Digitales Vergessen
von Anne Pöttgen
Wem passiert es nicht gelegentlich, dass ein vielversprechender Link
sozusagen ins Nichts führt. Die versprochene Seite im Netz gibt es nicht
mehr. Oder dass statt der erwarteten Seiten, die man hin und wieder
besucht hat, etwas ganz Anderes angeboten wird. Es ist passiert: das
digitale Vergessen, die Informationen sind gelöscht.
Da haben wir zum Beispiel in einer älteren Ausgabe des Lerncafés einen
interessanten Artikel gelesen, zu dem es einen weiterführenden
Link gab. Wir haben in Erinnerung, dass es auf der Website, zu der der
Link führte, eine Information gab, die wir gerade jetzt gut gebrauchen
könnten. Dann kann die Enttäuschung groß sein, wenn zwar die Website
noch vorhanden ist, die Information aber nicht mehr.
Vielleicht ist die Seite ganz verschwunden, vielleicht hat der
„Erzeuger“ inzwischen seine Meinung geändert, vielleicht ist er klüger
geworden, kurz – die für uns wichtige Information ist dem digitalen
Vergessen anheim gefallen.
James H. Billington von der Kongressbibliothek Washington meint:
„Vieles, was geschaffen worden ist, ist nicht mehr zugänglich. Und viel
von dem, was verschwindet, ist wichtiges einmaliges Material, das
niemals wieder reproduziert werden kann, sondern nach dem man
verzweifelt suchen wird.“
So hoch müssen wir es nicht hängen, ärgerlich ist es aber allemal, wenn
wir etwas nicht wiederfinden können. Da loben wir uns dann unsere
Bibliothek, da führt die Suche sicher zum gewünschten Ergebnis.
Vielleicht ist das Papier inzwischen vergilbt, aber der Inhalt steht uns
zur Verfügung
Zukünftige Historiker
Es ist ganz spannend sich vorzustellen, was Historiker in gar nicht so
ferner Zukunft aus unserer Zeit vorfinden werden. Sie können sich noch
erfreuen an den Tontafeln mit Keilschriften,
Quelle: Wikipedia
an den Papyri mit
Hieroglyphentexten und an den Urkunden auf Pergament in unseren Museen.
Unsere Bücher und Zeitungen, sie sind dahin. Und erst recht alles, was
wir in digitale Informationen umgewandelt haben. Vielleicht finden sich
Hinweise auf die genialen Leistungen der größten Geister unserer Zeit.
Aber diese Hinweise führen ins Leere, die Informationen wurden in der
Technik unserer Zeit gespeichert: auf CDs, Festplatten und anderen
digitalen Medien. Mögen die CDs noch so schön glänzen, die Festplatten
noch so handfest wirken. Wer kann die Informationen auch nur sehen? Um
wie viel weniger lesen.
Die Entzifferung der Keilschrift und der Hieroglyphen war dagegen ein
Kinderspiel.
Quelle: Wikipedia
Die Technik
Das ist die technische Seite des digitalen Vergessens: Bekannt ist, dass
CDs ihre Bits nicht über viele Jahrzehnte fehlerfrei erhalten können.
Aber selbst wenn das so wäre, gibt es in zwanzig Jahren noch die
Laufwerke, auf denen sie abgespielt werden könnten? Heute schon haben
viele von uns Disketten herum liegen, deren Inhalte wir nicht mehr
nutzen können, weil wir am neuen PC kein Diskettenlaufwerk mehr haben.
Und wen plagt nicht die Angst, dass durch einen eigenen Fehler oder
durch einen der viel beschworenen Schädlinge aus dem Netz unser ganzer
Datenbestand ruiniert werden könnte. Und so speichern wir auf CDs, DVDs
und zusätzlichen Festplatten alles, was uns lieb und teuer ist. Er ist
wirklich teuer, der Kampf gegen das digitale Vergessen. Er erfordert
zusätzliche Hard- und Software und viel Zeit.
