Neuorientierung – mein Zauberwort

Isa Höhne, Berlin

Neuorientierung, mein Zauberwort

Nach 33 Ehejahren verlor ich meinen Mann durch einen Herzinfarkt. Wir hatten zwei Kinder groß gezogen und beruflich Karriere gemacht.
Für unseren Ruhestand hatten wir feste Pläne. Endlich wollten wir gemeinsam die Sportveranstaltungen besuchen für die unser Herz schlug, wollten Kultur in und um Berlin herum genießen, Reisen machen, einfach mit Zeit und Muße unsere Zweisamkeit genießen.
Nur zwei Jahre lang war uns das vergönnt.
Als ich den ersten Schmerz so einigermaßen überwunden hatte, machte ich mir Gedanken wie es mit meinem Leben weiter gehen kann.
Beide Kinder hatten Familie, die in irgendeiner Form zu belästigen, das hatten wir uns geschworen, käme nicht in Frage.
Fest stand für mich, da ich Menschen um mich haben wollte, Aktivitäten nur im häuslichen Bereich kamen nicht in Frage, ich wollte mich nützlich machen.
So sprach ich im Bezirksamt vor und wurde in die Seniorenbetreuung vermittelt, denn dort konnte man hilfreiche Unterstützung gut gebrauchen, vor allem wenn sie ehrenamtlich ausgeübt wird.
Meine Aufgabe wurde es, betagten Senioren im Bezirk Mitte zu ihren Geburtstagen persönlich im Namen des Senats zu gratulieren.
Entsprechende Listen mit Datum und Anschrift wurden mir ausgehändigt und auch die Summe genannt, die ich für Blumen gegen Quittung ausgeben durfte.
Die Sträuße, die ich für dieses Geld kaufen konnte, erschienen mir dürftig und dem Anlass unangemessen, so legte ich Geld zu und freute mich dann über die Reaktionen der Jubilare, die die Üppigkeit bewunderten.
Es kam relativ oft vor, dass ich vor verschlossenen Türen stand. Und besonders traurig war ich, wenn ich vom Nachbarn hören musste, dass der Jubilar schon vor Monaten verstorben war.
Diese Erlebnisse waren für mich schwer zu ertragen, ich kündigte meine Hilfe im Bezirksamt.
Ich suchte also weiter nach einer sinnvollen Beschäftigung. Sprach in den Kirchengemeinden in meinem Umkreis vor. Da ich konfessionell nicht gebunden bin, hatte man dort für mich überhaupt keine Verwendung. Ich verstand das nicht, Hilfe, ohne finanzielle Gegenleistung gegeben, ist doch im christlichen Sinne und hat mit Konfession nichts zu tun.
Ich hörte, dass eine gute Bekannte, Ärztin, einen personellen Notstand hat. Zwei ihrer Mitstreiterinnen waren langfristig erkrankt, der Tresen dadurch unbesetzt und sie sah sich gezwungen die Praxis zu schließen bis sich Ersatz gefunden hätte. Ich sprang ein und konnte wieder einmal feststellen, die Hinwendung zu den Menschen, das ist das, was ich brauche. Schließlich hatte ich auch mein ganzes Leben in der Charité gearbeitet.
Auch als diese Tätigkeit beendet war suchte ich weiter, durchforstete die Zeitungen nach entsprechenden Angeboten, leider fand ich nichts was meinen Vorstellungen entsprach.
Um nicht ganz „beschäftigungslos“ zu sein, meldete ich mich im Fitnessstudio an. Drei Mal in der Woche völlig ausgepowert, das gefiel mir, leider meinem Knie nicht, das schrie nach Ersatz.
Operation, Rehabilitation alles lief wie am Schnürchen, ich wurde wieder fit, doch eine sinnvolle Tätigkeit hatte ich noch immer nicht gefunden.
Aber wie so oft im Leben, der Zufall spielte eine Rolle. Eine Freundin, die ich aus den Augen verloren hatte, suchte mich auf und machte mir einen Vorschlag. Die Schreibgruppe, zu der sie seit Jahren gehörte, litt am Mitgliederschwund. Sie erinnerte sich, dass ich gerne schrieb und so ging ich erst mal zu einer Schnupperstunde. Schon am Ende dieser Stunde war für mich klar, ich habe gefunden, was ich suche, eine mich fordernde Freizeitbeschäftigung!
Aus dieser Schreibwerkstatt heraus hat sich die Möglichkeit ergeben, an der Broschüre WORTSPIEGEL ehrenamtlich in der Redaktion mitzuarbeiten.
Einige Jährchen machen wir das schon, ich muss sagen mit großer Begeisterung und sind stolz wenn wir zu Lesungen eingeladen werden. Wir waren schon mehrmals in Seniorenwohnstätten und sind glücklich, wenn wir sehen, dass unsere Geschichtchen ankommen und wir damit ein kleines Leuchten in die Gesichter der Zuhörer zaubern.
Ich investiere viel Freizeit, doch das ist wenig im Gegensatz zur Erkenntnis, dass das zu meinem Lebensinhalt geworden ist, der mich nicht nur mit Freude erfüllt, der auch dazu beiträgt, dass ich kaum Zeit habe alt zu werden!

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