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Mein erster Berufswunsch, Schneiderin
                                    von Margret Budde
Das Talent, Kleidung zu fertigen, wurde mir offenbar in die Wiege gelegt. Wie mich diese Fähigkeit begleitet, davon möchte ich berichten.

Was meine Mutter für mich wünschte
“Bei deinem Talent zum Nähen musst du unbedingt Schneiderin werden! Dann gehst du anschließend zur Modeschule und wirst Modezeichnerin. Das hat Zukunft!”, diese Worte hörte ich oft von meiner Mutter. Seit Jahren hatte sie für mich den Beruf der Schneiderin auserkoren. Nun ja, Lust dazu hatte ich wohl! Das Nähen ging mir inzwischen gut von der Hand und Neues probierte ich schon immer gerne aus.
Herrlich! dachte ich als Vierzehnjährige, nun kann ich endlich meinen Ideen bezüglich meiner Kleidung freien Lauf lassen!

Kriegs- und Nachkriegsjahre
Auch meine Mutter nähte gerne und mit Leidenschaft. Sie hatte ihre Liebe zum Nähen wiederum von ihrer Mutter übernommen. Und das war für unsere Familie in den knappen Kriegs- und Nachkriegsjahren von großem Vorteil.
Von ausgedienten Oberhemden wurden die Manschetten und Kragen abgeschnitten und aus dem restlichen Stoff eine Bluse genäht, diesmal eine weiße Dirndlbluse für mich als zehnjähriges Mädchen.
Jedes Stückchen Stoff wurde auf ein mögliches Weiterverwenden untersucht. Die Blumenübergardinen eigneten sich noch vorzüglich zu einem Rock, auch wieder im Dirndllook. Aus der ausrangierten schwarzen Gabardinehose meines Vaters zauberte sie ein Mieder, verziert mit Perlen und bunten Stickereien. Und so wurde ich im Bekanntenkreis meiner Eltern ob der schönen Trachtenkleidung bewundert. Im Ruhrgebiet war diese Mode etwas Außergewöhnliches. Jedoch meine Mutter liebte sie.

Kleidung meiner Jugendjahre
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Garnauswahl

Schon als Vierzehnjährige schaffte ich es, unter Anleitung meiner Mutter einen Kräuselrock zu nähen. So hatte ich die Möglichkeit, den Stil meiner Kleidung selbst festzulegen. Meine Freundin kam mal wieder mit einem neuen Kleid zur nächsten Geburtstagsfeier, natürlich von einer Schneiderin genäht. Der Schnitt gefiel mir gut. Schlicht! Einfach! Ohne viel Verzierung. Aber wie sollte ich das meiner Mutter sagen? Ich war die ewigen Dirndlkleider leid. Allmählich entwickelte ich meinen eigenen Geschmack. Eine Schneiderin konnten wir aber nicht bezahlen.

Hilf dir selbst!
So blieb mir nichts anderes übrig, als mich selbst daran zu setzen. Das erste Kleid war aus einem cremefarbenen, groben Baumwollstoff nach einfachem, geradem Schnitt gefertigt, den ich bei einer anderen Freundin abgeschaut hatte. Bei meiner damals jugendlich schlanken Figur benötigte ich keine Abnäher. Dazu wünschte ich mir zu Weihnachten einen schönen breiten dunkelroten Wildledergürtel, der den „Sack“ - wie meine Mutter es nannte – in der Taille zusammenhielt. Jetzt fühlte ich mich richtig wohl in diesem locker fallenden Kleid! Bei meinen Freundinnen erntete ich viel Beifall. „Endlich mal was Anderes!“ Das sagte genug.
Erst im Erwachsenenalter habe ich schätzen gelernt, was meine Mutter letztendlich Gutes für uns Kinder getan hat. Jedoch damals hatte ich es anders gesehen.

