Alter im Wandel
Das goldene Zeitalter war es
nicht, das die älteren Menschen im Mittelalter erlebten. Ihre
Lebensbedingungen waren nicht geeignet, ihr Alter, das nur
verhältnismäßig wenige erlebten, unbeschwert zu genießen. Die Mehrheit
war gezwungen, bis an ihr Lebensende zu arbeiten.
Wenn heute zuweilen die „gute alte Zeit“ herauf beschworen wird, in der
die ältere Generation im Kreise ihrer Großfamilie einen beschaulichen
und behüteten Lebensabend verbrachte, dann wird übersehen, dass dies
keinesfalls die Regel war. Die Lebensbedingungen im Alter waren damals
sehr unterschiedlich und abhängig von der gesundheitlichen, sozialen und
wirtschaftlichen Situation der Einzelnen.
Die älteren Menschen von heute haben eine bedeutend höhere
Lebenserwartung und erfreuen sich einer vergleichsweise guten
Lebensqualität. Forschung und Entwicklung und die wirtschaftliche
Situation haben dazu beigetragen. Noch nie ist es alten Menschen so gut
ergangen wie heute.
Lebenserwartung
Die Bevölkerung des Mittelalters war jung, vor allem im Vergleich zu
heute. Ihre Lebenserwartung lag, Berichten aus dem Spätmittelalter
zufolge, bei knapp 40 Jahren. Die Angaben differieren allerdings nach
Region, sozialer Schicht, Geschlecht und zeitlicher Einordnung.
Das Leben im Mittelalter war vielen Risiken ausgesetzt. Die
Kindersterblichkeit war sehr hoch. Aber auch die Frauen starben infolge
häufiger Schwangerschaften und Geburten oft in jungen Jahren, und die
schweren körperlichen Arbeiten führten früh zu Invalidität und Tod.
Die Menschen von heute dürfen ein längeres Leben, ja nicht selten ein
hohes Alter erwarten. Erkenntnisse und Fortschritt der Wissenschaft,
z.B. der Medizin, Hygiene und Ernährung, haben maßgeblich dazu
beigetragen. Nicht zuletzt hat die Entwicklung der Technik und ihre
Umsetzung in vielen Bereichen die Menschen unserer Zeit von schwerer
körperlicher Arbeit entlastet und ihnen ein leichteres Leben ermöglicht.
Auf dem Lande
Die Lebensbedingungen alter Menschen im Mittelalter unterschieden
sich (wie auch heutzutage) durch ihren Besitzstand, ob sie z.B. reich
oder arm waren, aber auch durch Geschlecht und Position sowie durch ihre
Gesundheit und Mobilität. Sie waren aber auch davon abhängig, ob sie auf
dem Lande oder in der Stadt wohnten.
Existenzgrundlage für die meisten Landbewohner war die Landwirtschaft.
In kleinen und mittleren Betrieben war zumeist die Mithilfe der ganzen
Familie erforderlich, auch die der Alten. Konnten sie nicht mehr
arbeiten, waren sie auf die Hilfe (zuweilen „Gnade“) ihrer Familie
angewiesen. Eine eigenständige Altersversorgung hatten sie nicht.
Ähnlich erging es dem Gesinde, den Mägden und Knechten im Alter. Auch
sie hatten keinen Versorgungsanspruch. Konnten sie nicht mehr arbeiten,
so erwartete sie ein oft demütigendes „Geduldetsein“. Nicht selten
mussten sie sich mit einem bescheidenen Ess- und Schlafplatz begnügen.
In der Stadt
Auch die Stadtbewohner des Mittelalters hatten – anders als heute –
keinen gesetzlichen Versorgungsanspruch. Ihre Lebensbedingungen waren
vor allem von ihrem rechtlichen und sozialen Status sowie ihrer
beruflichen Position abhängig. Hatten sie Vermögen, so konnten sie von
dessen Erträgnissen leben und sich z.B. in ein Spital einkaufen.
Andere, vor allem die kleinen und mittleren Handwerker, waren auf ihre
Arbeitskraft bis zum Lebensende angewiesen. Konnten sie infolge
Krankheit und Gebrechen ihren Beruf nicht mehr ausüben, hatten sie als
'Bürger ihrer Stadt' die Möglichkeit, eine Unterstützung zu erbitten.
Diese bestand in der Regel in einer Beschäftigung und Entlohnung als
Nacht- und Torwächter, Rathausdiener oder einer ähnlichen Tätigkeit.
Auch die Gilden und Zünfte leisteten ihren Mitgliedern Hilfe.
Ältere Menschen, die gar nicht mehr arbeiten konnten und keine
Unterstützung erhielten, mussten ihren Lebensunterhalt durch Betteln
bestreiten.
Versorgung im Alter
Der Lebensabend in unserem Land ist seit Einführung der Alters- und
Invalidenversicherung im Jahre 1889 relativ gut abgesichert. Die Rentner
von heute konnten zudem mehrheitlich ihre Alterseinkünfte durch eigene
Vorsorge aufstocken bzw. verbessern. Dass es älteren Menschen noch nie
so gut ging wie heute, ist nicht nur eine seitens der Medien viel
zitierte Erkenntnis.
Die alten Menschen des Mittelalters hatten keine entsprechend gesicherte
Versorgung. Zwar gab es bereits damals verschiedene Wege, das Alter
relativ gut umsorgt bzw. ohne Not zu erleben, doch standen diese nicht
allen offen. Karitative Einrichtungen, wie Spitäler, Hospitäler, Klöster
und Stiftungen, aber auch die Städte, nahmen sich der alten Menschen und
ihrer Bedürfnisse auf unterschiedliche Weise an – und dies nicht immer
ausschließlich im Interesse der Alten.
