Ausgabe Nr. 35                         Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung älterer Erwachsener
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Ältere Menschen im Mittelalter

                                                                        von Hildegard Neufeld

Alter im Wandel
Das goldene Zeitalter war es nicht, das die älteren Menschen im Mittelalter erlebten. Ihre Lebensbedingungen waren nicht geeignet, ihr Alter, das nur verhältnismäßig wenige erlebten, unbeschwert zu genießen. Die Mehrheit war gezwungen, bis an ihr Lebensende zu arbeiten.
Wenn heute zuweilen  die „gute alte Zeit“ herauf beschworen wird, in der die ältere Generation im Kreise ihrer Großfamilie  einen beschaulichen und behüteten Lebensabend verbrachte, dann wird übersehen, dass dies keinesfalls  die Regel war. Die Lebensbedingungen im Alter waren damals sehr unterschiedlich und abhängig von der gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Situation der Einzelnen.
Die älteren Menschen von heute haben eine bedeutend höhere Lebenserwartung und erfreuen sich einer vergleichsweise guten Lebensqualität. Forschung und Entwicklung und  die  wirtschaftliche Situation haben dazu beigetragen. Noch nie ist es alten Menschen so gut ergangen wie heute.

Lebenserwartung
Die Bevölkerung des Mittelalters war jung, vor allem im Vergleich zu heute. Ihre  Lebenserwartung lag, Berichten aus dem Spätmittelalter zufolge, bei knapp 40 Jahren. Die Angaben differieren allerdings nach Region, sozialer Schicht, Geschlecht und zeitlicher Einordnung.
Das Leben im Mittelalter war vielen Risiken ausgesetzt. Die Kindersterblichkeit war sehr hoch.  Aber auch die Frauen starben infolge häufiger Schwangerschaften und Geburten oft in jungen Jahren, und die schweren körperlichen Arbeiten führten früh zu Invalidität und Tod.
Die Menschen von heute dürfen ein längeres Leben, ja nicht selten ein hohes Alter  erwarten. Erkenntnisse und Fortschritt der Wissenschaft, z.B. der Medizin, Hygiene und Ernährung, haben maßgeblich dazu beigetragen. Nicht zuletzt hat die Entwicklung der Technik und ihre Umsetzung in vielen Bereichen die Menschen unserer Zeit von schwerer körperlicher Arbeit entlastet und ihnen ein leichteres Leben ermöglicht.


Auf dem Lande
Die Lebensbedingungen alter Menschen im Mittelalter unterschieden sich (wie auch heutzutage) durch ihren Besitzstand, ob sie z.B. reich oder arm waren, aber auch durch Geschlecht und Position sowie durch ihre Gesundheit und Mobilität. Sie waren aber auch davon abhängig, ob sie auf dem Lande oder in der Stadt wohnten.
Existenzgrundlage für die meisten Landbewohner war die Landwirtschaft. In kleinen und mittleren Betrieben war zumeist die Mithilfe der ganzen Familie erforderlich, auch die der Alten. Konnten sie nicht mehr arbeiten, waren sie auf die Hilfe (zuweilen „Gnade“)  ihrer Familie angewiesen. Eine eigenständige Altersversorgung hatten sie nicht.
Ähnlich erging es dem Gesinde, den Mägden und Knechten im Alter. Auch sie hatten keinen Versorgungsanspruch. Konnten sie nicht mehr arbeiten, so erwartete sie ein oft demütigendes „Geduldetsein“. Nicht selten mussten sie sich mit einem bescheidenen Ess- und Schlafplatz begnügen.


In der Stadt
Auch die Stadtbewohner des Mittelalters hatten – anders als heute – keinen gesetzlichen Versorgungsanspruch. Ihre Lebensbedingungen waren vor allem von ihrem rechtlichen und sozialen Status sowie ihrer beruflichen Position abhängig. Hatten sie Vermögen, so konnten sie von dessen Erträgnissen leben  und sich z.B. in ein Spital einkaufen.
Andere, vor allem die kleinen und mittleren Handwerker, waren auf ihre Arbeitskraft bis zum Lebensende angewiesen. Konnten sie infolge Krankheit und Gebrechen ihren Beruf nicht mehr ausüben, hatten sie als 'Bürger ihrer Stadt'  die Möglichkeit, eine Unterstützung zu erbitten. Diese  bestand in der Regel in einer Beschäftigung und Entlohnung als Nacht- und Torwächter, Rathausdiener oder einer ähnlichen Tätigkeit. Auch die Gilden und Zünfte leisteten ihren Mitgliedern Hilfe.
Ältere Menschen, die gar nicht mehr arbeiten konnten und keine Unterstützung erhielten, mussten ihren Lebensunterhalt durch Betteln bestreiten.


Versorgung im Alter
Der Lebensabend in unserem Land ist seit Einführung der Alters- und Invalidenversicherung im Jahre 1889 relativ gut abgesichert. Die Rentner von heute konnten zudem mehrheitlich ihre Alterseinkünfte durch eigene Vorsorge aufstocken bzw. verbessern. Dass es älteren Menschen noch nie so gut ging wie heute, ist nicht nur eine seitens der Medien viel zitierte Erkenntnis.
Die alten Menschen des Mittelalters hatten keine entsprechend gesicherte Versorgung. Zwar gab es bereits damals verschiedene Wege, das Alter relativ gut umsorgt bzw. ohne  Not zu erleben, doch standen diese nicht allen offen. Karitative Einrichtungen, wie Spitäler, Hospitäler, Klöster und Stiftungen, aber auch die Städte, nahmen sich der alten Menschen und ihrer Bedürfnisse auf unterschiedliche Weise an – und dies nicht immer ausschließlich im Interesse der Alten.


