Moderne Übersetzer
                            von Lore Wagener
Der Übersetzer alter Schule, der seine Übersetzung handschriftlich in dicke Bücher schrieb, hat sich im Zeitalter der neuen Medien und der Globalisierung überlebt. Heute gehören die „Sprachdienstleister" zu einem der 10 größten Wirtschaftszweige der EU.

Literaturübersetzungen

Die literarischen Übersetzer entsprechen noch am ehesten unseren Vorstellungen von einem klassischen Übersetzer im stillen Kämmerlein. Aber es ist heute sehr schwer, mit dieser Tätigkeit sein Auskommen zu finden. Man ergreift diesen Beruf wohl eher aus Neigung und Idealismus. Dabei ist gerade diese Tätigkeit für den internationalen Kulturaustausch und die Völkerverständigung, auch für das Zusammenwachsen des Kulturraums Europa, so wichtig. Sie macht die ausländische Literatur im Inland und die inländische Literatur im Ausland bekannt und überwindet so die bestehenden Sprachbarrieren. Aber der Büchermarkt ist sehr umkämpft und die Verlage müssen preiswert arbeiten. Sie erteilen in der Regel Übersetzungsaufträge an freiberufliche Übersetzer und bestimmen dank ihrer Marktmacht das Entgelt. Und der Freiberufler muss dann selbst sehen, wie er mit dem Auftrag klarkommt.

Elmar Tophoven
Es gibt aber auch Top-Übersetzerkarrieren, zum Beispiel die von Elmar Tophoven. Der wurde 1923 in Straelen am Niederrhein geboren und erlebte als junger Mann die typische Kriegslaufbahn seines Jahrgangs: Notabitur, Arbeitsdienst, Soldat
in Frankreich, an der Ostfront und in Italien, Flecktyphus, amerikanische Gefangenschaft, nach dem Krieg ein paar Semester Theaterwissenschaft. Tophoven wurde dann als Deutschlektor an die Sorbonne berufen, ab 1970 lehrte er an der Eliteschule École Normale Supérieure.
Daneben übersetzte Tophoven etwa ab 1952 Texte englischer, französischer und niederländischer Autoren. Mit sorgfältigen Übersetzungen der Werke von Samuel Beckett erwarb er sich internationalen Respekt und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er starb 1989 in Straelen.
Tophoven war dank seiner elitären Lehrtätigkeit finanziell gut abgesichert. Aber er erkannte auch, dass es vielen Übersetzer-Kollegen schlecht ging und ergriff die Initiative, um ihnen zu helfen.

Das Europäische Übersetzer-Kollegium
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1978 gründete Tophoven zusammen mit dem Verbandsvorsitzenden Klaus Birkenhauer das „Europäische Übersetzer-Kollegium". Man organisierte in Straelen am Niederrhein ein Arbeitszentrum für literarische Buch-Übersetzer, die dort in 30 Appartements für einige Zeit wohnen, arbeiten und sich untereinander austauschen können. Die deutschen und ausländischen Übersetzer kommen jeweils mit einem bestimmten Verlagsauftrag und finden in Straelen gut ausgestattete Arbeitsräume und eine 110 000 Bände umfassende Bibliothek, unter anderem mit 25 000 Lexika in 275 Sprachen. Der Aufenthalt ist für professionelle Übersetzer grundsätzlich kostenlos, andernfalls könnten sie sich dies wohl nicht leisten. Als Hauptsponsor der Einrichtung wurde das Land Nordrhein-Westfalen gewonnen, dessen Kunststiftung  auch einen Übersetzerpreis vergibt. Das Kollegium hat im In- und Ausland einen sehr guten Ruf. Inzwischen gibt es zwei ähnliche Einrichtungen in Frankreich und in Spanien.

Moderne Technik
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Broschüre der EU

Übersetzer arbeiten heute in der Regel am Computer und nutzen moderne Software und eine Kombination von Übersetzungshilfsmitteln, vor allem bei den großen Dienstleistungsunternehmen und in der Industrie. Aber auch bei den EU-Behörden sind die Arbeitsgänge optimiert und auf Schnelligkeit und Effizienz ausgerichtet. Auf den Websites der „Generaldirektion Übersetzung" bei der Europäischen Kommission ist zum Beispiel ausführlich beschrieben, wie die Übersetzer mit Hilfe von Übersetzungsspeichern von Routinearbeiten entlastet werden und sich so auf ihre  eigentliche Arbeit konzentrieren können.

