeistertes, fröhliches, fast ausgelassenes Miteinander entstand, handy-nummern wurden ausgetauscht , weitere Treffen vereinbart........, die Stimmung war nicht mehr zu toppen!Besonders eindrucksvoll war auch der Besuch im Sanatorium von Marjino, dem ehemaligen Schloss von...... (Name des Zars) am 6. Tag. Ein sehr korrekt gekleideter und sehr vornehmer Herr führte uns durch die eleganten Räume des Schlosses und er lobte dabei die hervorragende Akustik, die im Empfangssaal herrsche. Dort war eine kreisförmige Empore, auf der wir dann unsere Lieder anstimmten. Es klang wirklich wunderschön, ein wahrer Ohrenschmaus und unser nobler Herr war sichtlich beeindruckt, seine Gesichtszüge wurden weicher, seine Augen freundlicher.Das hätte er uns wohl nicht zugetraut!!! Auch der nächste Tag begann gleich wieder mit Musik: Heinz hatte Geburtstag! Also sangen wir ihm erstmal das obligatorische Ständchen in englisch und das unverzichtbare "Mnogaja ljeta" ("Auf viele Jahre"). Heinz, sichtlich gerührt, war begeistert. Doch wir sollten noch mehr Gelegenheit zum Singen bekommen und zwar war heute der Besuch in der Stadtverwaltung von Kursk mit Empfang beim Bürgermeister Nikolaj Owtscharow angesagt. Wir wurden im Rathaus empfangen und nahmen auf den Ledersesseln der Stadträte im Sitzungssaal Platz. Alles war sehr offiziell und respekteinflößend. Nach den verschiedenen Reden der Politiker und Abgeordneten, der Leiter und der Verantwortlichen, stellten wir uns auf und stimmten unsere Lieder an. Viel Applaus und großes Wohlwollen strömte uns entgegen und die Herzen öffneten sich. Anschließend rezitierte Lilian Lasancov, eine russische blinde Seniorin, in deutscher Sprache den "Erlkönig", was uns alle sehr beeindruckte.

Dieses Zusammenwachsen der Reisegruppe, von Alt und Jung, der Schüler mit ihren russischen "Mamas und Papas" war ein Prozess, der durch die Musik wesentlich vereinfacht und beschleunigt wurde: Menschen jeden Alters, jeder Herkunft, jeder Nationalität verstehen die Sprache der Musik, überwinden Differenzen, finden zusammen, verbinden sich und erleben beim gemeinsamen Singen ein starkes Wir-Gefühl. Musik hat das Potenzial, Generationen und Nationalitäten zu vereinen, Menschen unterschiedlichster ethnischer und sozialer Herkunft - Musik hält jung und macht innerlich reich! Darauf können wir den Gegenbesuch im Oktober bauen!


Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net



eingereicht von
Hildegard Jans-Honold
Kategorie
Musik schafft Brücken
Datum
14.12.2009


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