Um der Wahrheit
willen
Gegen
Vergessen und Verdrängen
von Hildegard Keller
Lebensspuren
Menschen legen auf ihrem
Lebensweg Spuren. Die meisten sind nur für kurze Zeit und für eine
begrenzte Anzahl von Zeitgenossen „sichtbar“ und interessant. Aber es
gibt auch Menschen, deren Spuren sich tief eingraben und nachfolgenden
Generationen richtungweisend sein können.
Nachkriegsgeborene beklagen immer wieder, von ihren Eltern und
Großeltern kaum etwas über Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegserlebnisse
erfahren zu haben.
Leben alte Menschen doch nicht in ihren Erinnerungen? Sind Erinnerungen
doch nicht ihre Reichtümer?
Es fällt eben schwer, den tief eingegrabenen Spuren einen Weg nach außen
zu bahnen.
Spuren in meinem Leben
Zu den lehrreichen Erfahrungen meines Lebens gehören die Begegnungen mit
zwei Menschen, die in zwei „Epochen“ der jüngeren deutschen Geschichte
Zivilcourage, Toleranz, Vergebung… gelebt haben.
Sie sind auch in besonderer
Weise in die Nachkriegsgeschichte eingegangen.
Der eine musste im
Nazi-Deutschland Verfolgung erleiden, der andere betreute Gefangene der
„Siegermächte“.
Sensibilisiert durch die
eigene Leiderfahrung wurden die ersten Berichte über die
Nachkriegsprozesse Anlass zu einer Kontaktaufnahme zwischen dem, der im
„Dritten Reich“ Schreckliches erdulden musste und dem, der in der Zeit
danach für das Recht von unzähligen Opfern eintrat.
Weihbischof Dr. Neuhäusler und Prälat Karl Morgenschweis kannte ich
persönlich. Die Erinnerungen haben mich in den zurückliegenden Jahren
nicht losgelassen.
Leben hinter Gefängnismauern.
Weihbischof Dr. Johannes Neuhäusler
Was Dr. Neuhäusler und
unzählige Häftlinge in Gestapogefängnissen sowie in den KZs
Sachsenhausen u. Dachau erdulden mussten, hat er in seinem Buch „Wie
war das in Dachau?“ zusammengefasst. In erschütternder Weise
spricht er über die bestialischen Grausamkeiten, aber auch über
heldenhafte Mitmenschlichkeit hinter den Mauern des schrecklichen
Sterbens.
Das Buch endet mit der
Befreiung des Lagers durch die Amerikaner in dem Bericht “Ein
würdiges Denkmal“. Auf Initiative Dr. Neuhäuslers war das
„Kuratorium für Sühnemal KZ Dachau“ gegründet worden. Es entstand ein
Denkmal aus Naturstein, das von der historischen Bedeutung Dachaus für
das ganze System der Konzentrationslager Zeugnis ablegt. An die 50 000
in- und ausländische Gäste nahmen an der würdigen Feier der Einweihung
teil.
Prälat Karl Morgenschweis
Gespräche mit K. Morgenschweis hatten ein Buch zum Ziel, das den
Titel „Um der Wahrheit willen“ tragen sollte. Es konnte leider durch den
Tod von K. Morgenschweis nicht mehr fertig gestellt werden
In der Unterstützung der Arbeit von Prälat Morgenschweis im so
genannten Kriegsverbrecher-Gefängnis in Landsberg am Lech (WCP) hat
Neuhäusler ein weiteres Zeichen für Solidarität und Gerechtigkeit
gesetzt.
Es ist mit Worten schwer auszudrücken, welche Kraft es erfordert,
täglich in den Todeszellen eines Gefängnisses Menschen gegenüber zu
treten, die nur noch einen Weg vor sich haben: den dunklen, schmalen
Gang zum Galgen. Weit über 200-mal musste der Seelsorger ihn mit
Todgeweihten gehen. Und er wusste: Nicht alle, denen der Galgen das
Genick brach, waren schuldig.
Für die Menschen vor den Toren
Prälat Morgenschweis wusste auch, vor den Gefängnismauern warten
Angehörige. Sie hofften bis zum letzten Augenblick!
Viele von ihnen hatten nicht die finanziellen Mittel um an die
Stätte des Grauens zu eilen und dort auszuharren.
