Ausgabe Nr. 35                         Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung älterer Erwachsener
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Pause machen im Mittelalter

Interview mit einer Spinnerin

                                                                        von Mechthild Trilling-Piest

Es ist nicht ganz alltäglich wenn einem die Tochter erzählt, sie sei dabei, ihre Haube  auszubessern und eine Gugel für ihre Tochter zu nähen. Mein Nichtverstehen war mir wohl ins Gesicht geschrieben. Sie erklärte mir, der Alltag im Mittelalter sei ihr Hobby. So stellte ich ihr einige Fragen dazu.

Das Interview wurde mit Mona Baute geführt.

LC:      Was genau macht ihr?
M:        Darstellung Mittelalterlicher Lebensweise, z.B. auf Museumstagen,
Burgfesten oder bei Ritterspielen.

LC:      Was bedeutet das konkret?
M:        Wir sind in entsprechender Kleidung und mit passender Ausrüstung (Zelt, Feuerstelle, Waffen, Handwerkszeug) vor Ort und zeigen, wie das Leben oder bestimmte Teile davon zu einer festgelegten Zeit aussah. Wir schlafen, kochen, essen und arbeiten so, dass sich die Veranstaltungsbesucher ein Bild von dieser Zeit machen können. Wir erklären und zeigen viel, so das sich so etwas wie "Mittelalterliches Leben zum Anfassen" ergibt.

LC:      Wie seid ihr dazu gekommen?
M:        Durch Freunde.

LC:      Warum gerade Mittelalter und nicht z.B. die Renaissance?
M:        Wir fanden das Mittelalter interessanter.

LC:      Welche Zeit genau stellt ihr dar, das Mittelalter war lang?
M:        Wir stellen Ansichten aus dem Leben des Jahres 1170 n. Chr. dar.

LC:      Welche Menschen stellt ihr dar?
M:        Wir wollten möglichst einfache Menschen darstellen.
            Ganz einfache Menschen authentisch darzustellen hätte uns durch die      extreme Armut dieser Menschen wohl schnell eine Lungenentzündung einbringen können, darum haben wir uns für den niederen Adel entschieden. So können wir ein geräumiges Zelt benutzen und z.B. saubere warme Kleidung tragen.


LC:      Lebt ihr wirklich so, wie die Menschen damals oder läuft hinter einem Vorhang ein Mikrowellenherd?
M:        Während einer Veranstaltung leben wir weitestgehend wie die Menschen früherer Zeit. Das hat nur Grenzen bei Gesundheit und Hygiene.

LC:      Bezieht sich das auch auf Nahrungsmittel und Geschirr?
M:        Ja, wir ernähren uns von den Nahrungsmitteln, die es damals gab und bereiten sie auch entsprechend zu. Natürlich verwenden wir dazu auch nur die dazu gehörenden Gegenstände.



LC:      Kauft ihr eure Ausrüstung oder macht ihr die selber?
M:        Man kann inzwischen viele der Dinge, die wir benutzen auch kaufen. Gerade Kleidung wird oft auch auf den Veranstaltungen verkauft. Diese Einzelstücke sind nicht billig. Da ich aber sehr großen Wert auf richtige zeitliche Einordnung lege und daher oft sehr genaue Vorstellungen von Farbe und Schnitt der Kleidung habe nähe ich die Sachen lieber selbst. Das Zelt, das wir bewohnen, haben wir allerdings so wie es ist gekauft, ebenso die Waffen, da nur ein Fachmann ein Schwert oder einen Bogen fertigen kann.  Die Herstellung seiner Pfeile hat mein Mann sich allerdings selbst beigebracht.

Auch Tische und Bänke sind inzwischen, mit Hilfe von Freunden, selbst gebaut. Manchmal kann man auch eine Arbeit gegen eine andere tauschen.

LC:      Das scheint finanziell ein aufwändiges Hobby zu sein. Bekommt ihr für eure Auftritte ein Honorar?
M:        Nein, wir bekommen für unsere Auftritte in der Regel kein Geld. Wir müssen aber umgekehrt auch nichts für den Lagerplatz und die zu Verfügung gestellten Sanitäranlagen zahlen.  Die Eintrittspreise der Besucher sind in der Regel so bemessen, dass diese Dinge davon bestritten werden können. Anfahrt und Verpflegung zahlen wir selber, aber wenn wir Camping-Urlaub machen würden, wäre das auch nicht anders. Und wir haben ja auch eine Menge Spaß dabei.

LC:      Wenn dieses Hobby finanziell nichts bringt, sondern eher kostet, was habt ihr von der ganzen Mühe?
M:        Eintauchen in gewissermaßen eine andere Welt und damit Abstand zum Alltag mit der Möglichkeit zu Erfahrungen, die man in unserer Zeit nicht machen kann und das Gefühl viele Dinge mit den eigenen Händen zu tun. 
Oder da ist z.B. der gelassenere Umgang mit dem Thema Zeit.
In unserer von Uhren und Terminen bestimmten Welt kann man sich das Gefühl, nicht zu wissen, ob es zehn oder zwei Uhr ist, kaum mehr vorstellen. Auf den Märkten machen wir diese Erfahrung immer mal wieder. Unsere Tochter geht ins Bett, wenn und weil sie müde ist und nicht weil wir Eltern mit einem Blick auf die Uhr feststellen, das es Zeit dazu ist.