Übrigens gibt es auch das akute digitale Vergessen, wenn wir nämlich
vergessen, den gerade geschriebenen Text zu sichern, falls wir mal eine
Pause einlegen wollen.
Der GAU
Aber sehen wir mal von unseren kleinen Misshelligkeiten ab. Was wäre,
wenn die Datenspeicher, die unsere Bankkonten, unsere Renten- oder
Versicherungsunterlagen enthalten, verschwinden würden? Oder sehen wir
es ganz global: wenn der gesamte weltweite Datenbereich der Banken
untergehen würde. Das Chaos in der Wirtschaft wäre unvorstellbar. Wir
können nur hoffen, dass kluge Köpfe darüber nachgedacht und für die
entsprechenden Sicherungen gesorgt haben. Im Zeitalter des Terrorismus
ist das wichtiger denn je.
Die Bibliothek von Alexandria
Die Menschheit, oder vielmehr die griechische Welt, hat schon einmal
den größten anzunehmenden Unfall erlebt: den Untergang der Bibliothek
von Alexandria. Je nach Sichtweise wird einmal den Römern, Julius Cäsar
im Jahre 47 v.Chr. und zum anderen den Arabern die Schuld am Untergang
gegeben. Gegen Cäsars Schuld spricht, dass die Bibliothek auch nach ihm
einen großen Ruf hatte. Und gegen die Schuld der Araber spricht, dass
die Bibliothek im Jahre 640 längst nicht mehr existierte.
Tatsächlich soll das Jahr 272 n.Chr. das Sterbedatum sein. Aber auch
dieses Datum ist nicht unumstritten. Ein Link im letzten Kapitel gibt
ausführliche Auskunft über die Bibliothek.
Digitale Archive
Digitale Archive stehen erst am Anfang der Entwicklung. In den USA ist
im Jahr 2000 ein Programm zum Aufbau einer nationalen digitalen
Informationsinfrastruktur verabschiedet worden. In England begann man
2001 mit der Arbeit an der Langzeitarchivierung.
In Deutschland soll versucht werden, eine Kooperationsstruktur zu
entwickeln, die Archive, Museen und Bibliotheken einbindet, ebenso wie
Verlage, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Nicht zu vergessen
Rechen-, Daten- und Medienzentren sowie die Großdatenbankbetreiber.
Einen Link zu diesen Planungen finden Sie im letzten Kapitel.
Der Barbastollen
Blick auf die Website
Bereits seit 1975 existiert in einem alten Bergwerksstollen in der
Nähe von Freiburg im Breisgau der Zentrale Bergungsort der
Bundesrepublik Deutschland. Sozusagen das stoffliche Gedächtnis der
deutschen Kultur. Handschriftliche Werke der großen deutschen
Schriftsteller und Komponisten, historische Urkunden und Verträge wurden
auf Mikrofilme aufgenommen, die in luftdicht verschlossenen
Stahlbehältern aufbewahrt werden.
Als Beispiele werden auf der Website der Behörde genannt die
Krönungsurkunde Ottos des Großen von 936, die Baupläne des Kölner Doms,
die Goldene Bulle von 1213, der Vertragstext des Westfälischen Friedens.
Vielleicht ärgern sich die Mitarbeiter des Bundesvermögensamtes, die die
Bestände betreuen, darüber, dass nun alles noch einmal gesichert werden
soll über die digitalen Medien. Vielleicht lesen sie aber auch die
vielen Beiträge über das digitale Vergessen und sind sicher, dass sie
selbst zum Erinnern beitragen.
Links
http://www.emaildruck.de/lexikon-begriff-digitales-vergessen.html#top
http://www.langzeitarchivierung.de/
Der Barbarastollen:
http://www.sueddeutsche.de/,tt4m2/panorama/artikel/334/67267/
Die Bibliothek von Alexandria:
http://www.stub.unibe.ch/stub/vorl96/04/exk.html
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