Porträt eines Familienbetriebs
                                     von Erdmute Dietmann-Beckert
Gibt es auf dem Land noch Schreinereien, die auf individuelle Kundenwünsche eingehen? Ist es möglich, alte Bretter zum Schreiner zu bringen und ihn zu bitten, diese für einen neuen Schrank mitzuverwenden? Mein Schreiner antwortet: „ Ja“

Der Schrank mit einer Geschichte
In meinem Schuppen habe ich drei Eichenbretter gefunden, in die Profile eingearbeitet sind. Diese haben die Form eines Medaillons, das nach oben und unten spitz ausläuft. Welche Verwendung sie ursprünglich hatten, weiß ich nicht. Ich zeigte sie meinem Schreiner, der sich das Holz anschaute und es auf mehr als hundert Jahre schätzte. Ihm gefiel das gesunde Holz und er versprach, dafür an meinem neuen Schrank einen Platz zu finden. Als Türfüllungen waren die Bretter zu schmal.

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Mein Schrank

Deshalb wurden die massiven Eichenbretter als aparte Dekoration auf die Schranktüren geleimt. Wenn ein Schreiner so arbeitet, ist er Hand-Werker mit Gestaltungsideen. Dass der Betrieb schon in der dritten Generation geführt wird bewundere ich.

Der Vater hat den Betrieb aufgebaut
Wie kam der Gründungsvater auf den Gedanken, sich selbständig zu machen? Bevor er in den Krieg ziehen musste, hatte er seine Schreinerlehre abgeschlossen. So fand er bald danach eine Anstellung als Geselle in einem Meisterbetrieb. Die Geschäfte liefen gut und der Geselle konnte aus seinem Ort dem Meister neue Aufträge vermitteln. Leider war damit keine Gehaltserhöhung verbunden, und der Geselle beschloss1955 seine eigene Schreinerei anzumelden. In der Nachkriegszeit war es möglich, ohne Meisterprüfung einen Betrieb zu führen. Die Lehrlingsausbildung war nicht erlaubt.
Die erste Werkstatt befand sich in einem kleineren Raum des Wohnhauses mit einer Hobelbank, einer Fräse und einer Kreissäge. Es dauerte nicht lange, bis der Jungschreiner von der Kirchengemeinde einen großen Auftrag erhielt. Die Kirchenbänke und die Brüstungen vor den Emporen sollten erneuert werden. Das bedeutete, dass die Werkstatt mit einem Anbau erweitert und neue Maschinen gekauft werden mussten.

Der Sohn hat den Betrieb ausgebaut
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Anfangs wollte der Sohn das Schreinerhandwerk nicht erlernen, obwohl er damit aufgewachsen war. Schließlich fand er einen Meister und legte die Gesellenprüfung ab. Er besuchte die Abendschule und erwarb den Meistertitel.
Zusammen mit dem Vater führte er ab 1970 den Betrieb, in dem nun auch Lehrlinge ausgebildet werden durften.
Es war die Zeit der Neubauten. Die Schreiner erhielten Aufträge für Fenster, Türen Treppen, Fußböden. Der Vater musste anfangs noch mitarbeiten, weil sonst die Rente nicht ausgereicht hätte, bis er sich schließlich zurückziehen konnte. Um1975 übernahm der Sohn die volle Verantwortung.
Wieder musste die Werkstatt erweitert werden. Neue Maschinen übernahmen das Hobeln und Fräsen. In einem Arbeitsgang konnten jetzt acht Löcher gebohrt werden. Der körperliche Einsatz war spürbar verringert. Die Handwerksinnungen boten und bieten Informations- und Fortbildungsveranstaltungen.

Der Enkel hat weiter gebaut
Wieder war die Werkstatt erweitert worden. Diesmal mit einem Neubau auf der anderen Straßenseite. Für neue Maschinen und eine eingeschränkte Holzlagerung wurde Platz gebraucht. Wie der Vater war der Enkel mit dem Schreinern aufgewachsen. Im Gegensatz zu jenem konnte er im väterlichen Betrieb lernen und mit dem Gesellenbrief abschließen.