Eine kleine Erledigung, dauert oft längere Zeit, weil z.B. das Brot, das man am Bäckerei-Stand holen wollte, gerade erst in den Ofen geschoben wurde, und nicht schon seid Stunden fertig im Regal liegt. Dadurch findet man Zeit, mit Leuten, die man trifft zu sprechen. Oder man wird von irgendjemand, den man nicht mal kennt, gebeten, eben kurz  mit anzufassen, weil er ein Problem nicht alleine lösen kann.

LC:      Könnte man sagen: Der andere Umgang der Menschen miteinander reizt euch?
M:        Die Menschen lebten, dachten und fühlten ganz anders in der Zeit und man kann sie umso besser verstehen, je mehr man sich ihrer Lebensweise nähert.
Das ist wohl einer der wichtigsten Gründe für dieses Hobby, die Möglichkeit sich intensiv mit einer sehr vielfältigen Zeit zu beschäftigen. Wenn man in der Schule vom Mittelalter lernt, ist das viele hundert Jahre weit weg und hat doch keinen Einfluss auf unser Leben mehr, wie man meint. Wenn man sich aber einen Punkt in der Zeitlinie aussucht und sich mit der Lebensweise einer bestimmten Zeit im Mittelalter auseinandersetzt dann kann man das Verständnis für diese Zeit vertiefen. Man kann Widersprüche auflösen und man lernt die zeitlichen Zusammenhänge innerhalb der Zeitspanne, die als Mittelalter bezeichnet wird, zu verstehen. Erst durch dieses tiefe Eindringen in die Zusammenhänge fallen einem dann die unendlich vielen Bezüge zu unseren heutigen Zeit auf. Gesetze, Redewendungen und Bräuche werden verständlich.

LC:      Waren die Menschen damals mehr aufeinander angewiesen?
M:        Viele Aufgaben lassen sich nur gemeinsam lösen. Wo keine Maschinen zu Hilfe genommen werden können ist vielmehr Raum für gegenseitige Hilfe.

LC:      Vermisst ihr nicht die Errungenschaften der heutigen Zeit?
M:        Man lernt viel über sich selbst und über unsere Zeit. Wenn man ein Wochenende ohne Technik, Computer, TV und Musik aus er Konserve verbracht hat, wird einem der alltägliche Umgang mit diesen Dingen bewusster. Eine der häufigsten Erfahrungen die wir machen ist, dass wir all diese Dinge nicht vermissen und das man sich selbst und anderen näher ist, weil man sich unterhält oder der Spielmann eine Geschichte erzählt zu dem Lied, das er spielt. Man lernt aber auch, den Fortschritt zu schätzen, wenn einem z.B.  bewusst wird, wie komfortabel ein Badezimmer mit fließendem Wasser ist.

LC:      Ist das nur ein Hobby für junge Leute?
M:        Nein, eigentlich sind alle Altersstufen vertreten. Es gibt immer mehr Kinder auf den Markten, weil viele der Darsteller in einem Alter sind, in dem sie Familien gründen. Häufig interessieren sich aber auch Jugendliche und sehr junge Erwachsene für dieses Hobby, weil es viele aufregende und neue Erfahrungen bietet. Sich ins Schaukampfgetümmel zu stürzen ist eben was ganz besonderes. Aber einige Darsteller sind schon seid vielen Jahren dabei und sind über die Zeit reifer und oft auch grau geworden. Auch für Veranstaltungsbesucher in allen Altersstufen wird in er Regel etwas geboten. Kinder können mit eigenen Händen erfahren wie schwer ein Schwert ist oder beim Kinderbogenschießen einen Preis gewinnen. Für junge Erwachsene werden in den Abendstunden häufig Konzerte mit viel Partystimmung angeboten und für die Liebhaber schöner Dinge zeigen verschiedenste Handwerker oft Bezauberndes, ganz zu schweigen von kulinarischen Genüssen.

Da ich viel sticke und gelegentlich auch mal von Hand mit der Spindel spinne sind für mich oft Gespräche mit älteren Besucherinnen interessant, die diese Dinge noch in der Schule gelernt haben, und die oft sehr erstaunt und erfreut sind, dass eine junge Frau (35 Jahre) Freude an diesen Handarbeitstechniken findet.

LC:
     Würdet ihr immer so leben wollen?
M:        Nein. Es ist gerade dadurch, dass wir dieses Leben in Teilen nachleben sehr deutlich, wie hart und oft auch unangenehm das Leben damals war.
Auch das Wissen um die Dinge die man damals nicht wusste möchten wir nicht aufgeben.
Die Menschen damals haben selten die Möglichkeiten gehabt ein erfülltes Leben zu führen, in aller Regel haben sie gelebt um zu überleben. Wir möchten unsere Talente nutzen und unserer Tochter Perspektiven bieten, die über das was ein Mädchen im Jahre 1170 n.Chr. zu erwarten hatte weit hinausgehen. Ob wir heute glücklicher sind als die Menschen der damaligen Zeit wage ich nicht zu sagen, aber wir haben, glaube ich, viel mehr Möglichkeiten es zu werden.

LC:      Aus unserer Unterhaltung schließe ich, dass man viel lernen kann aus der Beschäftigung mit dem Mittelalter. Ich danke dir.

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