10 Apr 2011
8.4.11, Lunch in Colonnato / Massa Carrara
Da sassen wir also alle zusammen, knapp 30 Maenner und Frauen, und warteten unter angeregten Gespraechen (soweit wir einer gemeinsamen Sprache maechtig waren) aufs Essen. Das Lokal war wunderbar ausgewaehlt, es lag in den Marmorbergen um Carrara, wir hatten schon eine laengere Anfahrt hinter uns, die spektakulaere Ausblicke auf die weissen Riesen gewaehrt hatte. Das Lokal selbst war ausgeschmueckt mit Bildern von Landschaften und Skizzen von Maennerakten (muskuloese Koerper im Stil der grossen Tradition dieses Landes); die Kellner stellten einen anderen Typ dar: lang, schmal, nicht mehr jung, mit schuetterem Haar, bei dem einen zu einem langen, mit Band durchzogenen Chinesenzopf zusammengebunden. Unsere Gastgeber, zu denen anscheinend die gesamte Freiwilligengruppe von Anteas in Massa Carrara gehoerte, waren froehliche Leute, meist Maenner, schon betagt und offensichtlich sehr vertraut miteinander. Wir sassen an einer langen Tafel, ergaenzt durch zwei runde Nebentische, und fuellten die Haelfte des Lokals.
Die Vorspeisen wurden aufgetragen: warme Maisstueckchen, kleine Partybroetchen, ueberbackene Auberginenteilchen, oelgetraenkte, mit Tomatenpesto verzierte Brote – und die Kroenung des Ganzen, fein gechnittene Speckstuecke, eine Spezialitaet von Colonnato, wie sie anscheinend so gut nur der Wirt dieses Lokals herstellen kann. Dazu ganz vorzuegliches gesalzenes, fest gebackenes Brot, wie wir es kaum jemals in Italien vorgesetzt bekommen hatten.
Erst beim zweiten Gang, einer dickeren Nudelsuppe (auch eine besondere Spezialitaet, wie uns gesagt wurde), nahm der laute Geraeuschpegel ab, um bald darauf wieder anzuschwellen. Der dritte, der Hauptgang, bestand aus fein geschnittenen Scheiben eines Rinderbratens, einem phantastischen Rollbraten aus Kaninchenfleisch und Gemuese (natuerlich auch eine Spezialitaet!) und entsprechenden Beilagen: geduenstetem Gemuese, in Oel geschwenkten Kartoffeln, klein gehackten Tomaten, mit Fleisch gefuellten Tortellinis. Dazu ein sehr guter Rotwein und Wasser. Da sich das Essen lange hinzog, konnten wir auch noch den Nachtisch geniessen: Reispudding in Caramelsauce – natuerlich auch eine Spezialitaet des Hauses! Danach der uebliche Verdauungscafe’ . Und als besonderes Abschiedsgeschenk bekamen wir drei aus Deutschland ein Stueck Speck aus dieser ganz besonderen Produktion ueberreicht. Wenn das nicht ein Festessen war!
Dabei habe ich noch nichts ueber die Gespraeche bei Tisch gesagt. Das interessanteste Thema war bei weitem der Berg. Wir hatten schon am Vormittag einen Film ueber den Marmorabbau frueher und heute gesehen. Diese Informationen wurden nun durch Erzaehlungen unserer Gastgeber ueber die Arbeit ihrer Vorfahren in den Bergen ergaenzt. Die Regel war: Aufstehn um drei Uhr morgens, barfuss einen 3stuendigen Weg zum Arbeitsplatz hinter sich bringen, bis um 5 Uhr abends arbeiten und zurueck nach Hause. Die erste Errungenschaft, die sich die spaeter gegruendeten Gewerkschaften erkaempften, war denn auch die Anerkennung von anderthalb Stunden dieses Fussmarschs als Arbeitszeit. Mario, dessen Vater schon als 11jaehriger mit der Arbeit im Berg begonnen und erst mit Anfang 50 aufgehoehrt hatte (er wurde immerhin 68 Jahre alt und soll klein und schmaechtig gewesen sein), musste mit den leichteren Arbeiten beginnen. Als erwachsener Mann hatte er dann eine Familie von 5 Kindern zu ernaehren. Die naeheren Einzelheiten dieses Arbeitsprozesses erfuhren wir anschliessend bei Fuehrung unter der fachkundigung Leitung Marios (der uebrigens Lehrer wurde) durch eine der Abbaugruben und die Besichtigung des kleinen Bergbaumuseums.