Erinnern im Alter
von Dr. Erna Subklew
Alle wollen alt werden, keiner will es sein – dieser Satz
dürfte zu den bekanntesten
Sätzen, nicht nur bei den Alten gehören. Ganz gleich wie man sich selber
wahrnimmt und fühlt, das Alter bringt, wenn auch zunächst schleichend
und kaum wahrnehmbar, viele Einbußen an körperlichen und geistigen
Fähigkeiten, an Verlusten und Ängsten. Für manche bietet das Alter keine
Zukunft und damit keine Perspektiven mehr, und die Erinnerung an die
Vergangenheit wird immer stärker.
Schon Aristoteles sagte: Sie leben vom Gedächtnis anstatt von der
Hoffnung, weil das, was ihnen vom Leben bleibt, wenig ist im Vergleich
zur langen Vergangenheit.
Alte Menschen erinnern sich anders
Zwar erinnern wir uns über unser ganzes Leben hinweg, wenn auch die
Erinnerung in den verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedlich ist,
aber im Alter erhält das Erinnern eine andere Bedeutung, sagt Dr. V.
Faust (Psychologie des Alltags S.2):
- Das autobiographische Erinnern setzt in der Regel bereits im fünften Lebensjahrzehnt ein. Man erinnert sich an Menschen, von denen man glaubte, sie längst vergessen zu haben.
- Bei kritischen Lebenssituationen, z.B. einer länger währenden Krankheit oder anderen Lebenskrisen, kann das Erinnern bereits eher einsetzen.
- Das Erinnern im Alter wird intensiver und gewinnt an subjektiver Bedeutung.
- Das Erinnern steht in Wechselwirkung zu unserer Gegenwart und unterliegt dadurch Veränderungen.
Weil unsere jeweils aktuelle Situation auf die
Vergangenheit einwirkt, bestimmt die Gegenwart die Qualität des
Erinnerns:
Früher war alles viel rücksichtsvoller, wärmer, man hielt mehr zusammen.
Wenn wir uns heute an die Großfamilie erinnern, dann spüren wir nur ihre
Sicherheit, Geborgenheit und nichts mehr von den Unannehmlichkeiten,
vielleicht sogar Streit und Neid, was es auch gab.
Die Qualität des Erinnerns
Das Erzählen von früher über die eigene Kindheit und Jugend lässt uns
die Gegenwart besser ertragen. Erinnern führt zu einer positiven
Stimmungslage und unterstützt sie.
Ältere Menschen, die dem Alter entsprechend, bei guter Gesundheit sind,
sich aber mit dem Ruhestand nicht abfinden können, jetzt weniger
Kontakte haben, sich nicht sozial engagieren, keine Pläne für die
Zukunft machen, erinnern eher die frühe Vergangenheit und seltener die
Kindheit.
Menschen, die genauso gesund sind, die dem Ruhestand aber positiv
gegenüber stehen, sich sozial betätigen und Zukunftspläne machen,
erinnern Untersuchungen zufolge eher die Kindheit und diese auch nicht
so intensiv.
Kranke Ältere, deren Stimmung pessimistisch ist, die nicht mehr sozial
aktiv sein können und nur geringe Zukunftsperspektiven sehen, erinnern
sich dagegen sehr intensiv an ihre Kindheit.
Die Rolle der Kindheitserinnerungen
Wenn man überlegt welcher Abschnitt der interessanteste und schönste im
Leben eines Menschen ist, dann meint man, dass es sicherlich das
Erwachsenenalter mit seiner Vielfältigkeit, Selbstverantwortung,
Produktivität, aber auch mit seinen Herausforderungen, den
Beschränkungen und Belastungen ist.
Aus Untersuchungen geht jedoch hervor, dass ein Drittel der älteren
Befragten sich an keine einzige negative Erfahrung in ihrer Kindheit
erinnerte. Wir alle aber wissen, dass auch in der Kindheit negative
Erfahrungen gemacht werden. Dieses positive Erinnern liegt jedoch nicht
daran, dass Ältere sich schlechter erinnern, das Gegenteil ist der Fall.
Positive Ereignisse, überhaupt wenn die Akteure noch dazu nahe stehende
Personen waren, werden intensiver gespeichert.
Diese Glorifizierung der Kindheitserinnerungen sind so stark, dass sie
selbst Altersdepressionen positiv beeinflussen können.
Wieso sind Kindheitserinnerungen positiv?
Die Diskussion über die Glorifizierung von Kindheitserinnerungen ist
noch in vollem Gange. Die Wissenschaftler meinen allerdings einige
Anhaltspunkte dafür zu haben, warum sie positiv sind.
Sowohl Kindheit als auch Alter sind Randzeiten des Lebens. Die in dieser
Lebensphase Lebenden sind beide stark von der weit größeren
Erwachsenengruppe abhängig. Kinder und Alte sind auf die liebevolle
Fürsorge der Erwachsenen angewiesen. Während die Älteren diese Erfahrung
für ihre Kindheit schon gemacht haben, besteht die Angst, wie die
Fürsorge für sie in der Zukunft aussehen wird.
Gemeinsam haben Kinder und Alte, dass sie wesentlich mehr Zeit haben als
die Erwachsenen, sich mit der Welt und dem Leben zu beschäftigen. Beide
Gruppen erleben intensiver die Schönheit der Alltagsdinge und haben Zeit
sich ihrer zu freuen.
Weitere Ausführungen zum Erinnern finden Sie unter
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychohygiene/alter.html
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