30 Mrz 2011
30.3.11, Misericordia in Polsacco
Diesmal wurden wir von Marco, Ivo und Carletto in Calscian empfangen und gleich mit dem Einsatzwagen, an zahlreichen Moebelgeschaeften vorbei (dafuer ist die Gegend beruehmt), zur Station von Misericordia gefahren. Der Leiter, mehrere Freiwillige und drei Zivildienstleistende erwarteten uns, ausserdem Kaffee, Wasser und Pasticcerie zur Begruessung.
Die Station ist in einer gut renovierten Villa (vom Land zur Verfuegung gestellt) untergebracht und rund um die Uhr besetzt. Sie faehrt die umliegenden Krankenhaeuser an und versorgt alte kranke Leute, die sie mit einem Minisender zuhilfe rufen koennen. Ausserdem uebernimmt sie Aufgaben wie soziale Transporte, Besorgen von Medikamenten, Hilfe bei der Erledigung von Formalitaeten, Betreuung und Unterhaltung von Einsamen, Verteiligung von Lebensmitteln und Kleidern, die von Einheimischen gespendet werden (dabei gehen sie nach einer Liste vor) etc.
Die Organisation “Misericordia” wurde angeblich schon 1245 von der damaligen Kirche gegruendet – diese Ambulanz allerding erst 1995. Neben den Freiwilligen in der Station, die immer im Team von drei Leuten arbeiten, und den Zivildienstleistenden, die 7 Stunden taeglich zur Verfuegung stehen (waehrend sie auf einen Studienplatz warten), arbeiten noch eine Reihe von Freiwilligen mit, die von Zuhause aus fuer Betreuungsdienste zustaendig sind, aber auch bei Katastropheneinsaetzen (Waldbraenden etc) mitarbeiten. Derartige Stationen gibt es im Abstand von ca 5 km uebers ganze Land verteilt – erstaunlich! Von einer entsprechenden Versorgung der Bevoelkerung kann man in Deutschland nur traeumen.
Alle Mitarbeiter werden ausgebildet, anfangs in halbmonatigen allgemeinen Kursen, spaeter in Spezialthemen, danach alle zwei Jahre in Fortbildungen. Zweimal woechentlich bietet eine Aerztin im Zentrum ihre Dienste an. Die Organisation feiert gerne Feste, veranstaltet Tombolas etc, um Geld zu sammeln, aber vor allem auch die Bevoelkerung in ihre Arbeit mit einzubeziehen. Sie scheinen gut integriert zu sein; jedenfalls koennen sie ihre 100.000 € teuren Einsatzwagen, die sehr gut ausgestattet wirken, allein aus Spenden der Bevoelkerung finanzieren.
Die Problematik auf poltischer Ebene ist natuerlich ebenso wie bei uns: traegt nicht dieser grosse Einsatz von Freiwilligen dazu bei, den Staat noch weiter von seiner Verantwortung zu entlasten?
Wir besuchten auch zwei alte Frauen, die zwar noch von ihrer Familie versorgt werden koennen, aber anhand ihrer Gebrechlichkeit doch auf die Dienste von Misericordia angewiesen sind. Liebevoll legte Ivo der ersten den Minisender des auch bei uns eingesetzten Hausnotrufs um den Hals und lobte die zweite dafuer, dass sie ihn staendig trug. Ueberhaupt war sehr eindrucksvoll zu beobachten, hier und anderswo, wie freundlich und gut gelaunt diese Menschen miteinander umgingen. Ist mein Eindruck falsch, oder tun sich die Menschen in Deutschland schwerer in ihrem Umgang miteinander?
Nach einem ausgezeichneten Essen mit Pasta, Fleisch und Wein im Restaurant “Bei Bruno”, wozu die Stadtverwaltung eingeladen hatte – eine grosse Schuelergruppe aus der benachbarten Mittelschule teilte mit uns den Raum und sorgte dafuer, dass keine Ruhe aufkam – machten wir uns auf den Weg zur Frattoria da Celaja. Durch die langsam gruener werdende toskanische Landschaft mit ihren sanften Huegeln, Zypressen und Olivengaerten naeherten wir uns dem Weingut, wo uns Piedro, der 78 jaehrige Besitzer, empfing und uns erst mit einer Fuehrung und dann mit Weinproben erfreute. Wie schafft man es, in diesem Alter so ruestig zu sein und es selbstverstaendlich zu finden, dass man in Ruhe das Rentenalter von 8o abwartet? Wein, Arbeit und gute Laune? Wir jedenfalls fanden uns kurz danach beschwingt am Bahnhof wieder und stiegen wie gewohnt in unseren Zug nach Florenz.