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Die Zünfte im Mittelalter

                                     von Sibylle Sättler

Begrüßungsritual unter Zunftgesellen an fremdem Ort: "Was ist Zucht und Ehrbarkeit?" „Handwerksbrauch und Gewohnheit!"  

Gilde oder Zunft
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Sattler

Zu „Gilden" schlossen sich im Mittelalter die Kaufleute einer Stadt oder fahrende Händler zu Schutz und Förderung gemeinsamer Interessen zusammen. Handwerkergenossenschaften gehörten im weiteren Sinne auch dazu, wurden jedoch in erster Linie im Gegensatz zu den kaufmännischen Vereinigungen „Zünfte" genannt. Manche europäischen Sprachen machen keinen Unterschied zwischen den Begriffen, wie beispielsweise das englische „guild".
In ihren Zielen waren sich Gilde und Zunft ähnlich: Beide verfolgten das Ziel, den Warentransport zu sichern, sich untereinander bei Unglücksfällen beizustehen und ihre Religionsgemeinschaft zu pflegen. Als Beispiel einer Fernhandelsgilde im Mittelalter ist die Hanse zu nennen.

Unfreiheit und Hörigkeit im Handwerk

Die deutschen Handwerker im Mittelalter gehörten zum Stand der Unfreien. Sie arbeiteten ausschließlich für ihre Dienstherren, Könige oder Fürsten und deren Dienstmannen und Ritter. Schon zu Zeiten der Germanen mussten sie als Leibeigene Dienste verrichten, wie backen, gerben und schmieden. Im Mittelalter kam die Beschaffung von Kleidung, Rüstung, Gerätschaften für Haus und Küche hinzu, ebenso die Pflege der Gärten und Weinberge ihrer Herren. Die Handwerker erhielten als Knechte dafür Wohnung, Kleidung, Kost und ein Stück Land zu bewirtschaften. Fürsten-, Bischofssitze und Königspfalzen wuchsen im Laufe der Zeit zu Städten heran, deren Bewohner von der Obrigkeit abhängige Bauern und Handwerker im Stand der Hörigkeit waren.
Mehr und mehr Fremde zogen hinzu, die Handwerker konnten, mehr als ihr Dienstherr verbrauchen konnte, herstellen und an andere gegen Geld verkaufen.

Zunahme von Handel und Verkehr
Dieser Trend weitete sich aus. Die Handwerk treibenden Hörigen kamen langsam zu etwas Wohlstand, ihre Zahl nahm zu und damit auch die Menge der gefertigten Erzeugnisse zum Verkauf auf kirchlichen oder höfischen Märkten. Handel und Verkehr blühten auf. Die Handwerker trachteten nach Befreiung von den ihnen auferlegten Lasten als Hörige auf fremdem Grund und Boden ohne eigenes Vermögen, deren gesamter Nachlass oder ein Großteil davon bei ihrem Tod an ihre Herren fiel.
Kaiser Heinrich IV. schenkte den Städten, die ihn im Kampf gegen Papst Gregor VII. unterstützt hatten, Freiheiten und Rechte und enthob die Handwerker des Standes der Hörigkeit. Das bedeutete, dass sie Erworbenes von nun an ohne Abschlag weitervererben konnten. Das bedeutete auch, dass von ihren Herren geflohene Hörige nach einem Jahr nicht mehr zurückgefordert werden durften.

Die Entstehung der Zünfte
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Glaser

Diese positiven Entwicklungen förderten das Selbstbewusstsein der Handwerker, die im 12. und 13. Jahrhundert Innungen und Zünfte gründeten. Unter „Zunft" verstand man den Zusammenschluss aller in der Stadt an demselben Gewerbe beteiligten Handwerker. So gab es beispielsweise die Zunft der Bäcker, Fleischer, Gerber, Glaser, Tischler, Schuster, Schneider, Töpfer, Hutmacher, Weber, Schmiede, Zimmerer, Zinngießer, Böttcher, Büchsenmacher, Sattler. Die Zünfte entwickelten für ihre Stadt eigene Vorschriften und Regeln zur Ausübung ihres jeweiligen Handwerks mit Zunftzwang und -stempel. Vereint konnten die Handwerker ihre Interessen in der Stadtpolitik geltend machen und gewannen immer mehr Macht. Im Auftrag des Stadtherrn setzten sie die Preise fest und sicherten die Qualität der Waren. Zunftmitglieder wurden auch zur Bewachung der Stadt eingesetzt.

