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Vom Schneidern zur Haute Couture

                                     von Margret Budde

Im 12. Jahrhundert entwickelte sich durch den steigenden Bedarf an aufwendigerer Bekleidung aus dem Beruf des einfachen Nähgehilfen das Schneiderhandwerk. Das 20. Jahrhundert schenkte uns die Haute Couture. Nun biete ich Ihnen einen kleinen Gang dorthin an.

 

Warum Bekleidung?
Sich kleiden zu können, zählt zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen. Nach den Fellen der ersten Menschen folgten einfache gewebte Stoffe. Auf einer Nachbildung eines Reliefs von 2450 v. Chr. im  Ägyptischen Museum Berlin ist eine für Männer und Frauen unterschiedliche Bekleidung zu sehen. Es sind nach Kultur und Situation unterschiedliche Gründe, warum das Bedürfnis nach Kleidung besteht. Die Verhüllung als Schutz vor Dämonen, die Schamvermeidung und die Schmuckfunktion sind neben dem Schutz vor Wärme und Kälte bekannt. Durch seine Kleidung zeigte der Mensch seit jeher seine Stellung in der Gesellschaft. Kleidung ist inzwischen zu einem Statussymbol geworden.
In besonderen Bekleidungsformen können die Menschen ihre Sozialisierung darstellen. Schuluniformen, Landestrachten und Ordenskleider - um einige zu nennen - vermitteln eine bestimmte Zugehörigkeit. Zum Beispiel kann man an der Kleidung vieler Jugendlicher sehr oft deren Gruppenidentifikation ausmachen.

Ursprünge des Schneiderhandwerks

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Schneiderhandwerk 1568, gemeinfrei


Früher wurde Kleidung nach dem jeweiligen Bedarf vornehmlich in Familien und Klöstern hergestellt. Der Beruf des Schneiders kam erst Mitte des 12. Jahrhunderts auf.
In Frankreich unterschied man zur damaligen Zeit zwischen einem Näher oder Nähknecht  und einem Schneider. Seit dem frühen Mittelalter bis zur Erfindung der Nähmaschine  hatten die Nähknechte die Aufgabe, den Gesellen die Arbeit zu erleichtern. Aus Kostengründen beschäftigte man sehr häufig schwächliche oder auch behinderte Menschen. Diese konnten nur die einfachsten Arbeiten verrichten, wie zum Beispiel Schließen einer geraden langen Naht. Wegen Platzmangels hockten diese Jungen mit untergeschlagenen Beinen im so genannten Schneidersitz auf dem Tisch. Schneider fertigten die gesamte Kleidung vom Zuschnitt bis zur Anprobe.

Nachweis in verschiedenen Städten.
Urkundlich ist in vielen Städten der Beruf des Schneiders bestätigt. Hier einige Beispiele.
1153 erhielten die Gewandschneider in Wien eine landesfürstliche Bestätigung, eine eigene Zunft zu bilden und den Titel "Meister" zu führen.
In Berlin ist der Schneiderberuf bis ins 13. Jahrhundert nachgewiesen. Zu der Zeit war Berlin noch ein Dorf. Am 10. April 1288 ließ sich die Berliner Schneidergilde mit ihrem Gildebrief eintragen.
Es ist anzunehmen, dass bei der Eintragung von 1391 von 'des hinkenden Schneiders an den Fur gelegen' von einem Handwerker Schneider die Rede ist. Wenn auch in späteren Jahren die Berufsbezeichnungen zu erblichen Familiennamen geworden sind.
Am Kreuzaltar des Kölner Domes ist ein Kerzenbalken zu besichtigen, der um 1400  durch die Heiligkreuzbruderschaft gestiftet wurde. Diese ist eine Gründung der Kölner Schneiderzunft.
1461 wurde in Naumburg/Saale die Ordnung und Brüderschaft des Schneiderhandwerks durch den Rat bestätigt.

