Capitulare de villis
                                    von Lore Wagener
Im mittelalterlichen Frankenreich lebte zunächst jeder Stamm nach seinem eigenen Recht bis immer neue königliche Anordnungen kamen, die im ganzen Reich Vorrang hatten. Bei den Merowingern hießen sie „decretum", bei den Karolingern „capitulare".

Karl der Große

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Aachener Stadtarchiv

Kaiser Karl der Große war der bedeutendste der Karolingerfürsten. Er regierte von 768 bis 814 n. Chr. das immer größer werdende Fränkische Reich. Während seiner Regierungszeit war er in seinen Landen allgegenwärtig. Er zog kreuz und quer durch das Reich, begleitet von seinem Hofstaat mit zirka 1000 Menschen. Übernachtungsprobleme hatte er nicht, denn es gab 150 kaiserliche Pfalzen, in denen er mit seinem Tross Station machen konnte. Schwieriger gestaltete sich schon die Verpflegung. Jede Pfalz hatte zwar einen eigenen Wirtschaftshof, doch nicht jede war den gewaltigen Anforderungen gewachsen. Zum Beispiel war es für das Hofgut bei Andernach durchaus eine Herausforderung, wenn es bei der Ankunft des Kaisers mal eben fünf Fässer Wein und 50 Kühe sowie Pfeffer und Zucker anliefern musste. Um seine eigene Versorgung zu verbessern und um eine einheitliche Ordnung in die Wirtschaftshöfe zu bringen, erließ Karl der Große im Jahre 812 ein umfassendes Regelwerk.

Die Kapitularien

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Aachener Dom

Karl der Große war sehr produktiv, was den Erlass von Kapitularien betraf. Damit wollte er sein riesiges Reich in den Griff bekommen. Diese in Kapitel aufgeteilten Verordnungen, die er bei fachkundigen Autoren in Auftrag gab, regelten zum Beispiel Belange der Reichsverfassung oder der Kloster- und Kirchenorganisation. Der bekannteste Erlass ist das "Capitulare de villis vel curtis imperialibus". Diese „Landgüterverordnung" enthält detaillierte Vorschriften über die Verwaltung der Krongüter und ist eine wichtige Quelle für die Geschichtsschreibung geworden. Verfasst hat sie im kaiserlichen Auftrag vermutlich der Abt Ansegis von St. Wandrille aus der Normandie. Dieser Abt hat wahrscheinlich seine praktischen Kenntnisse aus der Klosterverwaltung sowie sein Wissen über die vormalige römische Landwirtschaft in sein Werk eingebracht, von dem es heute nur noch eine Original-Handschrift gibt, die in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel aufbewahrt wird.

Inhalt des „Capitulare"

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Plakat im Karlsgarten

Das Capitulare de villis vel curtis imperialibus behandelt nahezu alle Probleme der Domänenverwaltung. Es beschreibt unter anderem die Dreifelderwirtschaft und den Weinbau. In anderen Kapiteln geht es um Malz, Flachs, Hanf, Hirse oder Frühkohl. Weitere Kapitel befassen sich mit der Zucht von Pferden, Rindern, Schafen, Schweinen, Ziegen, Bienen oder Fischen. Die Vorschriften gehen ins Detail. So wird zum Beispiel vorgeschrieben, wie lange die Stuten zu den Hengsten geführt werden, dass Wein in Fässern und nicht in Schläuchen aufzubewahren ist, und dass die Trauben wegen der Reinlichkeit nicht mit den Füßen zu entsaften sind. Es fehlen zwar genauere Anbaumethoden, dagegen gibt es detaillierte Anweisungen für die Verwaltung und Organisation sowie zur Buchhaltung. Und das Kapitel 70 schließlich befasst sich mit den Gartenpflanzen, Obstgehölzen und Kräutern, die in den Gärten der Krongüter angebaut werden sollten.

