1 Mai 2011

Begegnung mit Jyväskylä

Geschrieben von bkoenig

Samstag, 30. April 2011

„Das Eintauchen in eine fremde Kultur beginnt doch meist mit dem Essen“, meinte Ria. Und so trafen wir uns, nachdem uns Merja von der Wohnung abgeholt und uns die industrielle Vielfalt unserer näheren Umgebung, deren Gebäude unseren Weg säumten, näher gebracht hatte, am „Kompass“, im Zentrum der Fußgängerzone wieder mit Marjatta, Maija. Auch Ria war heute dabei, eine quirlige, muntere, aus Donaueschingen stammende Lehrerin,die das Herz auf dem rechten Fleck zu haben schien.
Die Erkundung der kommerziellen Infrastruktur begann also – entsprechend Rias Aussage – in der riesigen Lebensmittelabteilung des Kaufhauses SOKOS.Im Supermarkt SOKOS Hier wurden wir mit den landestypischen Spezialitäten vertraut gemacht: ganz unterschiedliche besondere Backwaren, z.B. Karjalanpiirakka – karelische Piroggen – mit allen möglichen Füllungen, Sultsina – gerollte, gefüllte Gerstenflädchen, nicht zu vergessen die aus unterschiedlichen Getreiden hergestellten Varianten von Knäckebrot und tippaleipä (spezielles Gebäck zum 1. Mai), die Fleischprodukte aus den heimischen Wäldern und den berühmten Juustoleipa, den sogenannten Brotkäse, der zuerst über Feuer geröstet wird, bevor er reifen darf.
Wir erfuhren, dass die Finnen zum Frühstück Salziges und Saures bevorzugen, dass sie Lachs in allen denkbaren Variationen zubereiten, dass sie Wert auf frische, natürliche Nahrungsbestandteile ihrer Nahrung legen, und wir hatten den Eindruck, dass sich darin auch das besondere Gesundheitsbewusstsein der Finnen wiederspiegelt.
Nachdem wir all die vielfältigen kulinarischen Anregungen erhalten hatten, durften wir natürlich im herrlich auf dem Hügel gelegenen Aussichtsrestaurant Veslinna auch eine Kostprobe der finnischen Küche und anschließend von dort einen wunderbaren Rundblick über die ganze Stadt genießen.
Gesprächsgegenstand während des Essens war u.a. die geopolitische Lage Finnlands und die langjährige Bedrohung durch die Russen. In diesem Zusammenhang erfuhren wir von Maija, dass sie selbst Opfer der Notlage gewesen war, der viele Familien in den Kriegsjahren in Finnland ausgesetzt waren. Viele Kinder und zu wenig Brot führten zu Beginn der 40er Jahre zu einem Exodus von 70000 Kindern – Maija, das achte von neun Kindern ihrer Familie, war mit zweieinhalb Jahren dabei, und ihre erste Sprache, die sie erlernte, war nicht finnisch sondern schwedisch. Die Kinder kamen alle in Familien und haben auf diese Weise überlebt. Erst mit siebeneinhalb Jahren kam Maija zurück zu ihrer Familie nach Finnland. Sie hatte, wie viele andere Kinder auch, Glück mit ihrer Pflegefamilie und erhält bis heute den Kontakt zu ihr aufrecht. Uns fiel sofort das Schicksal der “Schwabenkinder” bei uns ein, deren Schicksal allerdings meist weniger glücklich verlief wie das der finnischen Kinder.
Auf unserem Rückweg füllten sich die Straßen zunehmend mit kurios anmutenden Figuren: hauptsächlich junge Leute mit glitzernden Perücken, in schrillen, bunt gescheckten Overalls, mit weißen Hüten und grotesk bemalten Gesichtern.
Vappu, der 1. Mai, ist der Feiertag des Jahres und provoziert unter den Studenten ein geradezu karnevalistisches Treiben, das schon am Vortag einsetzt. Wir sind schon gespannt darauf, wie dieses Spektakel weiter geht.

Jyväskylä

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Nachricht:

  • Suchen

  • Logo Grundtvig
  • Logo ZAWiW
  • Logo ViLE