Berufsbeschreibung von 1827
"Die hauptsächlichste Wissenschaft eines Schneiders besteht nicht nur darin, daß er die Zeuge nach dem Maaße mit Vortheil zuschneide, die Kleider, nach der verschiedenen Beschaffenheit der Körper, die er bekleiden soll, richtig anpasse, und hierzu ein richtiges Maaß nehme, auch nach dem Augenmaaße und bloßen Ansehen es richtig anpasse oder zu treffen wisse, sondern auch, daß er zweckmäßige neue Moden erfinde, und allerlei fremde Trachten bei großen Bällen etc. anzugeben wisse, oder doch nach der Anleitung Anderer arbeiten könne. Er muß einem verwachsenen Körper durch Wattirung desjenigen Theils, wo er Höhlungen bildet, ein besseres Ansehen zu geben suchen; überhaupt durch seine Kunst Alles anwenden, dem Körper ein schönes Ebenmaaß zu geben, welches er Alles durch Wattirungen der Kleidungsstücke erreicht. Ferner muß er die Güte und den Preis der Waaren, welche er verarbeiten soll, genau kennen......" (Krünitz Ökonomische Enzyklopädie)

Von der Gräte zur Nähmaschine
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Nähmaschine 1853, gemeinfrei
  

Zum Nähen ihrer Kleidung standen den ersten Menschen keine Nähnadeln zur Verfügung. Sie stachen mit spitzen Knochen, Dornen oder Gräten Löcher in Felle oder Stoffe. Die Stoffteile verbanden sie, indem sie Bastfasern, gesponnene Fäden, Tiersehnen oder anderes Naturmaterial durch die Löcher zogen. Eine große Erleichterung stellte das mit großen Schwierigkeiten eingearbeitete Öhr in die ersten Gerätschaften dar.
Um 1370 gelang es Nürnberger Nadlern (Nadelhersteller), eine Nadel aus Stahldraht herzustellen. Sie blieb über viele Jahrhunderte das wichtigste Nähwerkzeug nach den Nadeln aus Horn, Knochen, Holz oder ähnlichem.
Bis zur Erfindung der ersten Nähmaschine 1830 durch den Franzosen Barthélemy Thimonnier nähte man nur mit der Hand. Nun verringerten sich schlagartig die Fertigungszeiten für ein Kleidungsstück.

Viel Arbeit ....
1827 "Ein gewandter fleißiger Schneider näht an einem Frauenskleide zwei, und an einem vollständigen Mannskleide drei Tage." (Krünitz Ökonomische Enzyklopädie)
So wie heute seit 1918 in Deutschland gab es im Mittelalter keinen Achtstundentag für den Arbeitenden. Der Schneider arbeitete also an jedem Tag bis in die Nacht hinein, so lange bis das Teil fertig war. Sprichwörtlich: Sich wie ein Schneider am Ostertag tummeln. Der wenige Schlaf wirkte sich bald auf seine Gesundheit aus, weshalb die Schneider immer als hagere Menschen bekannt waren. Das Sprichwort 'Der Schneider kommt ihm in die Augen' spricht auf seine Müdigkeit an. Dem Schneider war es nicht erlaubt, mit Stoffen zu handeln. Dies war den Tuchhändlern vorbehalten. Er durfte nur von den Stoffen nähen, die ihm die Kunden brachten. Um sich und die Familie ernähren zu können, besaß daher jede Familie zusätzlich oftmals einen kleinen Viehbestand.

..... wenig Lohn
Aus Seelze in Niedersachsen wird in den Schriften des Heimatmuseums berichtet, dass im Mittelalter die Schneider in Zünften organisiert waren. Die regelten den Lohn, der für Schneider nicht sehr hoch lag und alle rechtlichen Angelegenheiten der Zunftgenossen. Ausgenommen von diesem Zunftzwang waren die Dorfschneider. Sie waren auch nur geduldet und durften für einen Städter nicht arbeiten. 'Arm wie ein Schneider', so wie im Sprichwort war es oft auch in der Realität. Hatte ein Schneider die Möglichkeit, als Hausschneider und somit vor Ort zu nähen, so gehörte die Verköstigung dazu. Damit hatte er Gelegenheit, einmal wieder genügend Nahrung zu sich nehmen zu können. Ein Dorfschneider begnügte sich daher mit dem Lohn der weniger Wohlhabenden - sofern sie zahlten. Mancher Schneider musste notgedrungen seinen Lohn eintreiben, was mit folgender Redewendung, die auch verschiedene andere Deutungen hat, zum Ausdruck kommt: 'Herein, wenn's denn kein Schneider ist'.