Die Pflanzenliste im 70. Kapitel

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Beete im Karlsgarten

Die Pflanzenliste aus dem Jahre 812 enthält 73 Nutzpflanzen und Heilkräuter sowie 16 verschiedene Obstbäume, die auch für die Grundversorgung der Bevölkerung wichtig waren. Es ist aber unwahrscheinlich, dass alle diese Pflanzen in allen Krongütern angebaut werden mussten. Dazu waren die geografischen und klimatischen Voraussetzungen im Frankenreich zu unterschiedlich. Wichtig dürfte aber die Versorgung mit Heilkräutern gewesen sein, denn nach dem Verschwinden der Römer war die medizinische Versorgung nahezu versiegt. Hier halfen die Klöster mit den Kräutern aus ihren Gärten aus, die sie zunächst für den Eigenbedarf angelegt hatten. Den Pflanzenbestand der Klostergärten wählte nun der Verfasser des Capitulare als Vorbild für die Krongüter aus, außerdem einige Wildpflanzen, wie Haselnuss oder Wermut. Auch die bereits in der Antike als Gewitterschutz verehrte Dach-Hauswurz kam vor. Diesen magischen „Donnerbart" sollte der „Gärtner auf sein Dach pflanzen".

Karlsgarten
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Wasserminze

Die Beschreibung aller Pflanzen, die auf der Liste stehen - von der Knorpelmöhre bis zum Donnerbart - findet man auf der in den Links genannten sehr informativen Website des „BIOkybernetischen Zentrums AAChen" (BIOZAC). Der Freundeskreis Botanischer Garten Aachen e.V. unterhält zudem den Karlsgarten, in dem man all diese Pflanzen in der Natur betrachten kann. Der Karlsgarten liegt im Westen von Aachen in der Nähe von Gut Melaten. Er wurde erst im Jahre 2000 eingeweiht, ist also nicht historisch. Man weiß auch nicht, ob im Mittelalter tatsächlich ein Garten in dieser oder ähnlicher Ausführung existiert hat. Der Garten ist von einer Hecke umgeben und hat einen asymmetrischen Zuschnitt. In gut beschrifteten Beeten wachsen die Kräuter und Stauden genau in der Folge, wie sie im Verzeichnis des Capitulare genannt sind. „Gelesen" wird dieser Teil des Gartens wie ein Buch: fortlaufend von Nummer 1 bis 73 der Pflanzenliste und dann am Rande weiter in der Reihenfolge der Obst- und Fruchtgehölze.

Der Kräutergarten Karls des Großen

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In Aachen gibt es auch noch einen kleinen „Kräutergarten Karls des Großen" mit 50 Pflanzen aus den Capitulare. Er liegt in der Stadtmitte hinter dem gotischen Rathaus und ist 1965 angelegt worden, also auch „nachempfunden". Man kann aber davon ausgehen, dass sich zu Karls Zeiten auf dem Gelände der Kaiserpfalz tatsächlich ein Kräutergarten befunden hat.

Walahfrid Strabo

Das Capitulare de villis vel curtis imperialibus wurde in den Krongütern des Frankenreiches rasch umgesetzt. Auch die Klöster müssen es gekannt haben. Zum Beispiel bedichtete der Mönch Walahfrid Strabo, der ab 838 Abt des Klosters Reichenau war, in seinem Lehrgedicht von der Pflege der Gärten „Liber de cultura hortorum" dreiundzwanzig Gartenpflanzen exakt in der Reihenfolge der Pflanzenliste des Capitulare de villis. Dieses frühe botanische Werk, das natürlich in lateinischer Sprache verfasst wurde, ist uns noch erhalten. Es wurde im 16. Jahrhundert erstmals gedruckt und steht heute im Internet. Nachfolgend die deutsche Übersetzung der Passage über den Salbei: Wer mehr lesen möchte, findet unten einen Link.

Salbei (von Walahfrid Strabo)

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"Leuchtend blühet Salbei ganz vorn am Eingang des Gartens,
Süß von Geruch, voll wirkender Kräfte und heilsam zu trinken.
Manche Gebresten der Menschen zu heilen, erwies sie sich nützlich,
Ewig in grünender Jugend zu stehen hat sie sich verdient.
Aber sie trägt verderblichen Zwist in sich selbst: denn der Blumen
Nachwuchs, hemmt man ihn nicht, vernichtet grausam den Stammstrieb,
Lässt gierigem Neid die alten Zweige ersterben."

Links

Karlsgarten


Kräutergärten im Mittelalter

Planet Wissen

Walahfried Strabo: Lehrgedicht




 
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