Maschinelle Übersetzung
Bei so viel moderner Technik kam man natürlich auch auf die Idee, die Übersetzerhonorare ganz zu sparen und nur noch Maschinen zum Übersetzen zu verwenden. Das klappt aber nur bei ganz einfachen Texten. Wird es etwas komplizierter, dann ist die Textqualität der computererzeugten Übersetzungen doch ziemlich merkwürdig. Wer es jemals mit einer maschinell übersetzten Gebrauchsanweisung für ein Import-Produkt versucht hat, weiß, was gemeint ist. Nach einem solchen Versuch weiß man jedenfalls die Arbeit eines kompetenten Übersetzers sehr zu schätzen. Auch in der technischen Moderne braucht man also weiterhin gut ausgebildete Menschen als Übersetzer, gerade auf dem internationalen Parkett, sei es bei Behörden, internationalen Organisationen, im diplomatischen Dienst oder in der Wirtschaft.

Die „Generaldirektion Übersetzung"

Welchen Aufwand man da vielfach betreiben muss, soll am Beispiel der „Generaldirektion Übersetzung" aufgezeigt werden, die exklusiv für die Europäische Kommission arbeitet. Die Generaldirektion Übersetzung hat 2500 Mitarbeiter nur für die Übersetzung von Texten. Die Dolmetscher zählen nicht dazu. Sie gehören zu einer anderen Behörde.
Bei der EU-Kommission fällt eine Menge Text an, zum Beispiel von Verordnungen, Strategiepapieren oder Berichten. Und die müssen allesamt in die 23 Amtssprachen der EU übersetzt werden. Umgekehrt müssen auch die in allen Sprachen für die Kommission eingehenden Texte in die Sprachen der Empfänger bei der EU transferiert werden, wobei etwa 570 Sprachkombinationen denkbar sind. Ein gewaltiger Aufwand, der da mit dem EG-Vertrag vereinbart wurde. Aber alle wachen darüber, dass die „regionale und nationale Vielfalt aller Mitgliedstaaten" gewahrt bleibt. Man will, dass alle Bürger der EU die Texte der Kommission in der eigenen Sprache lesen und bearbeiten können.

Übersetzer in Industrie und Wirtschaft
Das obige Behördenbeispiel zeigt, was die Sprachdienste im vereinten Europa leisten. Mindestens ebenso groß ist ihr Nutzen für die globalisierte Wirtschaft der EU, deren vernetzte Produktion keine Sprachbarrieren mehr gebrauchen kann. Während die Manager und viele Mitarbeiter der Firmen neben ihren fachlichen Kenntnissen auch die erforderliche Sprachkompetenz in mindestens einer der gängigen Verkehrssprachen haben, braucht die Wirtschaft  für viele andere Dinge spezielle Sprachdienstleistungen, zum Beispiel für die Werbung, den juristischen Schriftwechsel oder die Bedienungshandbücher. Falls diese im eigenen Unternehmen nicht verfügbar sind, bemüht man professionelle Übersetzungsbüros.

Professionelle Übersetzungsbüros

Übersetzungen sind ein mehr oder minder gutes Geschäft für spezielle Sprachdienstleister. Den größten Gewinn machen auf diesem Markt die etwa 25 großen weltweit agierenden „Global Players", von denen etwa die Hälfte ihren Sitz in Europa hat. Sie bieten professionelle Übersetzungen sowie eine sorgfältige „Lokalisierung" an. Man fordert heute, dass eine gut „lokalisierte" Übersetzung den Eindruck vermittelt, dass der Text bereits ursprünglich in der Zielsprache entstanden ist.
Neben den Großunternehmen gibt es europaweit auch mittlere und sehr viele kleine Büros. Darüber hinaus verdient eine Vielzahl freiberuflich tätiger Übersetzer in dieser Branche ihr eher bescheidenes Brot. Viele der Freiberuflichen übersetzen Fach- und Sachbücher und haben sich auf bestimmte Fachgebiete und bestimmte Sprachen spezialisiert.

Links:
Arbeitsablauf bei der GD Übersetzung

Europäisches Übersetzer-Kollegium in Straelen

Nachruf auf Elmar Tophoven


 
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