Ziel und Zusammenhalt der Zünfte
Als oberstes Ziel aller Zunftmitglieder galt die gute Produktqualität. Hatte ein Handwerker schlechte Ware geliefert, sorgte Mundpropaganda für schnelle Verbreitung der Nachricht. In der Folge diktierten die Wohlhabenden der Stadt der Zunft niedrigere Preise oder boykottierten sie ganz. Dieser Gefahr war jeder Zunftgenosse ausgesetzt, und diese Gefahr schweißte die Handwerker zusammen.
Jede Zunft unterhielt ihr Zunfthaus oder eine Zunftstube mit dem Wahrzeichen ihres Handwerks. Man traf sich unter Leitung des Zunftmeisters zu Beratung, fachlichem Austausch und gemeinsamen Festen. Die Zunftmitglieder wohnten meist nahe beieinander in „ihrem" Stadtviertel, zum Beispiel auf der Gerbergasse oder Färberstraße, auch wegen der Geruchs- oder Lärmbelästigung. Sie pflegten eine enge Gemeinschaft.

Ausbildung und Ehrbarkeit im Beruf
Da sich die Lehrlinge einer öffentlichen Prüfung vor der Innung unterziehen mussten, legten die Meister sehr großen Wert auf sorgfältige, gründliche Ausbildung. Meister konnte man nur durch Vorweisen eines „Meisterstücks" werden. Durch hohen Anspruch und Kontrollen trugen die Zünfte dazu bei, Tüchtigkeit, Ehrbarkeit und gute Sitte aufrecht zu erhalten.
Die Kontrolle umfasste die Anzahl der Handwerker, ihrer Meister und Gesellen. Ausbildungsregeln, Arbeitszeiten, Qualität und Preise der Waren, wie erwähnt, wurden von ihnen überwacht.
Das Wort "Zunft", von althochdeutsch „zumft", bedeutet „zu ziemen". Ein „ehrbarer" Zunftgenosse hatte sich zu distanzieren von schlechter Arbeit und mangelhafter Qualität, von Betrug oder Nichtbeachtung der Zunftgesetze. Bei Zuwiderhandeln wurde der „Ehrlose" von der Zunft ausgeschlossen, auch seine Söhne wurden nicht als Lehrlinge in das Handwerk aufgenommen.

Rituale
Die Aufnahme von Lehrlingen in die Zunft oder von Gesellen in die Meisterzunft unterlag Jahrhunderte alten Formeln und Gebräuchen, die sich auf Treue und Ehrbarkeit bezogen und Unbefugte ausschlossen. Hatte ein Lehrling die Lernzeit und Aufnahme in die Gesellenzunft geschafft, folgte die Wanderschaft. Auf der Wanderschaft von fremden Gesellen befragt: „Wer hat Dich ausgesandt?" erfolgte die Antwort des Handwerksgenossen: „Mein ehrbarer Lehrmeister, ehrbare Bürger und das ganze ehrbare Handwerk zu N." Weitere rituelle Fragen und Antworten folgten, und nach dieser Begrüßung wurde er als ebenbürtiger Genosse willkommen geheißen.
Die Zünfte unterhielten eigene Messen und Märkte und stifteten Kerzen und Altäre für die Kirchen.

Versorgung durch die Zünfte

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Maler

Gleiche Entlohnung der Mitarbeiter oder Gesellen war durch die Zünfte festgelegt. Konkurrenzsituationen durch unterbotene Preise konnten somit nicht entstehen. Es herrschten ausgewogene Marktbedingungen.
Im Mittelalter sorgte die Zunft nach dem Tod eines Mitglieds im Notfall für dessen Hinterbliebene. Starb ein Zunftmeister, durfte seine Witwe in manchen Städten das Gewerbe weiterführen, in anderen musste sie nach Ablauf einer gewissen Frist einen Nachfolger heiraten oder einen Gesellen einstellen.
Die Zünfte trugen zur Altersversorgung ihrer Mitglieder bei. Sie gründeten Gemeinschaftshäuser, in denen alt gewordene Gesellen bis zu ihrem Tod leben konnten.

Das Ende der Zünfte

Mit den Auswirkungen der französischen Revolution verringerten sich Einfluss und Macht der Zünfte, als Handels- und Gewerbefreiheit eingeführt wurden. Diese Entwicklung setzte sich im Zuge der beginnenden Industrialisierung und der damit verbundenen Massenproduktion Anfang des 19. Jahrhunderts fort. Auch der Zunftzwang entfiel und im weiteren Verlaufe des Jahrhunderts verschwanden auch die Zünfte.
Vom Mittelalter bis zum Barock hielten sie in fast allen Ländern Mitteleuropas ihre Versammlungen in prächtigen Repräsentationsbauten ab, die das Stadtbild prägten. Auf die große Zahl der Gewandhäuser ist hier besonders zu verweisen, unter denen dem Leipziger Gewandhaus bis heute als Konzerthaus besondere Bedeutung zukommt.
Als nachweislich älteste belegte Zunft gilt die der Bettdeckenweber zu Köln aus dem Jahre 1149.

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Alle Zunftwappen von Joachim Müllerchen unter Lizenz „cc-by-sa" in der Version 3.0

 
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