Spital als Altenheim
Spitäler des Mittelalters hatten ihren Ursprung in Stiftungen und wurden mittels Spenden ausgestattet und unterhalten. Zu ihren Aufgaben gehörten u. a. die Gewährung von Almosen, die Pflege von Kranken, Armen, Irren sowie der alten Menschen. Im  Spätmittelalter entwickelten sich aus vielen Spitälern Altenheime. Die Aufnahme- und Versorgungsbedingungen waren unterschiedlich und richteten sich auch danach, ob die Bewohner reich oder arm waren.
Wohlhabende, zahlungskräftige Menschen konnten sich in ein Spital einkaufen und wurden hier bis zu ihrem Lebensende gut versorgt. Sie sicherten sich hierdurch ein relativ  angenehmes Leben und darüber hinaus den Spitälern ihren Bestand und die wirtschaftliche Erweiterung. Arme Alte wurden im Spital zumeist ohne Entgelt aufgenommen bzw. erhielten auch Hilfe aus dem Armenfond der Kirche.


Arm und reich
Die Unterbringung der Spitalbewohner unterschied sich nach ihren Vermögens- bzw. Lebensverhältnissen. Während die Wohlhabenden in abgetrennten oder gesonderten Wohnräumen lebten und hier auch bedient werden konnten, mussten die Armen sich mit einem gemeinsamen Wohnraum (auch als „Armen- oder Siechenstube“ bezeichnet), begnügen. Hier lebten Frauen und Männer zusammen in einem Raum.
Soweit die armen Spitalbewohner noch leichte Dienste erbringen konnten, wurden sie zu Reinigungsarbeiten, zum Flicken von Kleidern und Schuhen und ähnlichen Tätigkeiten eingesetzt. Leicht war ihr Los ganz gewiss nicht und von einem  „Leben im wohlverdienten Ruhestand“ nach heutigem Standard weit entfernt.


Stiftungen
Stiftungen gab es im Mittelalter in zahlreichen Städten. Ihre Zahl und Größe wurde durch die wirtschaftliche Lage, d.h. die Wohlhabenheit ihrer Bürger bestimmt. Stiftungen, die der Altersversorgung zugute kamen, unterschieden sich  vor allem durch die Aufgaben, denen sie gewidmet waren, z.B.
    -  Regelmäßige Zuwendungen von Nahrungsmitteln und Kleidung, aber auch       Geldleistungen an Bedürftige zu gewähren.
   -  Gebäude bzw. Räume für die Unterbringung und Versorgung bedürftiger älterer Menschen bereitzustellen. Hieraus entwickelten sich im Spätmittelalter oftmals Altersheime.
Eine der bekanntesten Stiftungen ist die um 1520 gegründete Fuggerei in Augsburg, die   als „älteste Sozialsiedlung der Welt“ und auch als eine Art „Altenwohnheim“ bezeichnet wird.


Die  Fuggerei
Die Fuggerei in Augsburg besteht aus 67 Reihenhäusern mit 147 Wohnungen. Die meisten Wohnungen verfügen über drei Zimmer und Küche. Wer hier wohnen und Mieter werden will, muss geborener Augsburger, verheiratet und katholisch sein. Voraussetzung ist ferner ein tadelloser Leumund und unverschuldete Armut. Die Jahresmiete beträgt einen rheinischen Gulden, dies entspricht einem heutigen Wert von 88 Cent.
Die Hausordnung der Fuggerei sieht noch heute vor, dass jeder Mieter täglich ein „Vater unser“,  ein „Ave Maria“ und das Glaubensbekenntnis für die Stifter betet.
Die Fuggerei Augsburg kann besichtigt werden.


Schlussbetrachtung
Das Thema „Ältere Menschen im Mittelalter“ habe ich gewählt,  um ihre Lebenssituation zu beleuchten. Wie haben sie gelebt,  welches waren ihre Möglichkeiten und welches ihre Bedingungen? lautete die Frage. War ihr Leben – aus heutiger Perspektive - so lebenswert wie das der Menschen unserer Zeit oder soviel karger und hoffnungsloser, dass die Ausrichtung auf die Zukunft wenig Chancen verhieß?
Eine abschließende Antwort fand ich nicht. Es ließen sich zwar einzelne Ausschnitte herausstellen und der inzwischen erfolgten Entwicklung und gegenwärtigen Lebenssituation gegenüber stellen. Doch nirgends ist überliefert, was die Menschen des Mittelalters angesichts ihrer Lebensverhältnisse – ob arm oder reich – empfanden und wie sie ihr Schicksal meisterten.
Eines aber ist gewiss: Als ihre Nachfahren und Erben sind wir verpflichtet, uns für die weitere Zukunft, die wir unter leichteren Bedingungen erleben und gestalten können als die Menschen des Mittelalters, einzusetzen.


Links:
http://www.saez.ch/pdf_d/2006/2006-11/2006-11-170.PDF
http:geroweb.de/krankenpflege/geschichte-der-pflege.html
http://www.fugger.de

In dieser LernCafe-Ausgabe auch ein Beitrag zur Fuggerei in Augsburg unter Besonderes im Web.