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Weltbevölkerung und weltweite Migration

Rainer Münz
Professor für Bevölkerungswissenschaft, Senior Fellow am Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv

Seite 98 - 117

Moderation: Erna Subklew

Rainer Münz hat seinen Beitrag zu dem Buch "Die Zukunft der Erde " in folgende Kapitel unterteilt:
  1. Entwicklung der Weltbevölkerung seit der Jungsteinzeit
  2. Bevölkerungswachstum und einsetzende Schrumpfung
  3. Sterblichkeit und Lebenserwartung
  4. Geburtenentwicklung und Kinderzahl
  5. Internationale Migration
  6. Ausblick

1. Entwicklung der Bevölkerung seit der Jungsteinzeit
Vor 14 000 Jahren, also der Jungsteinzeit, lebten auf der Welt ca. 5 - 10 Millionen Menschen. Man nimmt an, dass in der Zeit um Christi Geburt es schon 200 - 400 Millionen waren. Inzwischen waren aus den nomadisierenden Jägern Ackerbaue und Viehzüchter geworden, d.h. die Menschen waren sesshaft geworden. Das Mehr an Nahrung, die vergleichsweise größere Sicherheit durch die Bebauung des Landes ausreichend Nahrung zu haben, ermöglichte dieses starke Bevölkerungswachstum. Zwar gab es auch später größere Bevölkerungszuwächse, die aber oft durch Epidemien, Verwüstungen, Klimaänderungen und Hunger wieder zu starken Bevölkerungs-einbußen führten. Erst ab dem 17.Jahrhundert beschleunigte sich das Bevölkerungswachstum wieder deutlich.
Um 1800 lebte eine Milliarde Menschen auf der Erde, nach 125 Jahren hatte sich ihre Anzahl auf 2 Milliarden verdoppelt. Um auf 3 Milliarden zu kommen, brauchte es nur noch 34 Jahre, um auf 4 und 5 Milliarden zu kommen nur noch 14 bzw. 13 Jahre. 1999 lebten etwa 6 Milliarden auf der Erde und 2005 dürften es 6,5 Milliarden gewesen sein, d.h. 20x mehr als zur Zeit des Römischen Reiches und 4x mehr als vor 100 Jahren.
Das 20. Jahrhundert ist somit das Jahrhundert des stärksten Bevölkerungs-wachstums. Vermutlich wird es nicht wieder ein so starkes Wachstum geben. Prognosen sagen, dass Mitte des 21. Jahrhunderts mit 9 Milliarden Menschen zu rechnen ist.
Gegenwärtig wächst die Bevölkerung jährlich um 70 Millionen, das entspricht einer Wachstumsrate von 1,3%. Am höchsten ist diese Rate in den unterentwickelten Regionen, dort beträgt sie 2,5%.
Weltweit erreichte der relative Bevölkerungszuwachs seinen Höhepunkt in der Mitte des 20.Jahrhunderts mit über 2%. Seit 1968 nimmt er ab, wobei er aber in der 2. Hälfte des Jahres 1999 mit absolut 87 Millionen am höchsten war. Mitte des 21. Jahrhunderts werden nur noch 30 - 35 Millionen Menschen dazu kommen.
Auch wenn die Zahl der Kinder pro Familie im Vergleich zu früher stark gesunken ist, wird sie durch die noch relativ hohe Anzahl potenzieller junger Eltern relativiert.

2. Bevölkerungswachstum und einsetzende Schrumpfung

Zur Zeit stellen wir zwei gegenläufige Bewegungen fest: Die Einwohnerzahl der entwickelten Länder erhöht sich nur langsam um ca. 0,3% pro Jahr. Die Erhöhung ist bedingt durch die Zuwanderung aus wenig entwickelten Ländern, ohne sie würde die Einwohnerzahl schrumpfen. Schon 2003 starben in 12 der heute 25 EU-Ländern mehr Menschen, als geboren wurden.
In den Entwicklungsländern dagegen wächst die Bevölkerung immer noch um 1,4% pro Jahr. Das bedeutet, dass in Afrika, Asien und Lateinamerika nicht mehr die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung gedeckt werden können, denn
- 600 Millionen Menschen sind arbeitslos
- 800 Millionen unterernährt
- 130 Millionen Kinder erhalten keinen Schulunterricht
- 1 Milliarde (27%) sind Analphabeten und
- 1,3 Milliarden leben in absoluter Armut.

