16 Mai 2011
Weltkulturerbe Nr. 2
Sonntag, 15. Mai 2011
Die alte Kirche von Petäjävesi
Holzbalken verzahnt
die Wände spärlich geziert
lichtdurchdrungen
vom Geist
alter Zeiten
berühren
heben die Herzen
himmelwärts
ins Blau zwischen
drängendem
Frühlingsgrün -
festgefügtes Gedächtnis.
R.-P. König.
Heute hatten sich unsere bewährte guten Geister Maija und Marjatta in echte Kulturlotsen verwandelt: Heute war Museumstag. Die Reise ging auch diesmal wieder durch die herrlichen Landstriche mit den unverwechselbaren Panoramen nach Nordwesten, nach Petäjävesi, wo sich die berühmteste Holzkirche Finnlands befindet, die 1994 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde.
In traditioneller Holzbau – Blockhaus – Technik errichtet, ist diese Kirche insofern einzigartig, als seit ihrer Erbauung zwischen 1763 und 1765 bis heute keinerlei Änderung vorgenommen wurde. Es wurde nichts hinzugefügt, es wurde nichts übermalt, es gibt kein elektrisches Licht, sie wird nach wie vor nur durch Kerzen erhellt, es wurde nichts “verschönert” und es hat auch keinerlei Zeitgeist anderer Epochen zugeschlagen.
Was uns besonders beeindruckte, war die Atmosphäre, die von dem menschlichen Maß, das von dem Baumeister hier angewendet wurde, durch die schlichte Klarheit der Raumteile, durch die zurückhaltende, in vielen Teilen fast ergreifend naiv anmutende Dekoration und Skulpturierung geprägt wird. Trotz des dunklen Materials, erleben wir einen lichtdurchfluteten Raum, über dessen Zentrum sich eine schlichte, aber durchaus den Raum bestimmende Kuppel wölbt.
Es ist ergreifend, wenn man spürt, dass dieser Raum von Handwerkern gebaut wurde, die zwar über die Kenntnisse der zeitgenössischen Architektur- und Kunstformen verfügten, sie aber hier den einfachen Menschen und ihrem schlichten religiösen Empfinden dienstbar machten.
Diese kamen weit her zu dieser Kirche, nach langen Fußmärschen musste auch noch eine lange Bootsfahrt zurück gelegt werden, damit man endlich die Kirche erreichte, und wenn einer dann im Gottesdienst, der Stunden dauern konnte, wegen der Strapazen, die er auf sich genommen hatte, einschlief, dann wurde er von dem sogenannten Kantor mit einem Stock erbarmungslos aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Unsere eloquente und beschlagene Führerin fand es noch für wichtig, uns auf eine Bodenluke unmittelbar vor dem Altar aufmerksam zu machen und provozierte mit der Frage, was wir wohl darunter vermuten würden, unsere Neugier und kalkulierte mit unserer Überraschung, als sie das Geheimnis lüftete, dass sich darunter ein ausgedehnter Weinkeller befinde.
Sehr beeindruckt verabschiedeten wir uns von ihr und diesem besonderen Ort. Nach einem Abstecher zur neuen Kirche von Petäjävesi war unser nächstes Ziel Keuruu. Auch dort steht eine altehrwürdige Kirche in Schindelbauweise. Daneben entdeckten wir ein Kuriosum, ein sogenanntes Kirchenboot aus dem 19. Jh. von über 20 Meter Länge, mit 18 Ruderbänken und 36 Ruderblätter ausgestattet, in dem die Mitglieder mehrer Familien Platz fanden und in denen sie in der eisfreien Zeit zur Kirche fuhren, weil jeder andere Transport zu beschwerlich war.
Ganz in der Nähe steht das alte Pfarrhaus, in dem auch die Zeit stehen geblieben zu sein schien und das bis ins Detail der gestreiften gold-, blau-, grün- und purpurfarbenen Tapeten und den weiß emaillierten Kachelöfen den Geist des Biedermeier atmete und sich heute als feine Adresse für Zusammenkünfte und Familienfeiern auf höherem kulinarischen Niveau anbietet.
Einer ganz anderen Art von Kultur begegneten wir in Mänttä, wo sich ein Industrieller, Gustav Serlachius, Besitzer einer Papiermühle und Kunstmäzen, bei den einfachen Leuten bis heute den Ruf eines Wohltäters gesichert hat. In seiner ehemaligen Villa, die man für seine Verhältnisse fast bescheiden nennen könnte und die an einem wunderschönen Ort direkt am See in einer parkähnlichen Umgebung gelegen ist, sind heute durch seine Sammlung die wichtigsten Künstlerinnen und Künstler Finnlands von der Mitte des 19.Jh., dem goldenen Zeitalter der finnischen Kunst, bis heute durch verschiedene ihrer Werke repräsentiert. Wir finden Anklänge an bürgerlichen Realismus, Anleihen beim Impressionismus, Van Gogh, Barlach, Leger lassen grüßen und es hängt an einer Wand tatsächlich auch ein originaler Monet. Wir sind beeindruckt von dem Umstand, dass hier der ganzen Bevölkerung Kunst in einer solch privilegierten Umgebung wie selbstverständlich zugänglich gemacht wird.
Im ehemaligen Hauptverwaltungsgebäude, direkt gegenüber der Papiermühle, mitten im Zentrum von Keuuru, finden wir einen weiteren Beleg dafür, dass die Gründer und deren Nachfolger ihre Tätigkeit mit außerordentlichem sozialem Engagement verknüpften. Hier betreten wir ein Museum, das die historische Entwicklung des Betriebes dokumentiert und in dessen Mittelpunkt eindeutig der Arbeiter im Ablauf des Arbeitsprozesses steht, angefangen beim Fällen des ersten Baumes bis zum Bedrucken und Verpacken des am Ende des Produktionsprozesses stehenden Papiertaschentuchs, der Servietten oder von Papierhandtüchern. Jedes Exponat erzählt vom Stolz der Arbeiter und deren Einsatzbereitschaft für diesen Betrieb, und wir werden an Robert Bosch erinnert.
In guter Nachbarschaft steht ebenso stolz und unverrückbar die mächtige Stadtkirche mit ihrem neobarocken kupfernen Dachhelm, dessen Spitze hoch in den blauen Himmel zeigt.
Auf der Rückfahrt nach Jyväskylä begegnen wir einmal mehr Alvar Aalto, der ganz in der Nähe von Muurame eine Kirche auf einem kleinen Hügel erbaut hat, deren weiße Fassaden uns schon von weitem durch das frische Grün der sie umgebenden Birken entgegenstrahlten.
Voller bleibender Eindrücke und einzigartiger Bilder, die wir den kulturellen Höhepunkten Mittelfinnlands und unseren kundigen, gründlich vorbereiteten Kulturlotsen, Maija und Marjatta, zu verdanken haben, kehrten wir nach einem langen Tag müde, aber reich beschenkt nach Jyväskylä zurück.