Seit alters her:
Pilgern als Ziel
von Chris Grawert-Wagner
Wir kennen heute fünf große
Weltreligionen, insgesamt gibt es mehr als 400 Glaubensrichtungen. Auch
wenn die Inhalte, die religiösen Riten und Gebräuche unterschiedlich
sind, eins ist stets offensichtlich: Es gibt unzählige, geheiligte Orte,
die hoch im Ansehen der jeweiligen Glaubensgemeinschaften stehen. Ein
Besuch dieser Orte verspricht Erlösung von Sünden oder Gebrechen, dient
der Huldigung der Gottheit, kann auch die Einlösung eines Gelöbnisses
sein oder ist ein Dankritual für eine glückliche Fügung im Leben.
Grundlegende Wertvorstellungen findet man in allen großen
Weltreligionen, erläutert Uwe Tworuschka, Professor für
Religionswissenschaften an der Universität Jena. Der Begriff des
Heiligen sei für den religiösen Menschen wesentlich, sagt er.
Globales
Bedürfnis
Die wesentlichen Leistungen von
Religion sieht Religionstheologe Tworuschka in der „Linderung und
Beseitigung der Angst vor der Unsicherheit des Daseins“. Sie böte
Hoffnung über den Tod hinaus und beantworte die großen Fragen nach
Ursprung, Geschichte und Zukunft der Menschen. Und vor allem stelle sie
Regeln für das menschliche Zusammenleben auf. Charakteristisch für
Religion seien Erfahrungen, Sprache, Handlungen und Gemeinschaften.
Grundlegende Wertvorstellungen „von der anderen Wirklichkeit“ seien in
allen großen Weltreligionen zu finden. In fast allen Religionen kennt
man Zentren, zu denen die Gläubigen pilgern, die Pilgerreise oder
Wallfahrt, auf der man glaubt, seinem Gott näher zu kommen. Das Leben
sei eine Reise zu Gott hin, so die Auffassungen von Juden, Christen und
Muslimen. Das Pilgerwesen - ein globales Bedürfnis.
Bedeutendes
Jerusalem
Um an die heiligen Orte
zu gelangen, unternimmt der Gläubige eine Pilger- oder Wallfahrt. In der
Frühzeit galten Höhlen als heilige Orte. Einer der berühmtesten
Wallfahrtsorte in der griechischen Antike ist der Tempel der Artemis,
der griechischen Göttin der Jagd,
in Ephesos gewesen. Eine herausragende Bedeutung gleich für drei
Weltreligionen aber hat die Stadt Jerusalem. Christen gedenken hier des
Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Die Grabeskirche sind für
Christen und die Westmauer des zerstörten Tempels sind für Juden die
jeweiligen Pilgerziele. Neben Mekka und Medina gilt den Muslimen
Jerusalem (der Felsendom) als drittheiligster Ort. Alle drei Religionen
haben einen personalen Gott im Zentrum, sie kennen Propheten und
besitzen heilige Schriften.
Heilige Stätten
Was Jerusalem als Stätte der „gelebten Religionsgeschichte“ bietet,
das wird an anderen Orten mit anderen für heilig erachteten Tatsachen
verknüpft. So führt der europäische Pilgerweg, der Jakobsweg, nach
Santiago de Compostela im Norden Spaniens. Hier soll der Apostel Jakobus
der Ältere begraben sein. Im Hinduismus ist es der Fluss Ganges mit
seiner Göttin Ganga, die neues Leben und Reinkarnation in der Nähe der
Götter verheißt. Jeder Hindu sollte einmal zum Tempel im 3100 Meter
hoch gelegenen Ort Gangotri gepilgert sein. Von dort geht es zur
Gangesquelle, 4100 Meter in einem Himalaya-Gletscher gelegen. Ein
heiliger Wasserfall in etwa 4000 Metern Höhe des 6740 Meter hohen Kagebo
im Meili-Massiv ist den tibetischen Buddhisten heilig. Zur Reinigung
sollen sie dreimal in das eiskalte Wasser tauchen.
Logistik, ein Faktor
Vor wenigen Wochen zeigten die Medien, wie tausende hinduistische
Pilger sich an den Ufern des Ganges drängten, um Heil durch die Göttin
Ganga zu erfahren. Nicht minder motivierend für die Menschen sind die
Pilgerreisen, die Gläubige anderer Religionen unternehmen. So gehen
Schätzungen beispielsweise dahin, dass sich pro Jahr bis zu einer halben
Million Menschen auf einem der acht verschiedenen Wege nach Santiago de
Compostela aufmachen. Zur großen Pilgerfahrt der Muslime, der Haddsch,
kamen im vorigen Jahr etwa 2,5 Millionen Pilger in die heiligen Stätten
nach Mekka. Eine Zahl, die eindrucksvoll verdeutlicht, welche
Anstrengungen zur Versorgung und Unterbringung so Vieler jährlich
geleistet werden müssen. Die Gefahr einer Massenpanik ist groß, wie ein
Vorfall 2006 in Mena bei Mekka gezeigt hat. Mindestens 362 Pilger kamen
damals ums Leben.
Profitables
Geschäft
Logistische Planung verlangt
detaillierte Planung und dirigistische Maßnahmen. Als Vorteil stehen
diesen Bemühungen wirtschaftlicher Gewinn gegenüber. Schon die ersten
Kreuzritter hatten dies erkannt. Das Geschäft mit den Pilgern bedeutete
nicht nur den lukrativen Transport und die Versorgung der Pilger.
Darüber hinaus erkannten die heiligen Krieger, welchen Gewinn sie aus
dem Raub von Gebeinen Heiliger ziehen konnten. Im Markusdom von Venedig
kann heute noch eine Vielzahl von Knöchelchen besichtigt werden, die in
die Stadt gebracht wurden, um Pilger zur Anbetung in die Stadt zu
locken. Das Geld gab man lieber an den Orten aus, die auch noch Erlösung
versprachen. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: In 2006 hat der Kölner
Erzbischof Meisner den Pilgerweg, der im Kölner Dom unter dem Schrein
der Heiligen Drei Könige vorbei führt, wieder eröffnet.
Anderes kennen
lernen
Religiöse Impulse, die Suche nach
sich selbst, dem Heil, dem wahren Göttlichen sind sicherlich die
Hauptmotive, die Millionen Pilger der verschiedensten Glaubensrichtungen
zu einer Wallfahrt motivieren. Zunehmend würden die Wallfahrten auch zu
Bildungs- und Erlebnisreisen werden, so die Meinung einiger Autoren. Udo
Tworuschka geht einen Schritt weiter. Er lädt zu einem Kennenlernen
fremder Religionen und deren heiliger Stätten ein. Denn Unkenntnis lasse
Vorurteile und Angst gegenüber dem Fremden wachsen. Tworuschka ist
Schüler des Religionswissenschaftlers Gustav Mensching (1901-1978), der
in den großen Weltreligionen eine Universalethik mit menschenverbindenen
Werten erkannte. Tworuschka: „Grundlegende Wertvorstellungen findet man
in allen großen Weltreligionen.“
Links:
www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/92304/
www.freenet.de/special/osterspecial/reisen/pilger/02.html
www.mainz-online.de/magazin/reise/galerie/israel2/israel2.html
www.mensching.uni-trier.de/methode/
http://de.wikipedia.org/wiki/Pilger
www.fluter.de/
Philip Longworth, „Aufstieg und Fall der Republik Venedig“, Lübbe Verlag
1978
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