Schneiderhandwerk in heutiger Zeit.
Geschick und Genauigkeit werden als wichtigste Voraussetzungen zur Erlernung des heutigen Berufes Maßschneider/in angegeben. Die Ausbildung findet im Dualen System statt. Nach zwei Ausbildungsjahren wird eine Zwischenprüfung abgelegt. Die Lehrzeit endet nach dem dritten Jahr mit der Gesellenprüfung. Die nach Vorschrift benannten Vertreter der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Lehrervertreter nehmen die Prüfung im Namen der Handwerkskammer ab. Nach weiteren Gesellenjahren und entsprechender Fortbildung kann der Meisterbrief erworben werden. Seit 2003 gehört das Schneiderhandwerk zu den zulassungsfreien Handwerken. Das bedeutet, dass man nicht zwingend eine Meisterprüfung abgelegt haben muss, um sich selbständig zu machen.
Die Meisterprüfung gilt jedoch immer noch als Qualitätssiegel. Wenn die Menschen auch mehr und mehr 'von der Stange' kaufen, so haben in den letzten Jahren die Meisterbetriebe dennoch zugenommen.

Berufszweige und Qualifizierung

Als Maßschneider/in hat man nicht nur das Zuschneiden und Nähen der Kleidung gelernt, sondern hat auch eine Grundausbildung im Modezeichnen, Entwerfen, Anfertigung von Modellen und Mustern erhalten. Mit einer weiteren Qualifizierung besteht die Möglichkeit, als Theaterschneider/in, Kostümbildner/in oder als Modellschneider/in tätig zu werden. Bei entsprechender Liebe zum Beruf und Kreativität der Person gibt es ein aussichtsreiches breites Betätigungsfeld.
Um in die Führungsebene aufsteigen zu können, werden Hochschulstudium zum Techniker und Betriebswirt in der Bekleidungstechnik angeboten. Berufe im Bekleidungsdesign fallen in den speziellen Modebereich. Hier haben sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten viele Veränderungen ergeben.

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Margret Budde


Die Änderungsschneider schlossen eine Bedarfslücke der letzten Jahre. Dieser Beruf ist ebenfalls ein anerkannter Ausbildungsberuf mit zwei Jahren Lehrzeit entweder im Dualen System oder in Vollzeitschule mit Praktikum.


Entwicklung zur Mode
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Mode um 1802, gemeinfrei


Die ersten Schneider, die von den Grundschnitten abwichen und die auf ein genaues Maßnehmen und Ausrichten des Schnittes nach den Körperformen besonderen Wert legten, wurden von den Zunftgenossen verachtet. Die Kunden wünschten jedoch mehr und mehr eine Kleidung, die nach individuellen Vorstellungen gefertigt war. Der neu entwickelte Beruf des Modedesigners  zeigte in Ausstellungen, was er zuvor in seinem Atelier angefertigt hatte. Die Menschen waren begeistert. So entwickelten sich in Europa  große Modezentren, besonders in Italien und Frankreich.
Jeder, der Wert auf gut sitzende Kleidung legt, ist gut beraten, wenn er nicht gerade eine ausgesprochene Konfektionsfigur hat, einen Maßschneider aufzusuchen. Wer es sich erlauben kann, geht in ein Designeratelier, das man der Haute Couture, der gehobenen Schneiderkunst, zurechnet.
Gewiss möchten viele von uns die Haute Couture nicht mehr missen. Das Wohlbefinden wächst, „wenn einem die Kleidung auf den Leib geschnitten ist".

Quellen und Links
Artikel "Schneider", in: Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Enzyklopädie, Band 147 (1827), S. 402
elektronische Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier 

Berufsinformationen

Entwicklung des Schneiderberufes in Berlin

Geschichte der Nähmaschine

Geschichte der Modemacher in Wien

Ein Blick in die Geschichte der Mode

 
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