Die Kapazität der Infrastruktur und die Aufnahmefähigkeit der lokalen Arbeitsmärkte sind überfordert. Besonders problematisch dabei ist das Wachstum des Arbeits-kräftepotenzials um vorher 2% und jetzt noch immer 1,7%.
Ein Unterschied in der demografischen Entwicklung der Weltbevölkerung zeichnet sich bereits seit 300 Jahren ab. Zwischen 1700 und 1950 wuchs die Zahl der Einwohner in den heutigen Industriestaaten von Europa, Nordamerika, Russland, Japan und Australien schneller als in den weniger entwickelten Ländern. Zu dieser Zeit betrug das Wachstum der Bevölkerung in den Industriestaaten das 4,1 Fache. 1950 lebten in den Industrieländern 813 Millionen Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung. Dagegen wuchsen zur gleichen Zeit die wenig entwickelten Staaten nur um das 2,9 Fache.

3. Sterblichkeit und Lebenserwartung
Seit der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts fällt der Bevölkerungszuwachs in den Industriestaaten nur noch gering aus, vor allem durch Geburtenbeschränkung und Familienplanung, viele Familien bleiben kinderlos. Aber auch die Veränderung der Altersstruktur wirkt sich negativ auf die Geburtenzahl aus. In den Entwicklungsländern dagegen stieg die Bevölkerungszahl in den letzten 50 Jahren von 1,7 Milliarden auf 5,2 Milliarden, wobei innerhalb der Entwicklungsländer bedeutende Unterschiede bestehen. In Lateinamerika z.B. liegt die Wachstumsrate mit 1,4% pro Jahr unter dem Gesamtdurchschnitt.
Afrika ist die Region mit der höchsten Wachstumsrate. Ihren Höhepunkt hatte diese zwischen 1980 - 85 mit 2,9%. Heute beträgt sie noch 2,1% jährlich.
Dagegen ist die Sterblichkeitsrate ein guter Indikator für den Gesundheits- und Lebensstandard eines Landes. Sie gibt Hinweise auf das Entwicklungsniveau und die Lebensqualität. Zu keiner Zeit sank die Sterblichkeitsrate so schnell, wie in den letzten 150 Jahren. Wesentliche Faktoren waren dabei
- die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion
- die Revolutionierung des Transportwesens
- die Verbesserung der öffentlichen Hygiene
- der medizinische und pharmazeutische Fortschritt
- Die Erhöhung des Bildungsniveaus und die veränderte Stellung der Kinder.
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Während 1870 die Lebenserwartung in Europa und Nordamerika 40 Jahre betrug, stieg sie bis zum Jahre 1930 auf 60 und liegt heute bei Männern bei 73,5 und Frauen bei 77,7 Jahren. Dabei senkt die höhere Sterblichkeitsrate der Männer in Russland, der Ukraine und Moldawien die Höhe des durchschnittlichen Zuwachs.
Heute kann im Schnitt jedes Jahr mit einer durchschnittlichen zusätzlichen Lebenserwartung von 2 -3 Monaten gerechnet werden. In allen Industrieländern haben die Frauen eine 5 -6 Jahre höhere Lebenserwartung als die Männer.
Die Lebenserwartung ist abhängig vom Einkommen und der beruflichen Stellung. Offensichtlich wird durch Lebensstil, Ernährung, Beruf, Freizeitverhalten die Gesundheit und die Lebenserwartung ganz erheblich beeinflusst.
Bei den Entwicklungsländern gibt es seit dem 2. Weltkrieg einen starken Rückgang der Kindersterblichkeit. Während 1950 - 55 der Unterschied zu den Industrieländern noch ca. 25 Jahre betrug, sind es heute nur noch 11 Jahre. Die Europäer benötigten 70 Jahre, um die Lebenserwartung um 20 Jahre zu steigern, die Entwicklungsländer brauchten nur die Hälfte der Zeit dafür. Ein Ende des Zuwachses ist, außer in den von HIV betroffenen Ländern, noch nicht abzusehen. Entscheidend für den Anstieg ist der Rückgang der Säuglingssterblichkeit.