Spital als Altenheim
Spitäler des Mittelalters hatten ihren Ursprung in Stiftungen und
wurden mittels Spenden ausgestattet und unterhalten. Zu ihren Aufgaben
gehörten u. a. die Gewährung von Almosen, die Pflege von Kranken, Armen,
Irren sowie der alten Menschen. Im Spätmittelalter entwickelten sich
aus vielen Spitälern Altenheime. Die Aufnahme- und
Versorgungsbedingungen waren unterschiedlich und richteten sich auch
danach, ob die Bewohner reich oder arm waren.
Wohlhabende, zahlungskräftige Menschen konnten sich in ein Spital
einkaufen und wurden hier bis zu ihrem Lebensende gut versorgt. Sie
sicherten sich hierdurch ein relativ angenehmes Leben und darüber
hinaus den Spitälern ihren Bestand und die wirtschaftliche Erweiterung.
Arme Alte wurden im Spital zumeist ohne Entgelt aufgenommen bzw.
erhielten auch Hilfe aus dem Armenfond der Kirche.
Arm und reich
Die Unterbringung der Spitalbewohner unterschied sich nach ihren
Vermögens- bzw. Lebensverhältnissen. Während die Wohlhabenden in
abgetrennten oder gesonderten Wohnräumen lebten und hier auch bedient
werden konnten, mussten die Armen sich mit einem gemeinsamen Wohnraum
(auch als „Armen- oder Siechenstube“ bezeichnet), begnügen. Hier lebten
Frauen und Männer zusammen in einem Raum.
Soweit die armen Spitalbewohner noch leichte Dienste erbringen konnten,
wurden sie zu Reinigungsarbeiten, zum Flicken von Kleidern und Schuhen
und ähnlichen Tätigkeiten eingesetzt. Leicht war ihr Los ganz gewiss
nicht und von einem „Leben im wohlverdienten Ruhestand“ nach heutigem
Standard weit entfernt.
Stiftungen
Stiftungen gab es im
Mittelalter in zahlreichen Städten. Ihre Zahl und Größe wurde durch die
wirtschaftliche Lage, d.h. die Wohlhabenheit ihrer Bürger bestimmt.
Stiftungen, die der Altersversorgung zugute kamen, unterschieden sich
vor allem durch die Aufgaben, denen sie gewidmet waren, z.B.
- Regelmäßige Zuwendungen von Nahrungsmitteln und Kleidung, aber
auch Geldleistungen an Bedürftige zu gewähren.
- Gebäude bzw. Räume für die Unterbringung und Versorgung
bedürftiger älterer Menschen bereitzustellen. Hieraus entwickelten sich
im Spätmittelalter oftmals Altersheime.
Eine der bekanntesten Stiftungen ist die um 1520 gegründete Fuggerei in
Augsburg, die als „älteste Sozialsiedlung der Welt“ und auch als eine
Art „Altenwohnheim“ bezeichnet wird.
Die Fuggerei
Die Fuggerei in Augsburg besteht aus 67 Reihenhäusern mit 147
Wohnungen. Die meisten Wohnungen verfügen über drei Zimmer und Küche.
Wer hier wohnen und Mieter werden will, muss geborener Augsburger,
verheiratet und katholisch sein. Voraussetzung ist ferner ein tadelloser
Leumund und unverschuldete Armut. Die Jahresmiete beträgt einen
rheinischen Gulden, dies entspricht einem heutigen Wert von 88 Cent.
Die Hausordnung der Fuggerei sieht noch heute vor, dass jeder Mieter
täglich ein „Vater unser“, ein „Ave Maria“ und das Glaubensbekenntnis
für die Stifter betet.
Die Fuggerei Augsburg kann besichtigt werden.
Schlussbetrachtung
Das Thema „Ältere Menschen im Mittelalter“ habe ich gewählt, um
ihre Lebenssituation zu beleuchten. Wie haben sie gelebt, welches waren
ihre Möglichkeiten und welches ihre Bedingungen? lautete die Frage. War
ihr Leben – aus heutiger Perspektive - so lebenswert wie das der
Menschen unserer Zeit oder soviel karger und hoffnungsloser, dass die
Ausrichtung auf die Zukunft wenig Chancen verhieß?
Eine abschließende Antwort fand ich nicht. Es ließen sich zwar einzelne
Ausschnitte herausstellen und der inzwischen erfolgten Entwicklung und
gegenwärtigen Lebenssituation gegenüber stellen. Doch nirgends ist
überliefert, was die Menschen des Mittelalters angesichts ihrer
Lebensverhältnisse – ob arm oder reich – empfanden und wie sie ihr
Schicksal meisterten.
Eines aber ist gewiss: Als ihre Nachfahren und Erben sind wir
verpflichtet, uns für die weitere Zukunft, die wir unter leichteren
Bedingungen erleben und gestalten können als die Menschen des
Mittelalters, einzusetzen.
Links:
http://www.saez.ch/pdf_d/2006/2006-11/2006-11-170.PDF
http:geroweb.de/krankenpflege/geschichte-der-pflege.html
http://www.fugger.de
In dieser LernCafe-Ausgabe auch ein Beitrag zur Fuggerei in Augsburg
unter Besonderes im Web.