Erfahrungsberichte

Drei-Generationen-Freundschaft Französische Schweiz – Deutschland

Als mein späterer Mann und ich in den Jahren 1962 bis 1966 in München studierten, waren wir dem sog. Ausländer-Freundeskreis (AFK) der Katholischen Studentengemeinde angeschlossen. Dieser hatte zum Ziel, sich um ausländische Studenten zu kümmern, sie über das Leben in München und Deutschland zu informieren, mit ihnen etwas zu unternehmen, Deutsch zu sprechen etc.
Dort lernten wir 1964 ein frisch gebackenes franz.-schweizerisches Ehepaar kennen, sie, Mado, Juristin, aus Fribourg, er, Bernard, Historiker, aus dem Jura. Die beiden durften mit Hilfe eines Stipendiums ein Jahr in Deutschland verbringen.
Wir freundeten uns bald an, unternahmen einiges gemeinsam mit der Gruppe oder unter uns, bevor wir die beiden nach zwei Semestern verabschieden mussten. Damit war unsere Freundschaft aber nicht zu Ende. Wir blieben in Kontakt, in den ersten 10 Jahren weitgehend über Geburtsanzeigen unserer Kinder, fünf Mädchen in der Schweiz und zwei Jungen bei uns.
Bernard wurde Lehrbeauftragter an der Uni Fribourg, Mado blieb bei den Kindern zu Hause. Sie legten sehr viel  Wert darauf, die deutsche Sprache weiter zu pflegen, zumal sie in ihrem Kanton an der dt.-franz. Sprachgrenze lebten. So wollten sie auch, dass ihre Töchter ihr Schuldeutsch durch die Praxis verbesserten – und deshalb kamen wir mit ihnen überein, dass alle Töchter im Alter von ca. 15 Jahren bei uns und der Abwechslung halber auch bei Freunden von uns die Ferien verbrachten. Sie waren liebe Gäste und nutzten die Zeit zum Deutschsprechen. Meinen Söhnen im Gegenzug tat es gut, ihr Schulfranzösisch zu erproben. Da die Eltern ihre Töchter immer brachten und meist auch abholten, gab es jedes Mal ein frohes Wiedersehen mit der ganzen oder einem Teil der Familie. Zwischendurch fuhren wir in die Schweiz, wo wir das Chalet nutzen durften, das sich die Familie im Jura, der Heimat von Bernard, zugelegt hatte.
Auch nach dem „Kinderprogramm“ hielten wir Kontakt. Wir nahmen Anteil, wie unsere Freunde sich mit dafür einsetzten, dass der Kanton Jura gegründet wurde. Bernards Heimat, der Jura, ist ein zum Teil frankophones und katholisches Gebiet im Nordwesten der Schweiz und war Teil des mehrheitlich deutschsprachigen und protestantischen Kantons Bern. Viele Jurassen litten darunter, dort nicht angemessen vertreten zu sein. In den 60er Jahren begannen die Bemühungen der frankophonen Jurassen um einen eigenen Kanton. Nach vielen Jahren nicht immer nur friedlich verlaufener Anstrengungen, bei denen verschiedene Teile des Jura selbst gegeneinander standen, wurde 1978 per Volksabstimmung beschlossen, dass zum 1. 1. 1979 ein Teil des Nordjura ein eigener Kanton werden durfte (der 26.!), während einige andere Teile bei Bern blieben oder sich zu Basel-Land bekannten. Ein Traum war für unsere Freunde wahr geworden. Sie konnten sogleich in den neuen Kanton, Bernards Heimat, übersiedeln, weil Bernard als Historiker die Stelle des Kantonsarchivars und Denkmalschützers erhielt. Mado konnte eine Zeitlang den Jura für die CVP im Berner Parlament vertreten.
Unsere Freundschaft ging weiter: Es folgten die Hochzeiten unserer Kinder, bisher vier in der Schweiz und zwei bei uns. Nun haben wir 11 Enkelkinder, wobei das Übergewicht naturgemäß in der Schweiz liegt: zur Zeit steht es 9 : 2 für die Schweiz!
Die jüngste Tochter, Jahrgang 1974, ist mit einem Deutschen verheiratet, der mit seinen Eltern schon lange in der franz. Schweiz lebte. Das Paar wohnt in der Nähe von Fribourg und hat zwei Kinder, gerade 5,5 und 2,5 Jahre alt. Großeltern und Vater wünschen sich, dass die deutsche Sprache in der Familie erhalten bleibt. Die Mutter unterstützt diesen Wunsch und fragte deshalb bei mir an, ob sie mit ihren Kindern in den Herbstferien zu mir kommen könne, damit sie selbst und die Kinder Übung in Deutsch bekämen. Ich habe gern zugesagt, und so haben wir Ende Oktober – Anfang November fast zwei Wochen miteinander verbracht. Die Kinder konnten stundenweise den Kindergarten besuchen, und wir schauten nach vielen Möglichkeiten, etwas zu unternehmen (Legoland, Aquarium……).
Ein Highlight in unserer nun 45 Jahre alten Freundschaft war ein Besuch in München. Wir waren bei meinem Sohn eingeladen zum ersten Geburtstag meines zweiten Enkels. Zuerst haben wir ein wenig die Stadt angeschaut, weil meine Gäste wissen wollten, wo die (Groß-)Eltern damals gelebt hatten, dann waren wir – Vertreter/innen von drei Generationen – beim Geburtstagsfest. Die Kinder verstanden sich gut – auf Deutsch!
Martin konnte schon ganz gut Deutsch,  nur konnte er, wie er sagte, „Krieg“ nicht auf Deutsch spielen! Seine Mutter konnte nicht auf Deutsch schimpfen, und so gab es manchmal lustige bilinguale Szenen. Fotos haben wir nicht viele.