1950 - 55 starben von 1000 Kindern 157 vor Erreichung des 1. Lebensjahres und noch 80 vor Erreichung des 5.Lebensjahres. Heute dagegen sterben 57 vor Erreichung des 1. Lebensjahres und zusätzlich 29 vor Erreichung des 5. Lebensjahres. In Europa allgemein sterben 9 vor Erreichung des 1. Lebensjahres und 7 vor Erreichung des 5: Lebensjahres. In Westeuropa sterben 0,5 vor Erreichung des 1. und 0,4 vor Erreichung des 5. Lebensjahres.

4. Geburtenentwicklung und Kinderzahl
Ein weiterer Indikator für den gestiegenen Lebensstandard ist die Kinderzahl. Die Kinderzahl bestimmt die Größe eines Altersjahrgangs und die künftige Altersstruktur. Baby-Booms haben in 20 - 25 Jahren einen Echoeffekt. Um eine Generation vollständig zu ersetzen sind 2,1 Geburten pro Frau nötig. Ein ständiger Rückgang der Kinderzahl ist bereits seit dem 19. Jahrhundert zu verzeichnen. Faktoren dafür sind:

  • - Rückgang der Säuglingssterblichkeit
  • - Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft
  • - Verbreitung der außerhäuslichen Erwerbstätigkeit
  • - flächendeckende Einführung des sozialen Sicherungssystems.
In der heutigen Gesellschaft ist niemand mehr auf eine große Zahl von Kindern angewiesen, um den Lebensstandard im Alter zu sichern. Individuell ist sogar ein materieller Vorteil vorhanden, wenn ganz auf Kinder verzichtet wird. Auch in Entwicklungsländern wäre es von Vorteil, statt vieler Kinder, weniger, dafür aber gut ausgebildete Kinder zu haben.
Die Kinderzahl 1950 - 55 2000 - 2005
Weltweit 5,0 2,6
Afrika 6,7 5,0
Asien 5,9 2,5
Lateinamerika 5,9 2,6
Nordamerika 3,5 2,0
Europa 2,7 1,4
Damit hat Europa schon seit 50 Jahren die niedrigste Kinderzahl der Welt. Weltweit gibt es noch 70 Länder, bei denen die Kinderzahl bei über 4,0 pro Frau liegt.

5. Internationale Migration
Zwischen 1700 und 1950 wanderten 70 Millionen Menschen von Europa nach Übersee aus. Folgende Gebiete waren vorzugsweise die Ziele: Nord- und Südamerika, Australien, Neuseeland, aber auch Algerien, Palästina/Israel und Teile des südlichen Afrika, ebenso der Kaukasus, Sibirien und Zentralasien. Außerdem gab es eine Migration nach Indien, Afrika, China und nach Süd- und Ostafrika.
Außer bei der Ansiedlung jüdischer Siedler im 20. Jahrhundert, spielt eine agrarische Besiedlung heute keine Rolle. Vielmehr dominieren die Arbeitsmigration und der Nachzug von Familienangehörigen aber auch Verfolgung, gewaltsame Vertreibung und ethnische Säuberung spielen eine Rolle.
Nach Schätzungen im Jahre 1960 gab es weltweit 72 Millionen Zuwanderer oder 2,5% der Bevölkerung. In den Industrieländern waren es 3,5%, in den weniger entwickelten Ländern 2,1%. Durch den Fall des Eisernen Vorhangs erhöhte sich die Zahl der internationalen Migranten erheblich. Heute dürfte es weltweit 185 Millionen Migranten geben. Ein Teil der Zuwanderer lebt nur zeitweise nicht in seinem Geburtsland bedingt durch Studium oder befristete Arbeitsverträge. Ein Drittel (32%) der Migranten wohnt in Europa , 29% in Asien, vor allem in den Golfstaaten und Indien, in Japan, in den ost- und südostasiatischen Tigerstaaten. 23% wohnen in Nordamerika. Die Hälfte der Migranten ist erwerbstätig.

