Nutzbrunnen in der Alten Welt
                       von Lore Wagener
Von alters her haben die Menschen ihre Ansiedlungen bevorzugt an Wasserläufen gebaut, denn ohne Wasser können sie in der Tat nicht leben. So haben sie auch früh gelernt, Wasservorkommen zu erschließen und Brunnen anzulegen.


Brunnenbau-Techniken

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Zeichnung Dipl. Ing. Roland Bergmann.

Der Brunnenbau ist ein altes Handwerk. Er hat das Ziel, die Wasser führenden Bodenschichten zu erschließen. Die einfachste Art ist ein Rammbrunnen, bei dem ein Rohr in eine bodennahe Grundwasserschicht gerammt und daraus das Wasser mit einer Handpumpe geholt wird. Die Engländer machten dies zum Beispiel bei ihrem Feldzug in Abessinien.
Bei einem Schachtbrunnen wird ein Schacht mit einer durchlässigen Wandung auf die undurchlässige Bodenschicht aufgesetzt, die unter dem betreffenden Grundwasservorkommen liegt. Das Wasser kann in den Brunnenkasten eindringen und dann emporgehoben werden. Mit Schachtbrunnen wird Grundwasser bis etwa 8 bis 10 m unter Gelände erschlossen.
Mit Bohrbrunnen erreicht man Tiefen bis 400 m. Die Brunnenöffnung wird nach unten bis zur Grundwasserschicht vorgetrieben und dann verrohrt. Bei modernen Bohrbrunnen wird ein Förderrohr eingehängt, das am Ende Schlitze hat. Zum Filtern kommt um das durchlässige Rohrstück eine Kiespackung.

Fördertechniken
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Foto Andreas.poeschek

Die älteste Form der Wassergewinnung ist die Zisterne, ein Auffangbecken aus Holz oder Stein, in dem das Oberflächenwasser gesammelt wird.
Mit Hilfe von eingefassten Brunnen erschließt man sich das Wasser von Quellen, aber auch von Grundwasser oder von Uferfiltraten. Natürliche Quellen, die durch hydraulischen Druck zutage treten, bilden „Artesische Brunnen".
Bei den „Laufbrunnen" nutzt man die natürliche Schwerkraft aus. Das Wasser wird - zum Beispiel im Gebirge - in größerer Höhe erfasst. Es läuft dann selbsttätig durch eine Röhre entlang des natürlichen Geländegefälles zum tiefer gelegenen Brunnen. Grundwasser wird mit mechanischen Mitteln, zum Beispiel mit Handpumpen, emporgehoben. Bei den „Schöpfbrunnen" muss man das Wasser mit Gefäßen aus dem Brunnenbecken schöpfen. Das kann schwere Arbeit sein. Man half sich hier zum Beispiel mit der Hebelwirkung des Schwingbaums, wie in der Puszta, aber auch mit Rädern, Seilen oder Zugtieren.

Neolithische Revolution
Die ersten prähistorischen Brunnenfunde stammen aus der Jungsteinzeit. Damals gab es zwischen 9000 und 5500 vor Christus die so genannte „neolithische Revolution", als die Menschen ihre nomadisierende Lebensweise aufgaben und feste Dörfer gründeten. Aus Jägern und Sammlern wurden Ackerbauern, Viehzüchter und Handwerker, die lernten, etwa Ton zu Keramik zu brennen oder Brunnen anzulegen. Dieser Prozess begann am Oberlauf von Euphrat und Tigris, auch am Indus oder Nil. Das alte Testament oder das Gilgamesch-Epos, deren Schauplätze in dieser Gegend liegen, erwähnen mehrfach die Existenz von Brunnen. Der geheimnisvolle Brunnenfund von Atlit Yam (Israel) stammt aus dem 6.Jahrtausend vor Christus. In Mylouthkia auf Zypern fand man mehrere Ziehbrunnen, die noch älter waren. Archäologen legten in Mesopotamien auch Brunnen mit Tonringen oder Flechtwerk aus Keramik frei.

Neolithische Funde in Mitteleuropa
Die neolithische Revolution kam etwa um 5000 vor Christus in Mitteleuropa an. Hier entdeckten Archäologen in den letzten 20 Jahren ungefähr 18 Brunnen aus der Jungsteinzeit, allein sechs davon in Sachsen. Es sind Schachtbrunnen mit hölzernen Einfassungen. Als Formen finden sich Schöpf- oder Laufbrunnen.
Im Rheinland, südlich der Stadt Erkelenz, fand man einen Holzbrunnen aus der Zeit der Bandkeramiker. Das Alter des gut erhaltenen Brunnenholzes wird auf 5090 vor Christus datiert. Die Sohle dieses Brunnens muss in etwa 15 m Tiefe gelegen haben. Die beiden freigelegten Brunnenkästen bestehen aus mit Steinbeilen, Holzkeilen und Schlägeln bearbeiteten Eichenbohlen, die in Blockbauweise zusammengefügt wurden. Außerdem fand man Schnüre aus Bast und Taschen aus Rinde, die vermutlich zum Schöpfen dienten, aber auch Keramikgefäße, die auf eine Benutzung als Kultstätte hindeuten. Zu den Brunnenfunden in Sachsen gibt es unten einen Link.