Eines stammt von 1987, wo wir, mein Sohn Gregor und ich, nach dem Ferienaufenthalt bei uns Tochter Nr. 4 verabschieden. Die Eltern waren zum Abholen mit Töchtern Nr. 1 und 5 gekommen, von denen letztere nun bei uns war.

Das neueste Foto zeigt unsere dritte Generation: Daniel  und Florian (d), Martin und Alice (ch).

Unsere Freunde vertreten, wie viele Menschen in der Schweiz, in Sprache und Tradition ihr Land exemplarisch: Sie bemühen sich um verschiedene Sprachen, wie es in ihrem Land nützlich ist zur Verständigung untereinander. Sie haben aber auch in den verschiedenen Sprachgebieten bis in ihre Kantone hinein ihre je eigene Kultur, die sie erhalten wollen. Ihre Eigenständigkeit haben sie sich erhalten, indem sie - obwohl mitten in Europa gelegen - nicht in die EU eingetreten und wir nun nicht mit dem praktischen Zahlungsmittel Euro verbunden sind.
Mit Menschen in diesem Land ist Europa „Possible“, auch ohne dass es Mitglied der EU ist.
Ein Schlusswort von Mado zu diesem Bericht und über PossibleEurope:
« Lorsque je dis que pour nous l'Europe va de soi, das heisst, Europa ist für uns selbstverständlich et c'est vrai pour beaucoup de Suisses, même si les politiques sont très prudents. Toutes les lois que nous votons en Suisse sont en principe eurocompatibles, donc déjà élaborées en fonction de notre participation à l'Europe. »
Übersetzung des weiteren Textes: „Das stimmt so für viele Schweizer, auch wenn die Politiker sehr vorsichtig sind. Alle Gesetze, über die wir in der Schweiz abstimmen, sind im Prinzip eurokompatibel, also schon ausgestaltet im Hinblick auf unsere Teilhabe an Europa.“


Wenn sie mit dem Autor/Autorin des Textes in Kontakt kommen möchten, wenden Sie sich bitte an leserbrief@europa-erleben.net



Dorothee Durka
eingereicht von
Dorothee Durka
Kategorie
Begegnungen helfen verstehen
Datum
16.11.2009


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