Sauerampfer
                                      von Lore Wagener
Meine Großtante Betty war berühmt für ihre Sauerampfersuppe. Sie war 1899 von Hessen an den Niederrhein gekommen und hatte Großonkel Willi geheiratet. Aus dem Land der grünen Soße brachte sie ihre Kochkünste und ihren Hang zur sparsamen Haushaltführung mit.

Grüne Küche
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Betty mit Familie

Die übrigen Damen der Verwandtschaft klatschten gerne über Bettys unübliche Kochmethoden, zum Beispiel darüber, dass sie das Kochwasser von Kartoffeln und Gemüse nicht wegschüttete, sondern noch für ihre Saucen und Suppen nutzte. Rückblickend war das ja damals schon  fortschrittlich. Betty schätzte die guten Dinge, die in ihrem Garten wuchsen. Ihr Mann, eigentlich ein Rosenliebhaber, pflegte zum Beispiel für sie ein schönes Spargelbeet, und Betty verwendete auch die Wildkräuter und Wildgemüse, die in den Gartenecken gediehen, egal ob es wilder Hopfen oder Sauerampfer waren. So konnte sie ihre Familie gut auch durch die mageren Kriegs- und Nachkriegsjahre bringen, trotz der dann kleineren Fleischrationen. Und ihre schmackhafte Sauerampfersuppe wurde selbst von der kritischsten Schwägerin gelobt.

Bettys Sauerampfersuppe
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alte Suppenterrine

Für ihre Suppe kochte Betty zunächst eine Fleischbrühe aus Beinscheiben und Knochen und salzte sie. Wenn das Fleisch ausgekocht war, nahm sie es aus der Brühe. In die Brühe kamen dann vorgekochte Spargelabschnitte samt Kochwasser. Von dem Sauerampfer, den sie schon vorbereitet und klein geschnitten hatte, kam die Hälfte dazu. Das Ganze wurde dann etwa 5 Minuten eingekocht. Nun gab Betty einen Teil der Brühe in eine Suppenterrine und verschlug darin ein bis zwei Eigelb. Darauf kam die zweite Hälfte des frischen Sauerampfers und danach wurde mit der restlichen heißen Brühe aufgefüllt. Das schmeckte gut, aber ich habe Zweifel, ob man bei der Salmonellengefahr heutzutage noch mit rohem Eigelb arbeiten sollte. Meine Cousinen jedenfalls kochen heute noch Sauerampfersuppe, aber die meisten von ihnen nach dem Rezept von Henriette Davidis. Eine Cousine hat sogar noch das legendäre Kochbuch aus dem Jahre 1896.
 
Davidis Sauerampfersuppe
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aus der Familienchronik

Henriette Davidis schrieb: „In keinem Garten sollte der Sauerampfer fehlen. Derselbe ist sehr gesund und im Frühling davon eine Suppe sehr erfrischend und wohlschmeckend. Man macht reichlich Mehl mit guter Butter gelb, lässt junge, gut gewaschene Sauerampferblätter darin zergehen und dann mit Kalbfleischbrühe oder Wasser und dem nötigen Salz durchkochen. Die Suppe wird mit Muskat, dicker Sahne und einigen Eidottern abgerührt und auf geröstetem Weißbrot angerichtet. Auch können anstatt des Weißbrotes Eierklösschen darin gekocht werden. Die Suppe muss zwar etwas gerundet, doch nicht dicklich sein. Ein Zusatz von Fleischextrakt ist sehr zu empfehlen.“

Die Pflanze
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Sauerampfersuppe

Seinen Namen erhielt der Sauerampfer wegen seines sauren Geschmacks. Er ist ein Knöterichgewächs und gehört eigentlich zu den Wildgemüsen. Er kommt aber meist auch als würzende Zutat in die Grüne Soße. Die Pflanze wird bis zu 1 m hoch und trägt pfeilförmige Blätter. Die Blüten sind rot, klein und stehen in lockeren Rispen. Die Blütezeit ist vom Mai bis Juli. Sauerampfer enthält Oxalsäure, gilt aber als wenig giftige Pflanze. Kinder sollten ihn aber nicht in größeren Mengen zu sich nehmen. Bauern bekämpfen die verschiedenen Ampfersorten auf ihren Weiden mühsam biologisch mit dem Ampferstecher, denn sie verschlechtern die Futterqualität. Der Sauerampfer kann, in größeren Mengen zugeführt, zudem bei Pferden, Rindern und Schafen Vergiftungserscheinungen auslösen. Betty verwendete für ihre Suppe nur zarte junge Blätter aus ihrem Frühlingsgarten. Ihr Sauerampfer hatte es dort gut - im Gegensatz zu dem armen Kräutchen, dessen Schicksal Joachim Ringelnatz in dem folgenden Gedicht beklagt.

Arm Kräutchen
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Sauerampfer

Ein Sauerampfer auf dem Damm
Stand zwischen Bahngeleisen,
Machte vor jedem D-Zug stramm,
Sah viele Menschen reisen.

Und stand verstaubt und schluckte Qualm
Schwindsüchtig und verloren,
Ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
Mit Augen, Herz und Ohren.

Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
Sah Eisenbahn um Eisenbahn,
Sah niemals einen Dampfer.

Links
Sauerampfer

Arm Kräutchen



 
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