6. Ausblick
Im Augenblick wächst die Weltbevölkerung jedes Jahr um 70 Millionen - jeden Tag um 203 000 Menschen. Jedes Jahr werden 134 Millionen geboren und sterben 56 Millionen Menschen. Bliebe es bei diesem Wachstum, gäbe es eine Zunahme von 1 Milliarde alle 14 Jahre. Tatsächlich rechnet man aber, dass es aufgrund der Alterung der Gesellschaft nur noch ein Wachstum bis auf 9 Milliarden geben wird, da die Zahl der Todesfälle zunimmt. Um 2040 rechnet man nur noch mit einer jährlichen Geburtenzahl von 127 Millionen Menschen, womit sich das Wachstum auf 41 Millionen verringert. Am Ende des 21. Jahrhunderts ist mit einer Schrumpfung der Weltbevölkerung zu rechnen. Weltweit gibt es 475 Millionen Menschen, die älter als 65 Jahre sind, das sind 7,4 %. In den kommenden Jahrzehnten ist mit einem Wachstum auf eine Milliarde oder 16,1% zu rechnen. Absolut wird der Anstieg der Alten am höchsten in Asien sein. Europa und Japan spielen heute schon eine Vorreiterrolle, weil in diesen Regionen gleichzeitig eine Abnahme der ansässigen Bevölkerung eintritt. In einigen europäischen Ländern hat der Schrumpfungsprozess der Bevölkerung schon begonnen, z. B. in Deutschland, andere Länder stehen kurz davor.

Denkanstöße:
Die Veränderung der Altersstruktur in den Industriestaaten und auch in den weniger entwickelten Ländern muss zu großen Veränderungen in den einen wie den anderen führen. Was für Folgen kann das für die jeweiligen Staaten haben? Welche Auswirkungen werden die Veränderungen auf den Arbeitsmarkt, das Sozialwesen und die Wanderbewegungen haben? Können und sollen die Veränderungen aufgehalten werden?

Biographie: Univ.-Prof. Dr. Rainer Münz
Senior Fellow am Hamburgischen Weltwirtschafts-Archiv

  • 1972-78 Studium der Soziologie und Philosophie an der Universität Wien
  • 1978 Promotion (Dr. phil.)
  • 1980-92 Lehrbeauftragter an der Universität Klagenfurt
  • ab 1981 Lehrbeauftragter an der Universität Wien
  • 1986 Habilitation an der Universität Wien für Demographie und Soziologie
  • 1986-87 Gastprofessor an der Universität Bamberg
  • 1986, 1989 u. 1997/98 Lehr- und Forschungsaufenthalte an der University of California, Berkeley
  • 1988 Gastprofessor an der Universität Frankfurt a. Main
  • 1989-97 Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Wien
  • 1990-92 Direktor des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
  • 1992 Gastdozent an der Universität Zürich
  • 1994-96 Prodekan der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität Berlin
  • 1995-97 Gastprofessor an der Universität Klagenfurt
  • 1992-2003 Professor der Bevölkerungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin
  • Seit 2003 Senior Fellow am Hamburgischen Weltwirtschafts-Archiv