Auch für sie war der Seelsorger Ansprechpartner und Helfer.
Zahlreiche Dokumente und erschütternde Briefe gaben davon Zeugnis. Die
Bemühungen des Gefängnisgeistlichen reichten „bis über den Galgen“
hinaus.
Der „Spöttinger Friedhof“, auf dem die Toten mit anderen ehemaligen
Gefangenen bestattet wurden, hat Geschichte geschrieben (siehe Links).
Anerkennung
In der Zeitschrift „Landsberg im 20 Jahrhundert" ist zu lesen:
„Eine Geschichte des Helfens
Eine zentrale Rolle nimmt der damalige katholische
Gefängnisgeistliche (Amtszeit 1932-1957) Karl Morgenschweis ein. „Für
seine Verdienste als Seelsorger“ erhielt er 1951 als einer der ersten
den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Es folgten 1952 die
„Bayerische Verdienstmedaille“ und 1960 der „Goldene Ehrenring der Stadt
Landsberg.“ “
Verzeihen, aber nicht vergessen
Aus der Geschichte zu lernen ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Dr. Neuhäusler schreibt in „Wie war das mit Dachau?“ über das
Vergessen-Wollen und Leugnen „Kein Aufhebens mehr davon machen! Gras
darüber wachsen lassen (wurde) laut oder leise als Parole ausgegeben….
Damit begingen wir ein neues Unrecht. Damit brächten wir uns um die
Lehren, die uns all dies Traurige geben kann: Wir wollen verzeihen,
aber nicht vergessen.“
Auch Prälat Morgenschweis wollte aus seinen schweren Erfahrungen im
Landsberger WCP die Lehre weitergeben: Verzeiht, aber vergesst nicht!
Unsere Aufgabe
Die heutige Weltlage beweist, der Lernprozess der Menschheit, aus der
Geschichte Konsequenzen für einen globalen Frieden zu ziehen, ist nicht
allzu erfolgreich verlaufen.
Kriege werden weiterhin mit Kriegen, Gewalt mit Gewalt beantwortet.
Die Spirale der Verrohung aber könnte nur durch Verzeihen durchbrochen
werden, ein Verzeihen, das auf dem Nicht -Vergessen beruht...
Die Zahl der Zeitzeugen der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit
minimiert sich. Sie werden nicht mehr allzu lange mahnen können!
Gemeinsames Leid verbindet
Mit einem Zitat aus einem Brief vom 12. Juli 1967, den Dr.
Neuhäusler an Prälat Karl Morgenschweis schrieb, will ich mein Erinnern
„Um der Wahrheit willen“ beenden:
„…Es ist so schön, dass Bande die in gemeinsamem Leid vor Jahrzehnten
geflochten wurden, immer noch andauern…“
In der Rubrik Materialien dieser Ausgabe des LC finden Sie
Literaturangaben zu.Johannes Neuhäusler und Prälat Karl Morgenschweis.
Links zu Johannes Neuhäusler
http://members.aol.com/zbdachau/fates/ger/neuhaeus.htm
Dieser Link hat zum Titel „Der Einsatz für seine Kirche
bringt ihm im Dritten Reich Verfolgung und KZ-Haft und in der
Nachkriegszeit Anerkennung und Ehre“.
http://www.gedenkstaettenpaedagogik-bayern.de/Bunker/neuhaeusler.htm
Eine sehr knappe und nicht sehr aussagekräftige Biographie.
Links zu Karl Morgenschweis
http://www.d-direkt-deutschland.de/totenehrung.htm
In diesem Link wird der gesamte Vortrag (27 Seiten) über das
Wirken im WCP verdeutlicht. Es ist die einzige authentische Schrift, die
zugänglich ist.
http://www.buergervereinigung-landsberg.de/kriegsverbrecher/kriegsverbrecher.htm
Eine Kurzbeschreibung über das WCP Landsberg/Lech.
http://www.militaria-fundforum.de/thread.php?threadid=27984
Gibt Auskunft über den „Spöttinger Friedhof“, der in die
Geschichte eingegangen ist. Dort wurden die Hingerichteten beigesetzt.
http://www.medien-versandhandel.de/product_info.php?products_id=564
Es wird auf ein Buch zur Historie des Spöttinger Friedhofes
hingewiesen.
Drucken