Zeitzeugen
Vergessene Bräuche
von Hildegard Neufeld
Wissen und Erfahrung
Stirbt ein alter Mensch, verbrennt eine ganze Bibliothek“ lautet ein
afrikanisches Sprichwort. Diese Erkenntnis ist heute nur noch begrenzt
gültig, denn Wissen und Erfahrung, einst überwiegend auf örtliche
Bereiche begrenzt, erreichen heute infolge der angewachsenen erhöhten
Mobilität und natürlich auch durch die neuen Medien, eine weltweite
Öffentlichkeit.
Wissen und Erfahrung werden immer mehr Allgemeingut, wenn sie
registriert, weitergegeben und zur Verfügung gestellt werden, wie
Bibliotheken, Museen und viele weitere Dokumentationsstätten und
Einrichtungen in aller Welt es uns zeigen.
Auch die Zeitzeugen gehören dazu, von denen hier die Rede sein wird und
deren gesellschaftliche Bedeutung zunehmend wächst.
Zeugen ihrer Zeit
Zeitzeugen sind Zeugen selbst erlebter Geschichte oder auch Geschichten.
Ihre Berichte beziehen sich auf eigene Erlebnisse, auf Ereignisse und
Erinnerungen, die bereits Vergangenheit sind. Sie geben uns manche
Antwort auf Fragen der Gegenwart, die in die Zukunft hinein wirken und
wichtige Hinweise enthalten können. (Die Berichte sind immer subjektiv
gefärbt).
Im Focus dieser Betrachtung stehen die Zeitzeugen der heute
älteren und alten Generation, die Zeugen des zweiten Weltkriegs und der
wechselvollen Nachkriegsjahre. Ihre Zeit nähert sich dem Ende zu, und
nicht zuletzt deshalb sind ihre Erlebnisse, Erinnerungen und Berichte
mehr denn je gefragt.
Die entsprechenden
Dokumentationen und Veröffentlichungen nehmen laufend zu – und heute,
mehr als 60 Jahre nach Kriegsende, werden auch die Fragen an die
Zeitzeugen dringlicher, zum Beispiel: Wie hat die Zivilbevölkerung den
Krieg erlebt (und erlitten), und welches sind die Folgen?
Zeitzeugnisse
Zeitzeugenberichte werden durch Wort und Bild veröffentlicht.
Das Aufzeichnen und Dokumentieren persönlicher Erinnerungen ist nicht
zuletzt durch Computer und Internet einfacher und die Ergebnisse
leichter vermittelbar geworden.
Besondere Bedeutung wird den Zeitzeugenbegegnungen in Schulen und in der
Jugendarbeit zugemessen. Persönliche Zeitzeugenberichte haben sich als
wichtiger Bestandteil der historischen und politischen Bildungsarbeit
erwiesen und bewährt.
Aber auch im Rahmen aktueller Problemthemen, wie Migration oder
Globalisierung können Zeitzeugen in Gesprächen und Diskussionen wichtige
Beiträge leisten, das Urteilvermögen schärfen, Verständnis bewirken.
Themen und Projekte
Zeitzeugenberichte sind Erlebnisberichte, die über die persönliche
Sphäre hinaus von allgemeinem Interesse sein können. Zeitzeugen werden
häufig motiviert, über solche Erlebnisse zu berichten, auszusagen, sich
zur Verfügung zu stellen. Zu den Initiatoren zählen vor allem die
Medien, Historiker, aber auch verschiedene andere Disziplinen der
Wissenschaft und Forschung.
Die meisten Zeitzeugendokumentationen, Vorträge und Diskussionen
beziehen sich auf historische Ereignisse , die einst persönlich erlebt
und später – zumeist erst im Alter von den Betroffenen erinnert und
mitgeteilt werden. Aber auch Erfahrungen und Erinnerungen im Rahmen
zeittypischer Lebensweisen und Alltagskulturen oder orts- und
berufsbezogene Erlebnisse werden häufig erfragt und bekundet.
