Ausgabe Nr. 36                         Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung älterer Erwachsener
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Um der Wahrheit willen
Gegen Vergessen und Verdrängen


                                                                    von Hildegard Keller

 

Lebensspuren
Menschen legen auf ihrem Lebensweg Spuren. Die meisten sind nur für kurze Zeit und für eine begrenzte Anzahl von Zeitgenossen „sichtbar“ und interessant. Aber es gibt auch Menschen, deren Spuren sich tief eingraben und nachfolgenden Generationen richtungweisend sein können.
Nachkriegsgeborene beklagen immer wieder, von ihren Eltern und Großeltern kaum etwas über Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegserlebnisse erfahren zu haben.
Leben alte Menschen doch nicht in ihren Erinnerungen? Sind Erinnerungen doch nicht ihre Reichtümer?
Es fällt eben schwer, den tief eingegrabenen Spuren einen Weg nach außen zu bahnen.


Spuren in meinem Leben

Zu den lehrreichen Erfahrungen meines Lebens gehören die Begegnungen mit zwei Menschen, die in zwei „Epochen“ der jüngeren deutschen Geschichte Zivilcourage, Toleranz, Vergebung… gelebt haben.

Sie sind auch in besonderer Weise in die Nachkriegsgeschichte eingegangen. Der eine musste im Nazi-Deutschland Verfolgung erleiden, der andere betreute Gefangene der „Siegermächte“.
Sensibilisiert durch die eigene Leiderfahrung wurden die ersten Berichte über die Nachkriegsprozesse Anlass zu einer Kontaktaufnahme zwischen dem, der im „Dritten Reich“ Schreckliches erdulden musste und dem, der in der Zeit danach für das Recht von unzähligen Opfern eintrat.
Weihbischof Dr. Neuhäusler und Prälat Karl Morgenschweis kannte ich persönlich. Die Erinnerungen haben mich in den zurückliegenden Jahren nicht losgelassen.


Leben hinter Gefängnismauern
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Weihbischof Dr. Johannes Neuhäusler
Was Dr. Neuhäusler und unzählige Häftlinge in Gestapogefängnissen sowie in den KZs Sachsenhausen u. Dachau erdulden mussten, hat er in seinem Buch „Wie war das in Dachau?“ zusammengefasst. In erschütternder Weise spricht er über die bestialischen Grausamkeiten, aber auch über heldenhafte Mitmenschlichkeit hinter den Mauern des schrecklichen Sterbens.
Das Buch endet mit der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner in dem Bericht “Ein würdiges Denkmal“. Auf Initiative Dr. Neuhäuslers war das „Kuratorium für Sühnemal KZ Dachau“ gegründet worden. Es entstand ein Denkmal aus Naturstein, das von der historischen Bedeutung Dachaus für das ganze System der Konzentrationslager Zeugnis ablegt. An die 50 000 in- und ausländische Gäste nahmen an der würdigen Feier der Einweihung teil.

Prälat Karl Morgenschweis
Gespräche mit K. Morgenschweis hatten ein Buch zum Ziel, das den Titel „Um der Wahrheit willen“ tragen sollte. Es konnte leider durch den Tod von K. Morgenschweis nicht mehr fertig gestellt werden
In der Unterstützung der Arbeit von Prälat Morgenschweis im so genannten Kriegsverbrecher-Gefängnis in Landsberg am Lech (WCP) hat Neuhäusler ein weiteres Zeichen für Solidarität und Gerechtigkeit gesetzt.
Es ist mit Worten schwer auszudrücken, welche Kraft es erfordert, täglich in den Todeszellen eines Gefängnisses Menschen gegenüber zu treten, die nur noch einen Weg vor sich haben: den dunklen, schmalen Gang zum Galgen. Weit über 200-mal musste der Seelsorger ihn mit Todgeweihten gehen. Und er wusste: Nicht alle, denen der Galgen das Genick brach, waren schuldig.


