Mein erstes Jumelage-Treffen
                                     von Erna Subklew
Unsere Familie gehörte zu den großen Europa-Fans. Im Rückblick auf den Beginn der Städtepartnerschaften erscheint es mir, als ob die Europa-Begeisterung unter denen, die ihre Heimat verlassen mussten, größer war als bei denen, die sie nicht verloren haben.

Die Städtepartnerschaften

Partnerschaften zwischen Städten der verschiedenen Länder gehörten schon sehr früh zu Europa. Bereits 1955 schlossen die Städte Offenbach und Puteaux eine Partnerschaft.
In vielem ähnelten sich beide Städte. Beide waren sie mehr oder weniger Vororte anderer größerer Städte - Offenbach von Frankfurt, Puteaux von Paris. Die soziale Struktur beider dürfte ähnlich gewesen sein und beide waren keine reichen Kommunen.
Anders als Offenbach hatte aber die Stadt Puteaux ein Ferienlager in der Bretagne - Ploemeur - das den städtischen Angestellten in den Ferienmonaten sehr günstig zur Verfügung stand. Die Bewohner der Mittelmeer-Anrainer sind es gewohnt, den Sommer auf dem Land zu verbringen, auch wenn die Unterkunft noch so einfach ist.

Die Einladung der Franzosen
Wie alles angefangen hat, kann ich nicht mehr sagen, aber jedenfalls erging Anfang 1960 eine Einladung an die Offenbacher Stadtverwaltung eine Gruppe Angestellter der Stadt doch für einem Aufenthalt von zwei Wochen im Sommercamp von Puteaux zu motivieren. Sie könnten dort gemeinsam mit den Franzosen ihren Urlaub verbringen.
Warum, weshalb, wieso - es fanden sich nicht genügend Offenbacher, sodass einige Frankfurter Stadtangestellte hinfahren konnten. Dadurch kamen wir in den Genuss, das erste Mal nach Ende des Krieges in den Urlaub fahren zu können und dazu noch in ein anderes Land. Bei vier Kindern war ein Urlaub eigentlich gar nicht im Budget vorgesehen.

Die Fahrt
Für die Fahrt hatten wir zwei Tage eingeplant, denn die Entfernung von über 1000 Kilometer in einem Tag zu schaffen, war zu einer Zeit ohne Autobahnen beinahe unmöglich. Dazu war der Abfahrtstag noch der Nationalfeiertag der Franzosen, was wir natürlich auch nicht bedacht hatten. So war Chartres mit seinem wundervoll angestrahlten Dom unsere Zwischenstation. Am nächsten Tage ging es dann bis in die Gegend nördlich von Lorient, also nach Ploemeur in der Bretagne, wo wir am Nachmittag eintrafen.

Das Camp
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Eingangstor, Foto privat

Es war schon erstaunlich: Auf einer Hochebene ein riesiges hölzernes Eingangstor mit dem Namen des Ortes, der Stadt Puteaux und dem Willkommensgruß und dann nur ein einfacher Drahtzaun und dahinter lange Reihen niedriger grauer Zeilen von Betonhäusern. Sie erinnerten ein wenig an Hühnerställe, entpuppten sich aber als unsere Unterkunft.
Es waren aus Tuffstein oder Beton hergestellte Zimmer, eins am anderen, eingerichtet mit zwei Betten und einem Waschbecken. Aus dem Wasserhahn kam nur kaltes Wasser. Davor war eine überdachte Laube, die auf der einen Seite zum Sitzen eingerichtet war, auf der anderen Seite ein Regal hatte. Wenn man einen Kocher hatte, hätte man dort kochen können.
Wir hatten zwar keinen Luxus erwartet, waren aber doch etwas erschrocken über die Kargheit. Wie es sich dann herausstellte, störte sie aber überhaupt nicht den Urlaub, da man den Raum wirklich nur zum Schlafen benutzte.

Das Lagerleben
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Im Speisesaal, Foto privat

Jeden Tag vor den Mahlzeiten ertönte aus dem Lautsprecher das Lied, von dem mir nur noch die Wörter „un petit coup à tous" in Erinnerung geblieben sind. Auf jeden Fall verband ich mit dem Wort coup den Nachschlag beim Essen, ohne bis heute zu wissen, ob das gemeint war.
Bei diesem Lied strömten dann aus all den kleinen Häusern die Urlauber in Richtung eines überdachten Zeltes hin. Das Ganze erinnerte ein bisschen ans Oktoberfest, denn auch die Tische und Bänke ähnelten diesen dort gebräuchlichen. Das Essen war sehr gut und schmeckte allen.
Eines Tages hieß es: „Heute Mittag gibt es etwas typisch Bretonisches". Wir waren schon sehr gespannt, da wir eine besondere Fischspezialität erwarteten. Was aber war es? In Hessen sagt man dazu „Schlachtplatte".- Sauerkraut, Würstchen Fleisch und Kartoffeln. Dieses Essen scheint wohl europäisch zu sein.

Deutsche und Franzosen
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Beim Boule spielen , Foto privat

Man saß meist in Gruppen zusammen, Deutsche und Franzosen schön voneinander getrennt. Man soll nicht meinen, dass die Franzosen den Deutschen, die gekommen waren, um den Hals fielen. Im Gegenteil. Und mancher Franzose, der sich doch mit Deutschen anfreundete, musste sich Vorhaltungen von den anderen anhören. So beispielsweise unsere Nachbarn im Speisesaal, Madame Marthe und Monsieur Albert, die sich wahrscheinlich schon wegen unserer drei Kinder uns gegenüber sehr freundlich verhielten. Sie haben nicht nur einmal zu hören bekommen, dass man doch mit seinen Feinden, den „boches" nicht spricht. Da sie es aber dennoch taten und der Deutsche auch die ankommenden Besucher vom Bahnhof abholte und Mme. und Mr. zum Einkauf in die Stadt fuhr, ließ die Ablehnung der anderen dann auch ein wenig nach.

Partnerschaft
Eines kann man auf jeden Fall sagen, dass gegen Ende der zwei Wochen ein anderes Klima zwischen den Franzosen und Deutschen herrschte. - Wir waren die erste deutsche Gruppe in diesem Feriencamp gewesen. - Unsere Nachbarn im Speisesaal kochten uns zum Abschied einen großen Hummer und Mme Marthe machte die schönsten Pommes frites, die meine Kinder je gegessen haben. Unsere Tochter bekam eine Puppe in bretonischer Tracht geschenkt, die so aussah wie die Bäuerinnen im täglichen Leben. Damals trugen die Bretonen selbst am Werktag ihre Tracht!
Lange Zeit schrieben wir uns noch. Aber da das französische Ehepaar schon verhältnismäßig alt war, ist nach 50 Jahren nur noch eine gute Erinnerung geblieben und das Gefühl, ein klein wenig für Europa getan zu haben.
Das Erstaunlichste aber ist, dass man noch heute im Ferienlager der Stadt Puteaux seine Sommerferien verbringen kann und dazu noch in Korsika, denn Puteaux hat jetzt auch ein Camp in Korsika.


Die Partnerschaft mit Puteaux
 

 
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