Zeitzeugenbörse
„Wir organisieren und vernetzen Erinnerungsarbeit“ so stellt sich die
Zeitzeugenbörse Berlin im Internet vor und fährt erklärend fort: „Eine
Gesellschaft verarmt, wenn sie das Wissen und die Erfahrung älterer
Menschen nicht nutzt, um die kritischen Fragen der jüngeren Generation
zu beantworten. Ziel der Zeitzeugenbörse ist, die unendliche Vielfalt
persönlicher Erfahrungen und Erlebnisse, die jeder in sich trägt, zu
sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“
Die Zeitzeugenbörse Berlin arbeitet seit 1993 daran, Zeitzeugen zu
aktuellen Themen zu finden und sie mit denjenigen zusammenzubringen, die
etwas über eine bestimmte Zeit oder einem speziellen Thema und Ort
erfahren wollen. Dieses Ziel verbindet sie mit vielen anderen
Zeitzeugenbörsen in der Bundesrepublik, die sich ebenfalls der
Erinnerungsarbeit widmen.
Als Bundesmodell hat die Zeitzeugenbörse Berlin Methoden entwickelt, die
Zeitzeugen auf ihre Aufgaben vorzubereiten.
Zeitzeugen-TV
Immer häufiger fließen Zeitzeugenberichte in die Arbeit des Hörfunks
und des Fernsehens ein. Zeitzeugenthemen bestimmen mitunter den Inhalt
ganzer Sendungen.
Zeitzeugen-TV versteht sich als eine audiovisuelle Quelle
autobiografischen Erinnerns und macht deutlich, dass gerade die
filmische Autobiografie das Verständnis von Geschichte nachhaltig
fördern kann, „da sie die Reflexion von Erlebtem mit der emotionalen
Authentizität des im bewegten Bild auftretenden und sprechenden
Zeitzeugen verbindet. Sobald die Geschichte ihre Protagonisten hinter
sich gelassen hat, droht sie ihren emotionalen Gehalt zu verlieren.
Zwischen der 'erlebenden' und der 'nacherlebenden' Generation entsteht
eine Gefühlskluft, die zu überbrücken eine der vornehmsten Aufgaben von
Zeitzeugendokumentationen ist.“
Zeitzeugenarchiv
„Erinnerung als Verantwortung“
lautet der Leitgedanke des Zeitzeugenarchivs in Berlin.
Das Zeitzeugen-Archiv enthält Inhalte und Reflektionen von
geschichtlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts aus unterschiedlichen
Perspektiven. Erinnerungen, Berichte und Aufzeichnungen von Zeitzeugen,
die Kriege und Revolutionen, Exil und Konzentrationslager erlitten
haben, formen sich hier zu einem eindrucksvollen Bild der Epoche bis zum
Zweiten Weltkrieg. Aber auch die Zeitzeugenberichte den 'Kalten Krieg’
und die 'Wiedervereinigung' betreffend haben hier ihren Platz gefunden,
und nicht zuletzt: das Auseinanderbrechen der Sowjetunion.
Zusammenfassung
Zeitzeugen wirken mit an der Weitergabe von Wissen, von Erinnerung
und Erfahrung. Über die persönliche Ebene hinaus hat die Vermittlung
erlebter Geschichte vor allem gesellschaftliche Bedeutung.
Zum 50. Jahrestag des Kriegsendes veröffentlichte das Goethe-Institut in
Moskau ein Buch mit dem Titel „Was im Gedächtnis bleibt“ mit
Zeitzeugenberichten von 38 deutschen und 45 SowjetbürgerInnen. Beide,
ehemalige Feinde, finden sich vereint in dem zweisprachigen Buch,
schildern ihre Kriegserlebnisse und den langen Abbau der Feindbilder.
„Dieses Buch ist unser gemeinsamer Versuch, aufeinander zuzugehen, indem
wir viele Menschenschicksale kennen lernen“ lautet das Fazit des
Herausgebers Pawel Fraenkel, und er fügt hinzu:
„All das war.
All das soll sich niemals wiederholen.
Das ist aber nur dann möglich, wenn wir das bewahren,
was im Gedächtnis bleibt.“
Weitere Informationen:
http://www.zeitzeugenberichte.de
htttp://www.zeitzeugen-tv.de
http://www.kriegskinder.de
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