14 Mai 2011

Freitag, der 13. – ein ganz normaler Arbeitstag

Geschrieben von bkoenig

Freitag, 13. Mai 2011

Heute führten wir ein Interviev mit Heli, einer ehemaligen Sonderschullehrerin für Sehbehinderte und Hörgeschädigte, über das Pilotprojekt in Jyväskylä, die Kulturlotsen, an dem sie seit 2007 beteiligt ist. Im Bericht vom 2. Mai hatten wir schon darauf hingewiesen, dass wir dieses Projekt für hervorragend und nachahmenswert halten. Von Heli erhielten wir nun detailliertere Informationen.
Ganz allgemein sind die Kulturlotsen dafür verantwortlich, dass Behinderte, Bedürftige und grundsätzlich Interessierte an Veranstaltungen von Kunst und Kultur in der Stadt, wie Theater, Konzert, Kunstausstellungen, Vorträgen u.v.a.m. teilhaben können. Die Kulturlotsen, bis heute schon über 100, erhalten alle eine fachliche Ausbildung im Kulturbereich, in erster Linie auf künstlerischem Gebiet, das heißt, sie können an Kursen teilnehmen, die graphische Techniken vermitteln, die Aktzeichnen oder Ölmalerei zum Gegenstand haben oder in denen bildhauerische Fertigkeiten eingeübt werden. Alle Kurse werden von Kunsterzieherinnen und Kunsterziehern mit höchster Qualifikation durchgeführt. 
Das Tätigkeitsfeld der Kulturlotsen erstreckt sich über die ganze Stadt, und ihre Klientel könnte nicht unterschiedlicher sein. Bedürftige oder behinderte Personen werden ihnen z.B. vom Roten Kreuz vermittelt. Lehrer – teilweise zusammen mit ihren Schülern, nehmen ihre Dienste in Anspruch, auch Ausländer oder Reisende aus anderen finnischen Regionen, selbst aus der Hauptstadt Helsinki. Also nahezu jeder kann sich der Informationen und Telefonnummern bedienen, die an allen möglichen Orten in der Stadt ausliegen oder bei der Stadt selbst, z.B. insbesondere bei der Koordinatorin des Lotsendienstes zu erhalten sind. Auf unsere Frage, wie Personen, wie z.B. Ilmari (siehe Bericht vom 5.5.), in den Genuss solchen Dienstes kommen können, erklärt uns Heli, dass die Initiative grundsätzlich von den an ihrer Arbeit Interessierten ausgehen muss. Wenn Probleme mit dem Transport auftreten, sei es aus gesundheitlichen oder materiellen Gründen, erhalten die betreffenden Personen vom Sozialamt oder Gesundheitszentrum Hilfen, z.B. in Form von Taxi – Gutscheinen, die auch für Begleitpersonen gelten. Im übrigen sind die Kulturlotsen unabhängig bei der Organisation und Gestaltung ihrer Arbeit und suchen sich größtenteils ihre Klientel selbst, was auch Hausbesuche einschließt. Heli erzählt uns, dass sie z.B. zwei Jahre lang mit einer Behindertengruppe gearbeitet, dass sie gemeinsame Mal-, Zeichen- und Leseveranstaltungen von Kindern und Senioren u.a. auch in der Tagespflege und in Altenheimen durchgeführt habe. Z.Zt. betreut sie einen Lesezirkel, der sich regelmäßig im Kunstmuseum trifft und der u.a. auch Hertha Müller gelesen und diskutiert hat. Aber der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt bei Führungen durch das Kunstmuseum.
Die Kulturlotsen dokumentieren ihre Arbeit hinsichtlich ihres Zeitaufwandes, bei Heli sind das etwa zwei Veranstaltungen pro Woche,und der Anzahl der von ihnen betreuten Personen, damit die Stadt beim Jahresablschluss sieht, wie “fleißig” sie waren (O-Ton Heli). Die Kulturlotsen erhalten keinerlei Vergütung und bezahlen auch z.B. die Fahrten zu ihrem Arbeitsplatz und zurück aus eigener Tasche.
Heli ist stolz, an diesem Projekt teilzunehmen, wird ihr doch immer wieder signalisiert, wie einmalig es nicht nur im eigenen Land, sondern auch im europäischen Ausland ist und wie es zunehmend Nachahmer findet. Nach einem Rundgang durch das Museum, in dem eine ganze Reihe örtlicher hoffnungsvoller junger Künstler präsentiert wird, u.a. Sakaris Töchter Hanna und Maija, konnten wir noch ein interessantes environment bewundern, eine bis ins Detail nachgestellte Mittelschicht – Wohnung aus den 60ern, die Wohnung der fiktiven “Familie Eichhorn”. 
Am Nachmittag trafen wir in der großen Stadtbibliothek wieder Sakari, der uns seinen Tutoren – Arbeitsplatz zeigte. Zusammen mit seinem Co – Tutor hatte er heute gerade mal eine Dame zu betreuen, die ihm aber das Leben nicht all zu schwer zu machen schien. So konnte er sich ganz uns, den Gaststudenten, wir hatten uns auch brav in die Anwesenheitsliste eingetragen, mit seinem Fachwissen widmen. Infolgedessen erfuhren wir, wie im Bildbearbeitungsprogramm Adobe – Photoshop 7.0 die Menue – Befehle auf Finnisch heißen und wie man aus einem finnischen Computer eine Mail mit einem Bild als Attachment nach Deutschland versendet.
Am Abend erhielten wir aufgrund einer von uns mit Freuden angenommenen Einladung von Merja anlässlich eines gourmetmäßigen Dinners, sie ist Ernährungswissenschaftlerin und hat ihre Doktorarbeit über die finnische Restaurant – Kultur geschrieben, Einblicke in finnisches Familienleben in einer schön am See gelegenen Stadtrandsiedlung. Wir genossen einen ungezwungenen, gemütlichen Abend bei hervorragendem Essen, Kerzenschein und anregenden Gesprächen.

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