Eine verpasste Berufschance?
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Stoffvorrat

Der Zeitpunkt war gekommen, mir für das übernächste Jahr eine Lehrstelle zu suchen. Drei Schneidermeisterinnen kamen in Frage. Eine kannte ich. Sie war mir auf Anhieb unsympathisch, da sie einen stets mürrischen Gesichtsausdruck trug. Die anderen beiden hatten im Jahr 1953 keinen Ausbildungsplatz frei. So musste ich mich wohl oder übel bei dieser vorstellen. Da es zur damaligen Zeit noch üblich war, dass die Mutter bei der Vorstellung zugegen war, erfuhr die Meisterin nur von den besten Voraussetzungen, die ich für diesen Beruf mitbrächte. Fast schon peinlich! Nach dem halbstündigen Vorstellungsgespräch wurde mir versprochen, die dreijährige Lehre am 1. April 1953 antreten zu können.
Anfang März 1953 kam ein Anruf der Meisterin, sie könne mich nicht nehmen, da mir bei meiner schulischen Vorbildung – mittlere Reife - ein erhöhter Lohn zustünde, den sie nicht zahlen könne.
Aus der Traum?

Meine erste Nähmaschine
Die Nähleidenschaft wirkte weiter. Mit 18 Jahren nahm ich die Gelegenheit wahr, mir eine eigene Nähmaschine zu kaufen. Unser Jugendpfarrer hatte Verbindung zu einem großen Nähmaschinenhaus, das der Pfarrei Maschinen mit einem guten Preisnachlass anbot, zum Vorteil für beide Seiten. Als Gegenleistung hatte ich für das Pfarrheim 18 Tischdecken mit besonderen Ecken zu nähen. Die Stoffe spendete ein Gardinengeschäft. So machte ich mich an die Arbeit. Man hatte mir erklärt, wie solch eine Ecke genäht wird. Mit der ersten Tischdecke verbrachte ich mehr als einen ganzen Tag. Wie sollte das weitergehen? Bei meiner Zusage wusste ich ja nicht, was auf mich zukam. Das Eckennähen war eine echte Herausforderung für mich. Jedoch auch das war nach einem halben Jahr geschafft.

Ich schneidere für mein Leben gern!
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Schneiderwerkzeug

Ja, auch für meine Familie war mein Schneidern nur von Vorteil. Für meine Töchter habe ich alles genäht, ebenso viel für mich. Freude macht es mir, wenn jetzt manchmal ein Kleiderwunsch – selbst von Enkelkindern – vorgetragen wird. Die Modezeitungen, von 1960 angefangen, schlummern noch im Kellerregal. Verglichen mit den heutigen Modezeitungen sind viele Schnitte die gleichen, nur die Stoffe und die Aufmachung des Druckwerkes hat sich verändert.

Oh je, verschnitten!
Von diesem Albtraum bin ich weitestgehend verschont geblieben. Nur dreimal ist's passiert. Das letzte Mal vor zwei Wochen. Ich wollte eine flinke Sommerbluse nach einem bewährten Grundschnitt nähen. Vorder- und Rückenteil mit angeschnittenem Ärmel waren bereits zugeschnitten. Nur der vordere Ausschnitt musste noch verändert werden. Ausmessen, Papiermuster schneiden, aufstecken und ausschneiden. Klappte alles wunderbar! Neben den Schulterfalten sollte die Vorderseite eine Stoffpatte mit Knöpfen zieren. Diese Patte bereitete ich vor, nähte sie mittig auf das Vorderteil und wollte beide Hauptteile zusammenheften. Ich stutzte! Es passte nicht! Was war geschehen? Ich hatte nicht das Vorderteil sondern das Rückenteil tiefer ausgeschnitten und somit auf das Rückenteil die Patte genäht. Die Patte konnte ich zwar umsetzen, aber der Ausschnitt war viel zu tief.

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Schnelle Sommerbluse

So konnte die Bluse nicht sitzen! Welche Lösung ich gefunden habe, ist auf dem Bild zu sehen.

Weiterhin eine Hobbyschneiderin
Wenn ich jetzt auf meine verschlungenen Lebenswege zurückschaue, so ist mein erster Berufswunsch zwar nicht in Erfüllung gegangen. Aber durch meine Liebe zu diesem Handwerk habe ich meine Fähigkeiten mehr und mehr ausbauen können. Es fällt mir auch heute oft noch sehr schwer, an einem wunderschönen Stoff vorbeizugehen und ihn nicht  zu erwerben. Denn meinen Stoffvorrat habe ich als leidenschaftliche “Stoffesammlerin” längst nicht aufgebraucht. Damit die Stoffe nicht unmodern werden, lebe ich heute mit der eigenen Einschränkung, nur dann einen Stoff zu kaufen, wenn ich ihn sofort verarbeiten kann.
 
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