Für die Menschen vor den Toren
Prälat Morgenschweis wusste auch, vor den Gefängnismauern warten Angehörige. Sie hofften bis zum letzten Augenblick!
Viele von ihnen hatten nicht die finanziellen Mittel um an die Stätte des Grauens zu eilen und dort auszuharren.
Auch für sie war der Seelsorger Ansprechpartner und Helfer. Zahlreiche Dokumente und erschütternde Briefe gaben davon Zeugnis. Die Bemühungen des Gefängnisgeistlichen reichten „bis über den Galgen“ hinaus.
Der „Spöttinger Friedhof“, auf dem die Toten mit anderen ehemaligen Gefangenen bestattet wurden, hat Geschichte geschrieben (siehe Links).


Anerkennung
In der Zeitschrift „Landsberg im 20 Jahrhundert" ist zu lesen:
Eine Geschichte des Helfens
Eine zentrale Rolle nimmt der damalige katholische Gefängnisgeistliche (Amtszeit 1932-1957) Karl Morgenschweis ein. „Für seine Verdienste als Seelsorger“ erhielt er 1951 als einer der ersten den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Es folgten 1952 die „Bayerische Verdienstmedaille“ und 1960 der „Goldene Ehrenring der Stadt Landsberg.“ “


Verzeihen, aber nicht vergessen
Aus der Geschichte zu lernen ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben.
Dr. Neuhäusler schreibt in „Wie war das mit Dachau?“ über das Vergessen-Wollen und Leugnen „Kein Aufhebens mehr davon machen! Gras darüber wachsen lassen (wurde) laut oder leise als Parole ausgegeben…. Damit begingen wir ein neues Unrecht. Damit brächten wir uns um die Lehren, die uns all dies Traurige geben kann: Wir wollen verzeihen, aber nicht vergessen.“
Auch Prälat Morgenschweis wollte aus seinen schweren Erfahrungen im Landsberger WCP die Lehre weitergeben: Verzeiht, aber vergesst nicht!


Unsere Aufgabe

Die heutige Weltlage beweist, der Lernprozess der Menschheit, aus der Geschichte Konsequenzen für einen globalen Frieden zu ziehen, ist nicht allzu erfolgreich verlaufen.
Kriege werden weiterhin mit Kriegen, Gewalt mit Gewalt beantwortet. Die Spirale der Verrohung aber könnte nur durch Verzeihen durchbrochen werden, ein Verzeihen, das auf dem Nicht -Vergessen beruht...
Die Zahl der Zeitzeugen der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeit minimiert sich. Sie werden nicht mehr allzu lange mahnen können!


Gemeinsames Leid verbindet
Mit einem Zitat aus einem Brief vom 12. Juli 1967, den Dr. Neuhäusler an Prälat Karl Morgenschweis schrieb, will ich mein Erinnern „Um der Wahrheit willen“ beenden:
„…Es ist so schön, dass Bande die in gemeinsamem Leid vor Jahrzehnten geflochten wurden, immer noch andauern…“

In der Rubrik Materialien dieser Ausgabe des LC finden Sie Literaturangaben zu.Johannes Neuhäusler und Prälat Karl Morgenschweis.


Links zu Johannes Neuhäusler
http://members.aol.com/zbdachau/fates/ger/neuhaeus.htm
Dieser Link hat zum Titel „Der Einsatz für seine Kirche bringt ihm im Dritten Reich Verfolgung und KZ-Haft und in der Nachkriegszeit Anerkennung und Ehre“.
http://www.gedenkstaettenpaedagogik-bayern.de/Bunker/neuhaeusler.htm
Eine sehr knappe und nicht sehr aussagekräftige Biographie.

Links zu Karl Morgenschweis
http://www.d-direkt-deutschland.de/totenehrung.htm
In diesem Link wird der gesamte Vortrag (27 Seiten) über das Wirken im WCP verdeutlicht. Es ist die einzige authentische Schrift, die zugänglich ist.
http://www.buergervereinigung-landsberg.de/kriegsverbrecher/kriegsverbrecher.htm
Eine Kurzbeschreibung über das WCP Landsberg/Lech.
http://www.militaria-fundforum.de/thread.php?threadid=27984
Gibt Auskunft über den „Spöttinger Friedhof“, der in die Geschichte eingegangen ist. Dort wurden die Hingerichteten beigesetzt.
http://www.medien-versandhandel.de/product_info.php?products_id=564
Es wird auf ein Buch zur Historie des Spöttinger Friedhofes hingewiesen.

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