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Hauswand mit Namen


Bisher hatte er vorwiegend die Bauschreinerei betrieben. Deshalb zog es ihn nach Süddeutschland, bevor er den Meistertitel erwerben wollte. In Bayern fand er eine Stelle bei einem Möbelschreiner. Hier wurden andere Fertigkeiten verlangt, und er lernte ein neues Idiom, das Bayerische, kennen. In Heidelberg besuchte er eine Meisterschule und wohnte in einem Internat. Mit dem neuen Meisterbrief übernahm er 2004 die väterliche Schreinerei mit allen Außenständen und was dazu gehört: Aufträge, unbezahlte Rechnungen, Kredite. Ein neuer Auftrag stellt die Verbindung zum Großvater her: Für die Nachbarkirche sind Bänke bestellt worden und für den Kindergarten eine Einrichtung.

Holzlagerung und Holzersatz
Holz ist teuer geworden und wird kaum noch massiv verwendet hauptsächlich als Furnierholz. Der Schreiner selbst hält nur einen begrenzten Lagervorrat. Außer den Arbeitsmaterialien sind auch Arbeitstechniken weiter entwickelt worden. Fenster und Türen werden weitgehend mit Kunststoff und Alu hergestellt. Fenster aus Holz dürfen nur fertig gestrichen und verglast eingebaut werden. Für Fußböden wird vorgefertigtes Parkett verlegt. Und Einbauschränke sind kostengünstiger mit Furnieren aus Kunststoff.
Im Enkelbetrieb arbeiten heute der Meister, ein Geselle und ein Lehrling. Der Altmeister schaut nicht nur interessiert zu.

Der Schreiner ist auch Bestatter
Seitdem der Großvater die Schreinerei gegründet hat, gehört zum Betrieb auch die Bestattung. Die Berufsbezeichnung ist: Schreiner und Bestatter. Der Sarg wird geliefert und der Schreiner legt zusammen mit dem Lieferanten die Leiche in den Sarg. Diesen bringen sie in das Leichenhaus oder ins Krematorium. Häufig übernimmt der Schreiner auch alle dazugehörenden Formalitäten.
Früher hat der Schreiner den Sarg oder Schrein nach Maß angefertigt. Die Leiche wurde vermessen und blieb so lange im Bett liegen, bis der Sarg fertig gestellt war. Aus Erzählungen weiß ich, mit welchen Widrigkeiten der Schreiner auf dem Land häufig konfrontiert war. Die Stuben waren niedrig und die Treppen eng. Wenn die Verwesung schon begonnen hatte und die Fenster ungeöffnet blieben, wurde der Geruch zu einer starken Belastung. Und wenn dann die Rechnung kam, war zu  hören: „Schreiner, du lebst auf Kosten der Toten.“

Fazit
Ich habe erfahren, wie vielseitig das Schreinerhandwerk ist. Häuser werden ausgebaut, Möbel nach Maß und individuellen Wünschen gefertigt, Tote bestattet. Ich selbst konnte meine emotionale Beziehung zum Holz vertiefen.
Mit der Hand über eine Holzfläche zu streichen, das genieße ich. Und ich bestaune die unterschiedlichen Färbungen und Faserungen der verschiedenen Hölzer. Und wie viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet der Naturstoff Holz!
Der hier geschilderte Betrieb feiert in diesem Jahr sein sechzig jähriges Jubiläum. “Braucht man für den Beruf eine Leidenschaft für das Holz?“ frage ich den Altmeister. Der schüttelt den Kopf. „Die Rechnung muss stimmen“
Übrigens, in Hessen lautet die Berufsbezeichnung Schreiner, im Süddeutschen Tischler.

 
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