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Deutsche Auswanderer in Chile
                                    von Dr. Erna Subklew
Unter dem Titel „Deutsche in Chile" findet man im Internet eine interessante Interviewreihe von Marc Steffen Unger, in der er die unterschiedlichen Ansichten der Ausgewanderten über ihren Heimatbegriff darstellt.

Die Probanden
Insgesamt handelt es sich um Interviews mit 25 Probanden, vier davon sind Ehepaare, die anderen Einzelpersonen, davon drei Frauen und vierzehn Männer.
Der Zeitpunkt der Einreise ist sehr unterschiedlich, ein Proband gehört bereits der zweiten Generation an, einer ist vor über fünfzig Jahren eingewandert, zwei Personen sind erst seit zehn Jahren im Land, die anderen um die zwanzig Jahre. Zwei dürften bereits sechzig Jahre alt sein, die anderen um die vierzig.
Aufgefallen ist mir, dass die Kommentare der meisten Frauen kürzer waren als die der Männer.
Mein Interesse an den Interviews besteht darin zu erfahren, was den Begriff von Heimat ausmacht. Welche Gefühle, Erinnerungen, Orte sind es, die uns ein Heimatgefühl vermitteln.

Die Aussagen der Ehepaare
Wie schon erwähnt, waren die Antworten der Ehefrauen wesentlich kürzer als die der Ehemänner, aber auch der einzelnen Frauen.
Johanna sagte nichts (oder M.S. Unger hat nichts davon veröffentlicht), während ihr Mann meinte, dass für ihn der Geburtsort und die Familie, Großmutter, Onkel und Tanten Heimat bedeuten würden.
Dagmar nannte als ihre Heimat die Familie, ihr Mann meinte, die deutsche Kultur und die Schwäbische Alb bedeuteten für ihn Heimat.
Gabrieles Heimat ist ihre Jugend in Deutschland. Die Heimat ihres Lebenspartners ist da, wo man sich wohlfühlt, wo der Lebensmittelpunkt ist. So hat sich für ihn Chile schon zu einem Stück zweiter Heimat entwickelt.
Gaby bezeichnet als ihre Heimat wo sie Freunde und ihre Tiere hat, sich wohlfühlt, wo es heimatliches Essen gibt, wo es ihr gut gefällt. Für ihren Mann war lange Jahre das Schiff, auf dem sie wohnten, die Heimat. Aber sie ist auch da, wo man seinen Dialekt spricht.

Die Frauen
Von den einzelnen Frauen sagte Susi, dass für sie Heimat deutsches Essen bedeute, vor allem zur Weihnachtszeit - Glühwein und Stollen, eine Vesper mit einem Stück Speck und die Kirschbäume am Kaiserstuhl.
Für Helga trägt man Heimat in sich. Sie ist da, wo die Familie ist. Eigentlich ist es Deutschland, aber immer mehr auch Chile. Sie fühle sich in beiden Ländern wohl.
Ähnlich äußerte sich auch Gudrun, die sich da wohlfühlt, wo man ihr Freundlichkeit und Freundschaft entgegenbringt, wo sie angenommen wird. Heimat ist nicht an den Ort gebunden.

Die ersten sechs Männer
Bernd lebt bereits 22 Jahre in Chile. Er hat Heimatgefühle, wenn er an die Küche seiner Mutter denkt. Besonders an den Weihnachtstagen vermisst er die Heimat.
Clemens sagt, dass Heimat für ihn zwei Komponenten habe, einmal die emotionale und sprachliche, aber auch die örtliche, da wo er aufgewachsen ist oder wo er jetzt lebt.
Armin vermisst die Heimat, wenn er an seine Kindheit denkt, an seine Jugend und an die Verwandtschaft.
Jörn aus Bremen fühlt sich gut und der Heimat verbunden, wenn er etwas von der Bundesliga hört, vor allem von Werder-Bremen und wenn er deutsche Musik hört.
Für Uli entsteht Heimat mit den Gedanken an bestimmte Dinge, zum Beispiel an Märchen, an den Sommer am Niederrhein, an die dortigen Feste, an Fronleichnam.
Wenn Alex an die Kneipe an der Ecke denkt, dann entstehen Heimatgefühle, aber auch, wenn er deutsche Kinderlieder hört und sich mit der deutschen Geschichte beschäftigt.

Weitere Männerinterviews
Helmut fühlt sich nur in Deutschland daheim, er kommt hin und ist zu Hause. In Chile fühlt er sich immer wie der „Türke in Deutschland", als Ausländer.
Siegfried hat keine heimatlichen Gefühle, wenn er an Deutschland denkt, für ihn bedeutet das Memelland Heimat, dort habe er seine Wurzeln. Heimat ist jetzt aber auch Chile.
Bernardos Eltern sind 1936 nach Chile ausgewandert. Er selbst ist schon in Chile geboren. Für ihn bedeuten das Land, das seine Eltern erworben haben, und das Haus, das sie gebaut haben, Heimat.
Christian meint: Mit Heimat drückt man eine Beziehung zu den Menschen aus. Sie hat verschiedene Gesichter. Es kann die Landschaft sein, aus der man kommt, auch da wo man sich wohlfühlt, sich verstanden fühlt und wo man „frei Schnauze sprechen kann".
Für Hans ist Heimat nicht dort, wo man geboren ist, sondern sie liegt in der Literatur, in der Musik, in der Natur. Als Ort und Natur ist Chile seine Heimat.

Noch drei Interviews
Obwohl Günter sagt, dass er immer irgendwie Deutscher bleiben würde, das läge an der Muttersprache und an dem, was wir gelernt haben, möchte er in Chile begraben werden und nicht in die deutsche Erde zurückkehren.
Für Hans bedeutet Heimat ein Häuschen in Hamburg, dort auf dem Bett zu liegen und einen plattdeutschen Sender zu hören.
Für Eduard ist, genau wie bei Hans, Heimat mit einem Ort, seinem Geburtsort, verbunden und mit den Menschen, die dort leben.

Zusammenfassung
Ordnet man die Aussagen der Probanden zur Heimat und zu Heimatgefühlen, so findet man, dass mit diesem Begriff
16 x ein Ort gemeint ist.
13 x deutsche Kultur, wobei 4 x ausdrücklich die Sprache genannt wird und 4 x deutsche Lieder oder Musik und Feste. Dabei spielt als Fest vor allem Weihnachten eine große Rolle.
8 x werden bestimmte Personen, vor allem Familienangehörige, benannt.
7 x wird Heimat mit Wohlfühlen gleichgesetzt, wobei nicht nur das Wohlfühlen im Auswanderungsland sondern auch das im Einwanderungsland gemeint ist.
5 x wird das Einwanderungsland direkt als Heimat bezeichnet.
3 x wird das „deutsche Essen" als Heimat genannt.
Bei der Nennung von Orten meint man fast immer die Region oder eine Stadt, einmal sogar die Straße mit der Kneipe. Ein Proband sagt ausdrücklich: „Nicht Deutschland, sondern das Memelland".
Ein Proband scheint nicht in Chile angekommen zu sein, er sagt: „Ich fühle mich wie ein Türke in Deutschland."

Mehr über die fünfundzwanzig Auswanderer erfahren Sie unter :
Deutsche in Chile

 
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