Bewässerungssysteme im Orient

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Foto: Hajor

Im Ursprungsgebiet der Neolithischen Revolution, der Region des „Fruchtbaren Halbmonds", entwickelten sich bis in die Bronzezeit hinein bedeutende Hochkulturen und einige der ältesten Stadtkulturen der Welt. Allen war gemeinsam, dass sie ausgeklügelte Bewässerungssysteme hatten und ihren Wohlstand nicht zuletzt ihrer effizienten Bodenbewässerung verdankten.
In den Ländern am Persischen Golf baute man zum Beispiel „Qanate". Das waren horizontale Brunnen, so genannte Freispiegelkanäle, die Trink- und Nutzwasser aus den Bergen bezogen, wie das Qanat von Gonabad mit seinem Mutterbrunnen von 350 m Tiefe.
Für die Felder und Gärten benutzte man das Fluss- und Kanalsystem. In den berühmten Gärten des alten Mesopotamiens hatte man ein spezielles Schöpfgerät, den Shaduf, der etwa wie der Schwingbaum funktionierte. Eine Stange auf einer Stütze trug an ihrem längeren Ende den zu füllenden Wasserbehälter, an der anderen Seite hingen Gegengewichte.

Minoische und griechische Antike
Die erste Hochkultur Europas war die Minoische Kultur auf Kreta. Sie entwickelte sich in der Bronzezeit etwa ab 3100 vor Christus und bildete Städte mit beachtlichen Trinkwasser- und Abwassersystemen aus.
Auch in den griechischen Stadtstaaten wurde die Wasserversorgung gepflegt. Auf der Athener Agora, dem Marktplatz, gab es zum Beispiel zwei Brunnenhäuser. Eines davon war zwischen 530 und 520 vor Christus erbaut worden und hatte zwei Räume, in denen man seine Wasserkrüge füllen konnte. Wasserspeier, die durch Versorgungsleitungen aus Terrakotta gespeist wurden, sorgten für einen stetigen Wasserzulauf. Um 350 vor Christus kam das zweite Brunnenhaus hinzu, das an ein Aquädukt angeschlossen war. Diese Brunnenhäuser waren ein beliebter Treffpunkt der Athener Sklaven und der Frauen, die sonst kaum herauskamen. Sie sind leider nicht mehr erhalten.

Römische Wasserbaukunst
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Foto Samthammel

Das Römische Reich der Antike hatte viele große Städte. Rom selbst zählte in seiner Blütezeit eine Million Einwohner. Sein Wasserbedarf - unter anderem für Thermen und öffentliche Brunnen - lag bei 500.000 cbm pro Tag. Da brauchte man effizientere Lösungen für Trink- und Abwasser als bisher. Und so entwickelten sich die römischen Baumeister im gesamten Römerreich zu Künstlern des Wasserbaus. Das Abwasserproblem regelten sie in Rom mit der Cloaca Maxima, aber auch Köln oder Xanten bekamen Ähnliches. Mit 11 Fern-Wasserleitungen (Aquädukten) nach Rom lösten sie das Trinkwasserproblem. In Germanien bauten die Römer zum Beispiel die über 90 km lange Eifelwasserleitung aus gemauerten Steinen. Diese begann mit der Brunnenstube „Grüner Pütz" bei Nettersheim, bekam durch weitere Brunnenstuben Zuflüsse und endete in Köln. Dort versorgte sie die öffentlichen Laufbrunnen, Thermen und privaten Hausanschlüsse mit sauberem Eifelwasser.

Nutzbrunnen im Mittelalter

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Foto Anne Poettgen

Nach dem Verschwinden der Römer im 4. Jahrhundert n. Chr. verschwand auch deren Wasserkunst. Im Rheinland benutzten die neuen fränkischen Herren ebenso wie die Altbevölkerung die alten heidnischen Brunnen weiter. Nach ihrer Christianisierung widmeten sie diese dem neuen Glauben. Die Mythen der alten Kulte blieben aber im Volk erhalten und rankten sich noch lange um diese Brunnen. So war es auch beim „Gerricus-Pützchen" in Düsseldorf-Gerresheim, dessen Brunnenhaus noch zu sehen ist.
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Bucheinband

Im Zuge der Christianisierung etablierten sich im Frankenreich zahlreiche Orden, die Klöster errichteten. Da diese auf ihre Eigenversorgung großen Wert legten, waren Klosterbrunnen ein Muss.
Um Eigenversorgung war auch die mittelalterliche Ritterschaft bemüht, deren erste Burgen vermutlich in der Karolingerzeit entstanden. Den tiefsten Brunnenschacht mit 176 Metern hatte die Reichsburg Kyffhausen, manuell ausgehoben, eine erstaunliche Leistung der Brunnenbauer!

Städtische Wasserversorgung

In den wachsenden Städten wurden Wasserversorgung und Abwässer zum Problem, weil die ungeklärten Abwässer oft das Trinkwasser verunreinigten, was Seuchen verursachte. Daher wurde ab dem 13. Jahrhundert n. Chr. in größeren Orten ein System von Rohrleitungen angelegt, mit dem die öffentlichen Laufbrunnen sauberes Wasser aus entfernteren Quellen erhielten. Die Rohre waren meist aus Holz, Blei, gebranntem Ton oder Stein und brachten einen besseren Schutz. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts war diese Art von Laufbrunnen „das absolut Fortschrittlichste, was die moderne Wasserversorgung zu bieten hatte", wie ein Chronist aus dem rheinland-pfälzischen Dahn berichtete.
1840 begann dann im Zuge der Industrialisierung die moderne Wasserversorgung. zuerst in London. In Deutschland erhielt Hamburg 1848 das erste moderne System. Im Laufe der Modernisierung verschwanden nun nach und nach die alten Nutzbrunnen aus dem öffentlichen Raum.

Links
Neolithische Revolution
Brunnen von Atlit Yam, (dem israelischen Atlantis?)
Neolithische Brunnenfunde in Erkelenz
Neolithische Brunnenfunde in Sachsen
Qanate
Agora von Athen
Brunnengeschichten aus Dahn
Reichsburg Kyffhausen
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